Figurenbühne

Eine Ära endet: Schlussvorhang bei den Mannheimer Puppenspielen

65 Jahre lang haben die Mannheimer Puppenspiele Kinder und Erwachsene begeistert - jetzt ist in der U2-Schule der letzte Vorhang gefallen. Der Puppenspieler-Nachwuchs fehlt, die Bühne löst sich auf

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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1999 wurde „Mathilde und das Gespenst“ (hier mit Heinz von Neuenstein) zum ersten Mal aufgeführt – nun bleibt der Vorhang zu. © Puppenbühne

Mannheim. Heinz von Neuenstein ist noch Gymnasiast, als er bei den Mannheimer Puppenspielen im Keller der U 2-Schule zunächst als begeisterter Kulissenhelfer das Donnerblech bewegt. Heute, 56 Jahre später, löst der Spielleiter gemeinsam mit den beiden letzten, ebenfalls ehrenamtlichen Ensemble-Akteuren Niko Vakalakis und Dirk Nowakowski die 1958 gegründete Figurenbühne auf. Puppen wie Spieler haben sich in letzten Vorstellungen verabschiedet. Den Schlussakt setzt am 24. und 25. Februar ein „Alles muss raus!“-Theaterflohmarkt.

Chronologie

  • Das von der Theatergemeinde 1958 initiierte Puppentheater probte und spielte zunächst an unterschiedlichen Standorten, auch im damaligen Schloss-Wachhäuschen.
  • Die erste Spielstätte wurde in D 5,4 eröffnet, später folgten Reise-Jahre. 1970 fand das Figurentheater im Quadrat“ im umgebauten Schulhaus U 2 (Kurpfalzkreisel) ein festes Domizil.
  • Neben den Märchen für Kinder gab es Erwachsenenstücke wie „Münchhausen“, außerdem (ohne Puppen) literarische Podien mit Gastauftritten. Für die Inszenierung von Carl Zuckmayers „Katharina Knie“ wirkten 1982 bei den Musikaufnahmen Solisten des Nationaltheaters mit.
  • Zum 20. Geburtstag titelte der „MM“: „Laien mit Können von Profis lassen die Puppen tanzen“
  • Mit dem „ Hühnerhof“ nach einem Lied von Frederic Vahle startete 1987 das Angebot für Kinder unter fünf Jahren.
  • Folgende Theaterleiter trugen mit engagierten Teams zum Erfolg bei: Jochem Helfrich (bis 1965), danach zehn Jahre Günter Baacke. Karl H. Kunst und Heinz von Neuenstein standen von 1976 bis 1989 gemeinsam an der Spitze, danach Neuenstein allein.
  • Die zwei letzten Vorstellungen der „Bremer Stadtmusikanten“ sind am 12. Februar ausgebucht. Noch Karten gibt es zur Abschiedsplauderei mit Heinz von Neuenstein am Samstag, 11. Februar, 17 Uhr: „Mein Leben mit dem Kater“.
  • Für den Theaterflohmarkt „Alles muss raus“ am Freitag, 24. Februar, 17 bis 19 Uhr, und am Samstag, 25. Februar, 10 bis 12 Uhr, ist Voranmeldung erwünscht. Siehe Homepage www.mannheimer-puppenspiele.de. 

Eine Ära endet. Und die ist mannigfach mit Familienbiografien verwoben: Weil viele Mädchen und Jungen, die vor Jahrzehnten (beispielsweise) in das Hauff-Märchen vom falschen Prinzen eintauchten, sich später mit eigenen Sprösslingen von der Kleinen Hexe samt Raben Abraxas nach dem Buch von Otfried Preußler verzaubern ließen und eine Generation danach mit Enkelkindern „Mathilde und das Gespenst“ bestaunten. Und so allerlei Besonderheiten erlebter Szenen dürften im Gedächtnis geblieben sein: Dass etwa in dem Prokofjew-Musikmärchen „Peter und der Wolf“ der vierbeinige Räuber einem dicken Dackel glich – um den Jüngsten im Publikum die Furcht vor dem Wolf zu nehmen, der sich stets mit unheilverkündenden Waldhornklängen anpirschte. Und bei all jenen, die das (mehrfach inszenierte) Spektakel um „Zwerg Nase“ und die Suche nach dem Kräutlein „Niesmitlust“ gesehen haben, wabert vermutlich das gestöhnte „Sapperlot, ist das eine Aufregung!“ noch in den Hirnwindungen.

