Mannheim. „Das ist ja massiv gefährdend für die Bevölkerung!“ – so fasste SPD-Stadtrat Stefan Höß jetzt das zusammen, was er und seine Kollegen im Sicherheitsausschuss gehört haben. Danach ist der Rettungsdienst in Mannheim zu 90 Prozent ausgelastet und damit zu Spitzenzeiten öfter überfordert. Daher schickte die Leitstelle seit Mai in 96 Fällen Löschfahrzeuge der Feuerwehr los, damit die Beamten lebensrettende Sofortmaßnahmen einleiten können, bis ein Rettungswagen kommt. „First Responder“ nennt man solche qualifizierten Ersthelfer.
Stadtrat Chris Rihm (Grüne) hatte aktuelle Zahlen und Einschätzungen gefordert und zugleich klargestellt, dass sich alle Kritik der Politik am Rettungsdienst nicht an die Mitarbeiter richte, sondern nur an die Strukturen. Die „großartige Arbeit“ der Retter würdigte auch Erster Bürgermeister Christian Specht, doch bei 50 000 Rettungseinsätzen im Jahr müsse eine 90-prozentige Auslastung zu denken geben.
Verschiedene Sichtweisen
Dabei wurden im Ausschuss sehr unterschiedliche Sichtweisen deutlich. „Wir sind gut aufgestellt“, betonte Joachim Schmid, Geschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes. Die planerischen und rechtlichen Vorgaben würden „vollumfänglich erfüllt“, behauptete er. Mit Sascha Stumpf (AOK) vertrat Schmid den Bereichsausschuss für den Rettungsdienst, in dem Hilfsorganisationen und Krankenkassen alle Entscheidungen zum Rettungsdienst treffen – nicht öffentlich und ohne Mitspracherecht der Kommune.
Dieser Bereichsausschuss hatte im Februar ein Gutachten erstellen lassen, das seit August vorliegt (wir berichteten). Es hält mehr Rettungswagen in Mannheim sowie eine zusätzliche Rettungswache im Casterfeld für notwendig. Weil seither aber ein landesweites Gutachten in Auftrag gegeben ist, sollte zunächst nichts davon umgesetzt werden, bis das andere Papier vorliegt. Inzwischen hat der Bereichsausschuss zumindest die zusätzlichen Betriebsstunden für Rettungswagen (in der Summe fast zwei zusätzliche Fahrzeuge) gebilligt.
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„Ein gutes Zeichen, dass da noch mal Bewegung reinkam“, bedankte sich Specht. Neue Standorte zu bauen, sei derzeit aber nicht möglich, erklärten Schmid und Stumpf. Man versuche daher „eine flexible Gestaltung von Standorten“, so Stumpf, bis landesweit Klarheit herrsche, ob und wo eine zusätzliche Wache möglich sei. So wurde der früher von der Rotkreuz-Rettungswache in der Lagerstraße (Neckarstadt) ausrückende Rettungswagen der Malteser auf der Hauptfeuerwache in der Neckarauer Straße stationiert – um die Eintreffzeiten im Mannheimer Süden zu verringern. Stumpf räumte ein, dass die Hilfsfrist „in dem einen oder anderen Stadtteil schlechter erreicht“ werde. Generell halte man sie aber zu 95 Prozent ein und erfülle damit die Landesvorgabe, versicherten Schmid und Stumpf.
In der Debatte zeigte sich aber, dass das Auslegungssache ist. Das Gesetz verlangt das Eintreffen der Retter binnen zehn, höchstens 15 Minuten. Krankenkassen und Hilfsorganisationen berechnen ihre Statistiken immer mit den 15 Minuten. Dies sei die landesweit übliche Vorgehensweise, so Stumpf. Damit erntete er Kritik von Christian Specht, Chris Rihm und besonders deutlich von FDP-Stadtrat Volker Beisel. „Da steht zehn Minuten, nicht 15 Minuten – fünf Minuten mehr bedeutet mehr Tote, weil sie vielleicht zu spät gekommen sind“, beklagte er.
Schmid und Stumpf pochten aber darauf, dass ihre Berechnung richtig ist. Freilich gebe es Probleme. So sei „die Verkehrslage manchmal schwierig“, so Schmid. Wegen der „personell sehr angespannten Lage“ in den Notaufnahmen der Kliniken stünden die Rettungswagen dort teilweise länger als nötig, weil sich die Übergabe der Patienten verzögere. Ein „Riesenthema“ sei die Verunsicherung der Leitstellenmitarbeiter, die bei Anrufen „lieber mal einen Notarzt mitschicken“, auch wenn der im Zweifel gar nicht nötig sei. Zusätzliche und eigentlich unnötige Einsätze gäbe es auch, weil der Ärztliche Bereitschaftsdienst telefonisch schwer erreichbar sei und daher die Leute den Notruf wählten. Dennoch versicherten Schmid und Stumpf mehrfach: „Wir haben einen gut funktionierenden Rettungsdienst“, der alle Vorgaben einhalte.
Ein völlig anderes Bild zeichnete Andreas Pitz, Beauftragter für den Rettungsdienst im Dezernat des Ersten Bürgermeisters Christian Specht. Er berichtete von einer „signifikanten Einsatzsteigerung“. Diese habe dazu geführt, dass laut Gutachten der Rettungsdienst zu 90 Prozent ausgelastet sei. Da die Zahlen des Gutachtens von 2021 stammten, sie aber ständig weiter steigen, „ist der heutige Bedarf nicht abgedeckt“. Pitz hielt Krankenkassen und Hilfsorganisationen vor, dass in anderen Städten schon bei einer Auslastung von 40 Prozent mehr Fahrzeuge eingesetzt würden, daher müssten sie „jetzt Schritte unternehmen“.
„Neue Wege gehen“
Dass die Feuerwehr und auch häufig Fahrzeuge aus der Pfalz oder Hessen in Mannheim helfen, belegten, dass es sich um ein „hochausgelastetes System“ handele. Immer öfter müssten Ehrenamtliche „in die Bresche springen“, so Pitz, um zusätzliche Wagen zu besetzen, „das ist aber nicht selbstverständlich“.
„Wir müssen neue Wege gehen, das System komplett neu denken“, forderte Stadtrat Rihm. Er regte an, auf jede der drei Feuerwache der Berufsfeuerwehr einen Notfallkrankenwagen zu stationieren, mit dem Feuerwehrleute, von denen viele eine entsprechende Ausbildung haben, den Rettungsdienst unterstützen, oder eine Tochtergesellschaft der Stadt zu gründen und mit dem reinen Krankentransport – nicht eilige Fälle – zu beauftragen. So könne man den Rettungsdienst entlasten und endlich die Zehn-Minuten-Frist einhalten. „Es ist jedenfalls wichtig, dass sich schnell was bewegt“, mahnte Christiane Fuchs (ML), denn die Probleme im Rettungsdienst seien „definitiv Gesprächsthema bei der Bevölkerung“ und jeder fürchte, dass ihn eine lange Wartezeit treffe, wenn er Hilfe brauche.
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