Mannheim. „Darf ich schreien?“, fragt Amy Berger und schaut zu Thorsten Becker hoch. Der ermuntert die Zehnjährige, Mitglied der Jugendfeuerwehr in Erbach, ausdrücklich: „Je mehr Leute schreien, umso realistischer wird es“, so der Notfallsanitäter und Zugführer der Freiwilligen Feuerwehr Feudenheim. Denn die von ihm geplante Großübung für rund 100 Aktive von Feuerwehr und Rettungsdienst läuft tatsächlich höchst realistisch ab – was selten so möglich ist.
Der Sensburger Weg auf der Schönau. Die GBG – Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft plant hier ein großes Neubauprojekt. Aber noch stehen viele der alten, maroden Blocks, und in einem durfte schon öfter die Feuerwehr üben. Nun ist zum Abschluss eine ganz große Aktion vorgesehen.
„Es läuft gut!“
Thorsten Becker, der sie generalstabsmäßig vorbereitet hat, beschriftet sogar die Klingelschilder neu. Mustermann und Merkel, Goldblogger und Wunderlich steht nun darauf. Und diese Namen finden sich wieder auf den Ausweisen, die Becker an 20 Mitglieder der Jugendfeuerwehren Erbach und Leimen verteilt. Das Team Notfalldarstellung vom Kreisverband des Roten Kreuzes schminkt sie, dass sie sehr glaubwürdig „verletzt“ aussehen, Blutungen oder Brandwunden haben. Auch Bruder Markus Steinberger, Franziskaner in St. Bonifatius und Notfallseelsorger, spielt mit seinem Kollegen Hansa Fabritz einen der Betroffenen. „Das ist mal eine andere Perspektive – ich kann sehen, wie die Leute und wie meine Kollegen reagieren“, sagt er.
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„Ziel ist, die Zusammenarbeit zu üben, um schnell die Menschen zu retten, das Haus zu evakuieren, Verletzte gut zu sichten, zu versorgen und abzutransportieren“, erklärt Becker das Übungsziel. Dann werden schon Rauchpatronen gezündet, simulieren Disconebel und Lichteffekte einen Kellerbrand, und es rennen die ersten „Verletzten“ schreiend aus dem Wohnblock.
Zunächst rückt nur ein Löschfahrzeug an – und dessen Besatzung wird sofort bestürmt. „Feuer, Feuer“, kreischen einige, „Mein Vadder ist drin, holt mein Vadder raus!“, ruft einer. Nun durch eine hustende, kreischende Menge Schläuche auszurollen, sie an den Hydranten anzuschließen und die richtigen Prioritäten zu setzen – das ist nicht einfach. Und weil die „Verletzten“ sehr realistisch husten, kreischen und stöhnen, gerät mancher der Einsatzkräfte sichtlich in Stress, obwohl alles nur eine Übung ist.
Nach und nach treffen immer mehr Feuerwehrfahrzeuge ein, werden Lichtmasten ausgefahren, brummen die Motoren der Pumpen, während mehrere Trupps von Feuerwehrleuten – mit Atemschutz und schwer beladen mit Schlauchkorb, Strahlrohr, Axt, Hebel- und Brechwerkzeug sowie Rauchvorhang – in das verqualmte Haus eindringen. „Aber es läuft gut, es sind schließlich alles freiwillige Feuerwehrleute – und dann so eine komplexe Lage“, lobt Becker seine Kameraden.
Die Abteilungen Feudenheim, Wallstadt und Seckenheim sind da, andere Abteilungen mussten kurzfristig absagen – weshalb eine Drehleiter fehlt, die im Ernstfall eingesetzt würde. Und wie immer fehlt am Anfang Personal, doch Zugführer Gregor Gehrke als Einsatzleiter teilt schnell die Trupps ein, lässt Verletzte herausschleppen und auch Türen aufbrechen, um sicher zu sein, dass niemand bewusstlos im Qualm liegt. 30 Feuerwehrleute mit fünf Fahrzeugen hat er am Ende zur Verfügung, „und wie immer Probleme mit Gaffern“, seufzt er.
Die Besatzung des ersten Rettungswagens, der eintrifft, erkennt schnell, was los ist. „MANV Zehn“ gibt die Notfallsanitäterin an die Leitstelle durch, das Codewort für einen Notfall mit einer größeren Anzahl von Verletzten sowie anderen Geschädigten. Schnell flackern entlang der ganzen Lilienthalstraße Blaulichter. Fünf Rettungswagen und fünf Krankentransportwagen bietet der Arbeiter-Samariter-Bund auf, besetzt mit regulärem Personal ebenso wie mit Auszubildenden der Franz Anton Mai-Schule sowie ehrenamtlichen Helfern, dazu drei Notärzte und der Führungsdienst.
Arzt sichtet viele „Verletzte“
„Elf grün, vier gelb, drei rot“, fasst Einsatzleiter Patrick Engelmann am Ende zusammen, sprich drei Personen in Lebensgefahr, vier Schwerverletzte und elf, die nicht dringend versorgt werden müssen. Aber das muss zuvor ein Sichtungsarzt bestimmen, die Dringlichkeit der Verletzung feststellen – doch natürlich herrscht an der Patientenablagestelle erst mal Chaos, und nicht jeder, der laut schreit, bedarf sofortiger Hilfe. Das zu erkennen, ist ein wichtiger Teil der Übung, bei der auch das Ausfüllen der Verletztenanhängekarten und die Registrierung trainiert wird – damit am Ende bei Fragen von Angehörigen klar ist, wo ein Erkrankter gelandet ist.
Auch nicht verletzte, aber besorgte, unter Schock stehende Personen brauchen Hilfe – weshalb vier Notfallseelsorger und ihr Einsatzleiter Stefan Kraus anrücken. „Wir werden in solche Übungen viel zu selten einbezogen“, ist er dankbar für die Chance, hier mit seinen Kollegen trainieren zu können, Menschen zu betreuen und zu beruhigen.