Bis zu zwei Kilogramm schwer

Als das Team während der Corona-Pandemie die vorstellungsfreie Zwangspause für Dokumentationsarbeiten nutzte, versammelten sich unzählige Figuren aus dem Fundus dort, wo sonst das Publikum erwartungsvoll sitzt. In Stuhlreihen offenbarten Könige, Prinzessinnen, Tiere, Geister und Fabelwesen den Wandel von Spiel-Philosophien. Bis zu zwei Kilo wogen die anfänglich 70 bis 90 Zentimeter großen, meist üppig kostümierten und mit Perücken versehenen Gestalten mit Stab: Sie stammten anfänglich von Klassen der Freien Mannheimer Akademie und dem dort lehrenden Bildhauer Gerd Dehof, der auch das Blumepeter-Denkmal entwarf. Später vermochte sich ein schnöder Sack in einen schrulligen Müller zu verwandeln. Und die klassische Guckkastenbühne sollte allmählich einem offenen Spiel weichen – bis hin zu Werkstatt-Plaudereien direkt aus dem Koffer.

Dirk Nowakowski bei der Arbeit in der Werkstatt. © Mannheimer Abendakademie

Als die Theatergemeinde und damit der Rechtsträger der Puppenspiele aufgelöst wurde, schaffte es ein gegründeter Verein, nahtlos weiterzumachen. In jenen Zeiten, als das Ensemble so personenstark war, dass Inszenierungen mehrfach besetzt und das Rumpelstilzchen 93 Mal aufgeführt wurde, hätte niemand gedacht, dass es eines Tages an Nachwuchs fehlen würde.

Bei dem inzwischen pensionierten Grundschul-Rektor Heinz von Neuenstein, dem aktiven Sonderschullehrer Niko Vakalakis, der 1989 als Jugendlicher seine Leidenschaft für Figurenspiel und Bühnenwerkeln entdeckte, und dem Profi-Märchenerzähler Dirk Nowakowski , seit 1994 mit Leib, Seele wie kreativem Kopf dabei, reifte der Entschluss: Das kleine Theater mit dem großen Erfolg während 65 Jahren soll nicht ausplätschern. Der letzte Akt mit Schlussvorhang wird gemeinsam inszeniert. Und dazu gehört, für möglichst viele Figuren einen adäquaten Aufbewahrungsort zu finden.

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Die Augsburger Puppenkiste hat Interesse an der Komplettausstattung einer Inszenierung signalisiert. Das Museum für Puppentheater-Kultur in Bad Kreuznach will einige der Kreativschöpfungen ausstellen. Außerdem gibt die zu den Reiss-Engelhorn-Museen gehörende Mannheimer Theatersammlung mehreren Schöpfungen aus dem Reich der Fabeln wie Abenteuer ein neues Zuhause. Obendrein haben private Liebhaber die Chance, eine Märchenfigur, ein Fantasietier oder eine Bühnenrequisite, gar mit persönlichem Erinnerungswert, beim Flohmarkt zu erwerben.

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Zum Vierzigjährigen titelte der „MM“: „Theater auf dem Arm für Kopf und vor allem Herz“. In beiden dürften Erinnerungen an die Puppenspiele lebendig bleiben, jedenfalls bei jenen, die im U 2-Domizil Vorstellungen gesehen haben – ob den etwas anderen „Doktor Faust“, das ach so „erschröckliche“ „Gespenst von Canterville“ oder die mit Licht und Schatten ungewöhnlich aufbereitete Geschichte vom „Fischer und seiner Frau“.

Freie Autorin

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