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Mannheimer Puppenspiele: Wehmütige Stimmung beim „Alles muss raus!“-Flohmarkt

Die Mannheimer Puppenspiele hören auf und verlassen in einem Monat ihre Räume im Keller der U2-Schule. Bei einem Flohmarkt fanden einige Königinnen, Gespenster und Mäuse ein neues Zuhause

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Mit dem Verkauf von Puppen und Requisiten verabschieden sich die Mannheimer Puppenspiele für immer. © Michael Ruffler

Mannheim. Der Schlussvorhang ist  bei den Mannheimer Puppenspielen bereits nach der Abschiedsvorstellung mit  den „Bremer Stadtmusikanten“ gefallen. Jetzt haben Figuren, Gespenster, Hexenhäuschen, Zirkuswagen, aber auch Werkzeug,  Bilder und Geschirr ihr angestammtes Domizil im Keller der U2-Schule  verlassen. Beim Flohmarkt „Alles muss raus!“  fand zwar viel, aber nicht alles ein neues Zuhause. Beispielsweise  blieben  einige  der  frühen Charakterköpfe  in einem alten Regal liegen.  Auch wenn dieses entsorgt werden dürfte, soll das Sperrmüll-Schicksal  keineswegs   künstlerisch Wertvolles  ereilen -  was auch für die ausdrucksstarken Häupter einer „Theater  auf dem  Arm“-Inszenierung von 1958 gilt.

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Noch herrscht Trubel bei den Mannheimer Puppenspielen

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Später Freitagnachmittag: Wehmut  durchzieht  jene  Kellerräumlichkeiten, wo 1970 das vor  65 Jahren gegründete  „Figurentheater im Quadrat“  (so der einstige Beiname)  sein festes  Domizil  bekam. Auch wenn Flohmarkt-Schnäppchen erhofft werden, wollen viele in erster Linie  ihre ganz persönlichen Erinnerungen  an unvergessene   Aufführungen - oftmals mit eigenen Sprösslingen, später mit den Enkeln - gewissermaßen  leibhaftig bewahren. Wie jene Frau, die sofort zu einem etwas schräg  anmutenden Brett mit einem Dutzend  Mäuse greift: Die  kuriose Schar von Mini-Nagern, die beim Rütteln eines montierten Stabes vermeintlich  zu wuseln beginnt, verblüffte schon vor gut  40 Jahren, als  die „kleine Hexe“ (nach dem Buch von Otfried Preußler) bei so manchem Abrakadabra murkste – was zu Mäusen statt Magie führte und Rabe Abraxas in Aufregung versetzte.

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Wehmütige Stimmung beim "Alles muss raus!"-Flohmarkt

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Beine oben, Rock  unten, die knielange Spitzenunterhose mittig - davor bleibt Claudia Hilsenbeck-Lay mit nostalgischen Blick stehen. Sie kennt die Königin, die im Märchen „der Hasenhirt“ einen Kopfstand machen muss, nur zu gut.  Schließlich hat die Lehrerin die Figur vor 25 Jahren in einem Workshop-Projekt erarbeitet. Überhaupt nutzen  „Ehemalige“ die am Freitagnachmittag wie Samstagvormittag  angesetzten Flohmarkt-Termine für einen Abschiedsbesuch. Beispielsweise Tony Gerstle, die sich kurz vor ihrem 90. Geburtstag  die höchst beschwerliche  Eingangstreppe zumutet, um noch einmal  in jene Werkstatt zu schauen, wo sie einst Kostüme mit Liebe zum Detail nähte. Und der inzwischen 83-jährige Otto Barth, der 1993 in dem ungewöhnlichen „Puppenspiel vom Doktor Faust“  brillierte, steht beim Schlussverkauf der besonderen Art  als  Ansprechpartner bereit und erzählt so manch köstliche Anekdote. 

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 „Schade!“: Dieses Wort zieht sich einem roten Faden gleich durch  Gespräche, die Frauen und Männer  aller Altersgruppen mit Heinz von Neuenstein, Dirk Nowakowski und Niko Vakalakis  führen. Und das sind jene Drei, die seit  Jahrzehnten mit Leib, Seele, kreativem Kopf und ganz viel Leidenschaft die Puppen tanzen ließen.  Ihre Hoffnung, dass  möglichst viele  der  Figuren, die weder von anderen Theatern noch Museen übernommen wurden, zu neuem Leben erwachen, die dürfte sich erfüllen – jedenfalls bei den von Lehrerinnen erworbenen  Puppen wie Requisiten, die, wie sie erzählen, im Unterricht und bei Schulprojekten  eingesetzt werden sollen. Und deshalb kauft eine  Pädagogin  zusätzlich einen riesigen Lederkoffer. Schließlich haben sich solcherart  Behältnisse bei „Aus dem Koffer geplaudert“- Inszenierungen als wahre Bühnen-Tausendsassas erwiesen.

Requisiten werden auch weiterhin über Homepage des Puppenvereins verkauft

„Fünfeinhalb Jahrzehnte sind für eine Kathedrale nichts, für eine Schildkröte ausreichend, aber für  ein Puppenspielerleben eine ganze Menge“, verabschiedet sich Heinz von Neuenstein, der bereits als Gymnasiast beim Figurentheater anfing, zunächst als Kulissenschieber und Donnerblechrüttler. Ein Jahrzehnt mehr hat die von der Mannheimer Theatergemeinde initiierte Spieleinrichtung erreicht. Der vor 22 Jahren gegründete und von Corona gebeutelte Trägerverein ist zuversichtlich, mit dem Erlös aus dem Schlussverkauf  noch ausstehende Rechnungen, beispielsweise für Strom und Versicherungen, begleichen zu können. Und sollte Geld übrig bleiben? „Dann bekommt dies satzungsgemäß bei der Vereinslauflösung die Stadt für Kulturelles“, erläutert der pensionierte Grundschul-Rektor von Neuenstein.

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Auch wenn mit Übergabe der Räumlichkeiten am 31. März das Ende naht, besteht noch die Chance, einen Charakterkopf, eine Figur oder Requisite zu erwerben. „Einfach auf unsere Homepage schauen“, lautet Neuensteins  Abschiedstipp.

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