Der 11. September ist ein geschichtsträchtiger Tag. Viele wissen, was sie 2001 gemacht haben, als Flugzeuge in die Twin Towers in New York geflogen sind. Wahrscheinlich auch Isabel Cademartori . „Das Datum ist für mich in erster Linie der Tag des Putsches“, sagt die Mannheimer Bundestagsabgeordnete aber. „Meine Lebensgeschichte hängt mit dem 11. September 1973 zusammen. Ohne den Tag gäbe es mich nicht.“
Im Juli, wenige Wochen vor dem Putsch, ernennt Präsident Salvador Allende einen neuen Wirtschaftsminister: den Ökonom und Politikwissenschaftler José Cademartori, später Großvater der 1988 geborenen Sozialdemokratin. Als Minister sei er „eine tragende Figur der Allende-Regierung“ gewesen. Cademartori, laut seiner Enkelin auch ein namhafter Wissenschaftler, taucht nach dem Putsch zunächst unter, wird aber schon wenige Tage später verhaftet und mit weiteren Prominenten, wie es die Mannheimerin sagt, auf die „kalte Insel“ Dawson gebracht.
Über Venezuela in die DDR
Drei Jahre verbringt die Gruppe dort in Haft, ehe Cademartori – mit Hilfe demokratischer US-Amerikaner wie Ted Kennedy, einem Bruder des späteren US-Präsidenten John F. – freikommt. Er muss mit seiner Frau und beiden Kindern, darunter Isabel Cademartoris Vater, ins Exil. Über Venezuela und Kuba gelangt die Familie in die DDR, wo Isabel Cademartoris Vater ihre Mutter kennenlernt und sie 1988 zur Welt kommt. Sie selbst lebt von 1989 an elf Jahre lang in Chiles Hauptstadt Santiago.
Sie spreche häufig mit ihrem Großvater, der seit Ende der 1980er und mit heute fast 93 Jahren wieder in Chile lebe, über die Zeit vor dem Putsch. Die Gespräche drehten sich dann „gerne und ausführlich um politische Erfolge und wie die zustande gekommen sind“. So habe ihr Großvater Auslandsschulden neu verhandelt, die das Land belasteten. Das Persönliche aber meide er. „Über die Haft spricht er kaum. Das fällt ihm schwer.“ Auch ihr Vater nicht. „Wir haben nie darüber gesprochen, wie er das als 15-Jähriger erlebt hat.“
Wenn Vater und Großeltern über die Zeit sprächen, dann mit Humor. So kenne sie die Geschichte ihrer Oma, die nach dem Putsch noch Geld abheben gekonnt habe – weil der italienisch-stämmige Name Cademartori auf der Fahndungsliste falsch geschrieben gewesen sei. „Das könnte uns auch in Deutschland passieren“, lacht die Enkelin. „Der Humor ist vielleicht ein Weg, mit den Ereignissen umzugehen.“
Schwierige Aufarbeitung
José Cademartori sei noch immer Mitglied der Kommunistischen Partei und politisch interessiert, erzählt seine Enkelin, in der SPD-Bundestagsfraktion Expertin für Lateinamerika. Die Aufarbeitung der Diktatur gehe mühsam voran. „Es gibt keinen Konsens, wie man die Zeit bewertet.“ Jüngst gebe es wieder stärkere Strömungen, Pinochet zu verherrlichen. „Der Rechtspopulismus ist auch in Chile im Aufschwung.“
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