Mannheim. Als Christian Specht die Gesänge hört, zieht er die Augenbrauen hoch. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“, schallt es durchs Stadthaus. In einem Nebenraum erläutert der Mannheimer Oberbürgermeister gerade Journalisten, wie ernst die Lage ist. Bis 2028 müsse die Verwaltung mehr als 600 Millionen Euro einsparen. Von 375 Millionen habe er noch keine Vorstellung, wo sie herkommen sollten. Bei den dann drohenden Einschnitten seien die jetzigen Proteste „nur ein laues Lüftchen“.
Verglichen mit dem, was sonst vor Gemeinderatssitzungen los ist, sind sie aber schon ein Sturm. Mindestens 200 Menschen sind da. Eltern, die für den Erhalt des Kita-Zuschusses kämpfen, haben kleine Kinder mitgebracht. Auf Plakaten steht: „Bildung und soziale Teilhabe darf nicht am Geldbeutel scheitern“, „Wieviel sollen Familien noch stemmen?“, „Kultur nicht kürzen!“, Heute gespart, morgen bereut“, „Stadtbibliothek Friedrichsfeld erhalten!“ und „Nein zur Schließung vom Jugendtreff Feudenheim“.
Als Specht den Flur betritt, stellt sich ein Mann in den Weg und hält ihm ein Mikrofon hin. Es ist ein Influencer, der sich „Azad_Maximum“ nennt. Er warnt wortreich, ein Aus für den Feudenheimer Treff lasse Jugendliche in die Drogenszene abgleiten. Mit den Antworten des Christdemokraten ist „Azad_Maximum“ nicht zufrieden: Specht habe „keinen Plan“.
Zumindest für 2026 ist der Fortbestand der Einrichtung nun indes gesichert. Das ist einer der kurzfristigen Kompromisse zwischen Stadtspitze und Fraktionen. Nächstes Jahr soll dann mit weiteren Feudenheimer Akteuren wie Kirchen und Vereinen eine dauerhafte Lösung gesucht werden. Aktuell ist der Jugendtreff in einem sanierungsbedürftigen Container untergebracht.
Damit hätten sie immerhin ein Jahr gewonnen, freut sich Sina Koch vom Vorstand des Fördervereins. Ihre Mitstreiterin Vani Veyel fürchtet allerdings, dass dann wieder eine Schließung droht. Sie fordert einen dauerhaften Erhalt. Die beiden verfolgen die Sitzung auf der Empore. „Wir wollen natürlich das Ergebnis wissen, ob wir doch noch Party machen können“, sagt Koch.
Friedrichsfelder Bibliothek bleibt in veränderter Form erhalten
Auch Beate Seelert vom Förderverein der Friedrichsfelder Bibliothek sitzt mit ihren Unterstützern oben. Sie freuen sich, dass ein komplettes Aus vom Tisch ist. Ein Kompromiss sieht das Zusammenlegen mit anderen Einrichtungen in den Räumen des Bürgerdienstes vor. „Damit hat sich unser Einsatz erstmal gelohnt“, findet Seelert. Allerdings fehle noch ein Konzept, wie das Ganze aussehen solle. Und angesichts des anhaltenden Spardrucks müssten nun auch in anderen Stadtteilbibliotheken die Alarmglocken schrillen.
Noch eine kurzfristige Änderung gibt es beim Kita-Zuschuss. Der werde nicht direkt, sondern stufenweise gestrichen: von bislang 105 Euro zunächst auf 70, in einem Jahr auf 35 und ganz erst im September 2027. Den Beschluss des Gemeinderats bekommen indes die allermeisten Eltern nicht mehr mit. Vermutlich zur Erleichterung ihrer Kinder. Auf der Empore beantwortet die fünfjährige Sophia die Frage, ob sie das Geschehen unten spannend oder langweilig findet, sehr entschieden: „Langweilig!“ Ihre Mutter Katharina, die nur mit Vornamen genannt werden will, nennt den Kompromiss „wenigstens etwas“. Dennoch bedeute er eine erhebliche Belastung, vor allem für Eltern mit zwei oder drei Kindern.
Eine weitere Mutter hat sogar ihren Kinderwagen die Treppe hochtragen. Sie will anonym bleiben, weil sie mit ihrem Protest in der Kita schon ins Zwielicht geraten sei. Sie sieht Eltern gleich doppelt von der Stadt belastet: neben dem wegfallenden Zuschuss auch mit den eingeschränkten Öffnungszeiten, die für Berufstätige „eine Klatsche“ seien. Da dürfe man sich nicht wundern, wenn sich weniger Menschen für Kinder entschieden.
Auch der DGB-Kreisvorsitzende Ralf Heller sitzt im Publikum, Gewerkschaftsbund und Verdi protestieren ebenfalls gegen das Sparpaket. Er hat zwar Verständnis für die finanziellen Zwänge der Stadt, die Politik müsse dringend etwas gegen die massive strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen tun. Doch dürfe es bei Kürzungen nicht zu einer sozialen Schieflage kommen. Zumal es in diesem Bereich schon im laufenden Haushalt erhebliche Einschnitte gebe.
Bei den Kämpferinnen für den Jugendtreff ist Party angesagt
Das gilt auch für die kulturelle Szene, der Mannheimer Kulturrat hat gleichfalls zu Protesten aufgerufen. „Man muss schon Flagge zeigen“, sagt Gerrit Bogdahn. Ebenso wie Kerstin Weinberger und Sascha Koral mahnt er, Kulturförderung sei eine sinnvolle Investition. Ein vielfältiges Programm bringe auch Hotels, Gastronomie und Handel Geld aus dem Umland. Auch würden Fachkräfte angelockt, sich dauerhaft in Mannheim niederzulassen.
Am Ende der Sitzung überwiegt indes zumindest bei den Kämpferinnen für den Feudenheimer Jugendtreff die Erleichterung. Sie haben viel Unterstützung bekommen. Unter anderem wurde eine Online-Petition fast 2.400 mal unterzeichnet, beim jüngsten Waldhof-Heimspiel forderten die Ultras auf Transparenten den Erhalt, hinter der Osttribüne wurden Spenden für die Einrichtung gesammelt. Also ist jetzt Party angesagt? „Natürlich“, lacht Sina Koch. Falls es doch keine dauerhafte Lösung gebe, „kommen wir in einem Jahr eben wieder“. Dann sei er erneut dabei, kündigt „Azad_Maximun“ an.
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