Mannheim. Der Schlussvorhang ist bei den Mannheimer Puppenspielen bereits nach der Abschiedsvorstellung mit den „Bremer Stadtmusikanten“ gefallen. Jetzt haben Figuren, Gespenster, Hexenhäuschen, Zirkuswagen, aber auch Werkzeug, Bilder und Geschirr ihr angestammtes Domizil im Keller der U2-Schule verlassen. Beim Flohmarkt „Alles muss raus!“ fand zwar viel, aber nicht alles ein neues Zuhause. Beispielsweise blieben einige der frühen Charakterköpfe in einem alten Regal liegen. Auch wenn dieses entsorgt werden dürfte, soll das Sperrmüll-Schicksal keineswegs künstlerisch Wertvolles ereilen - was auch für die ausdrucksstarken Häupter einer „Theater auf dem Arm“-Inszenierung von 1958 gilt.
Später Freitagnachmittag: Wehmut durchzieht jene Kellerräumlichkeiten, wo 1970 das vor 65 Jahren gegründete „Figurentheater im Quadrat“ (so der einstige Beiname) sein festes Domizil bekam. Auch wenn Flohmarkt-Schnäppchen erhofft werden, wollen viele in erster Linie ihre ganz persönlichen Erinnerungen an unvergessene Aufführungen - oftmals mit eigenen Sprösslingen, später mit den Enkeln - gewissermaßen leibhaftig bewahren. Wie jene Frau, die sofort zu einem etwas schräg anmutenden Brett mit einem Dutzend Mäuse greift: Die kuriose Schar von Mini-Nagern, die beim Rütteln eines montierten Stabes vermeintlich zu wuseln beginnt, verblüffte schon vor gut 40 Jahren, als die „kleine Hexe“ (nach dem Buch von Otfried Preußler) bei so manchem Abrakadabra murkste – was zu Mäusen statt Magie führte und Rabe Abraxas in Aufregung versetzte.
Beine oben, Rock unten, die knielange Spitzenunterhose mittig - davor bleibt Claudia Hilsenbeck-Lay mit nostalgischen Blick stehen. Sie kennt die Königin, die im Märchen „der Hasenhirt“ einen Kopfstand machen muss, nur zu gut. Schließlich hat die Lehrerin die Figur vor 25 Jahren in einem Workshop-Projekt erarbeitet. Überhaupt nutzen „Ehemalige“ die am Freitagnachmittag wie Samstagvormittag angesetzten Flohmarkt-Termine für einen Abschiedsbesuch. Beispielsweise Tony Gerstle, die sich kurz vor ihrem 90. Geburtstag die höchst beschwerliche Eingangstreppe zumutet, um noch einmal in jene Werkstatt zu schauen, wo sie einst Kostüme mit Liebe zum Detail nähte. Und der inzwischen 83-jährige Otto Barth, der 1993 in dem ungewöhnlichen „Puppenspiel vom Doktor Faust“ brillierte, steht beim Schlussverkauf der besonderen Art als Ansprechpartner bereit und erzählt so manch köstliche Anekdote.
„Schade!“: Dieses Wort zieht sich einem roten Faden gleich durch Gespräche, die Frauen und Männer aller Altersgruppen mit Heinz von Neuenstein, Dirk Nowakowski und Niko Vakalakis führen. Und das sind jene Drei, die seit Jahrzehnten mit Leib, Seele, kreativem Kopf und ganz viel Leidenschaft die Puppen tanzen ließen. Ihre Hoffnung, dass möglichst viele der Figuren, die weder von anderen Theatern noch Museen übernommen wurden, zu neuem Leben erwachen, die dürfte sich erfüllen – jedenfalls bei den von Lehrerinnen erworbenen Puppen wie Requisiten, die, wie sie erzählen, im Unterricht und bei Schulprojekten eingesetzt werden sollen. Und deshalb kauft eine Pädagogin zusätzlich einen riesigen Lederkoffer. Schließlich haben sich solcherart Behältnisse bei „Aus dem Koffer geplaudert“- Inszenierungen als wahre Bühnen-Tausendsassas erwiesen.
Requisiten werden auch weiterhin über Homepage des Puppenvereins verkauft
„Fünfeinhalb Jahrzehnte sind für eine Kathedrale nichts, für eine Schildkröte ausreichend, aber für ein Puppenspielerleben eine ganze Menge“, verabschiedet sich Heinz von Neuenstein, der bereits als Gymnasiast beim Figurentheater anfing, zunächst als Kulissenschieber und Donnerblechrüttler. Ein Jahrzehnt mehr hat die von der Mannheimer Theatergemeinde initiierte Spieleinrichtung erreicht. Der vor 22 Jahren gegründete und von Corona gebeutelte Trägerverein ist zuversichtlich, mit dem Erlös aus dem Schlussverkauf noch ausstehende Rechnungen, beispielsweise für Strom und Versicherungen, begleichen zu können. Und sollte Geld übrig bleiben? „Dann bekommt dies satzungsgemäß bei der Vereinslauflösung die Stadt für Kulturelles“, erläutert der pensionierte Grundschul-Rektor von Neuenstein.
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Auch wenn mit Übergabe der Räumlichkeiten am 31. März das Ende naht, besteht noch die Chance, einen Charakterkopf, eine Figur oder Requisite zu erwerben. „Einfach auf unsere Homepage schauen“, lautet Neuensteins Abschiedstipp.
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