Mannheim. Chamäleons sind faszinierende Tiere. Die Reptilien können ihre Farbe wechseln, um Stimmungen auszudrücken oder um sich zu tarnen. Nun ist Thomas Bischoff kein Reptil, sondern neuer Stadtrat der Satire-Partei Die PARTEI.
Weil er als solcher aber ernste Themen auch aufs Korn nehmen möchte, hatte Bischoff nach der Wahl erklärt, sich im Gemeinderat „flexibel wie ein politisches Chamäleon verhalten“ zu wollen. Einer Fraktion wolle er sich nicht anschließen. „Ich bin eher der Typ für die politische Affäre statt für die Langzeitbeziehung.“ Eine wie auch immer geartete politische Liebelei mit der AfD schloss Bischoff aus.
Mannheimer CDU muss Ausschuss-Plätze an Grüne abgeben
Vier Wochen später wird aus dem farbenfrohen Chamäleon nun doch ein (dauer)grünes Reptil. Der Satiriker Bischoff schließt sich den neun Mitgliedern der Grünen-Fraktion an, wie beide Seiten am Mittwoch dieser Redaktion erklärten.
Die Fraktion Die Grünen/Die PARTEI kommt auf zehn Sitze im Gemeinderat - und ist damit neben der CDU die größte. Das ist in einer Situation, in der kein Lager eine klare Mehrheit hinter sich weiß, mehr als Prestige.
Der Zusammenschluss hat machtpolitische Gründe. So muss die CDU wegen der veränderten Verhältnisse in einigen Ausschüssen mit zwölf Sitzen eine Stimme an die neue Fraktion abtreten, wodurch ein Patt von 6:6 Stimmen entstehen dürfte. Welche Ausschüsse das betrifft, müssen Gespräche zwischen CDU und der Fraktion zeigen. Auch auf die Verteilung der Aufsichtsräte hat der Zusammenschluss ähnliche Auswirkungen.
Mehrheiten im Mannheimer Gemeinderat ändern sich nicht
In Ausschüssen werden Anträge beraten und abgestimmt, ehe sie mit Mehrheit in den Gemeinderat kommen. In diesen Gremien sah sich das linke Lager nach der Wahl mit einer 7:5-Mehrheit des konservativen Lagers konfrontiert, wenn die AfD deren Anträge mittragen würde.
„Wir wollen in unseren zentralen Themen Klima, Umwelt, wirtschaftliche Transformation und Soziales in den nächsten Jahren deutlich weiterkommen und erwarten uns einen Vorteil in Abstimmungen und beim Erreichen von Mehrheiten“, sagt Gabriele Baier, die mit Nina Wellenreuther die Fraktion führt. Auf die Mehrheiten im Gemeinderat hat der Zusammenschluss keine Auswirkungen. Hier kommt das Lager von SPD, Grüne/Partei und LTK-Fraktion aus Linkspartei, Tierschutzpartei und Klimaliste weiterhin auf 23 von 48 Sitzen. Der Oberbürgermeister hat eine 49. Stimme.
„Unsere Sorge war, dass unsere Themen schon in den Ausschüssen mit konservativer Mehrheit abgeräumt werden“, sagt Wellenreuther. Zwar wolle man auch weiterhin Mehrheiten mit der CDU suchen und betone dazu Gesprächsbereitschaft mit allen Parteien außer der AfD. „Aber wir wollten uns nicht darauf verlassen, dass sich Mehrheiten ohne uns finden und die Stadt nur so gestaltet wird, wie sich das CDU und auch unser Oberbürgermeister vorstellen.“
Chris Rihm komplettiert den Fraktionsvorstand, der weiterhin aus Grünen besteht. „Wir haben unsere einmalige Chance genutzt, Themen progressiv weiterzuentwickeln und zu verhindern, dass das konservative Lager das Rad ein Stück weit wieder zurückdreht“, sagt er.
Fraktionsvorstand der Grünen sieht viele inhaltliche Schnittmengen
Bischoff profitiert ganz praktisch. Als Einzelstadtrat wäre er kein Mitglied von Ausschüssen gewesen. Welche er nun besetzt, war noch nicht klar. Zudem will der Politneuling von erfahrenen Fraktionsmitgliedern „lernen, wie Kommunalpolitik funktioniert“. So habe er insgesamt ein Angebot bekommen, das er nicht habe ablehnen können, zitiert Bischoff aus dem Film „Der Pate“. „Ohne den weitsichtigen und vor allem mutigen Schritt der Grünen wären mir Macht und Teilhabe verwehrt geblieben.“ In der Fraktion möchte er sich vor allem um die Belange von Ehrenamtlichen und Arbeitern kümmern.
Mit Lea Schöllkopf gehörte eine Politikerin der PARTEI auch dem letzten Rat an, in dem sie mit Linkspartei und Tierschutzpartei die LI.PAR.Tie gebildet hatte. Die Fraktion wurde nicht fortgesetzt, nachdem sich dem Vernehmen nach Satiriker, aber auch Linke und Tierschutzpartei von der Zusammenarbeit mehr versprochen hatten.
Viel wird am Mittwoch über Macht gesprochen. Doch es gibt einen zweiten Teil. Den, über den auch intern diskutiert worden sein dürfte, ehe die Fraktionsmitglieder der Grünen mit großer Mehrheit für den Zusammenschluss stimmten. Die PARTEI will Satire betreiben und war mit Ideen in den Wahlkampf gezogen, wie legalisierte Hanfpflanzen über Schlaglöcher wachsen zu lassen. Auch will man eine U-Boot-Fähre einführen, nachdem alle Brücken nach Ludwigshafen gesprengt worden sind.
Er wolle es sich, sagt Bischoff, weiterhin nicht nehmen lassen, „den anderen“ mit satirischen Äußerungen den Spiegel vorzuhalten. Können die Grünen so ihrem Anspruch als seriöse (mit)stärkste Fraktion wirklich gerecht werden?
Dinge zu parodieren, bringt die Chance, Themen aus anderen Winkeln zu betrachten. Das eine muss das andere nicht ausschließen.
Der Vorstand sieht das natürlich so, räumt aber ein, dass es zwischen Grüne und PARTEI in der Kommunikation Unterschiede gibt. Inhaltlich allerdings würden die vielen Schnittmengen überwiegen, sagt Wellenreuther. Die Fraktion rechnet mit Kritik über soziale Medien - die gebe es aber unabhängig von Parteifarbe oder Entscheidungen jederzeit.
„Wir versuchen ein Experiment, von dem wir uns mit überschaubarem Risiko aber viel versprechen“, sagt Rihm. Bischoff adressiere relevante Themen, sagt Wellenreuther, wenn er über gesprengte Brücken spricht. „Die Infrastruktur ist marode. Das treibt viele in der Stadt um.“ Überspitzungen könnten Themen mit Nachdruck setzen, ist die einhellige Meinung. „Kommunalpolitik ist ein knallhartes Geschäft“, sagt Rihm. „Dinge zu parodieren, bringt die Chance, Themen aus anderen Winkeln zu betrachten. Das eine muss das andere nicht ausschließen.“
Und Bischoff? „Das ist auch für mich ein Abenteuer“, sagt er, und er sei guter Dinge. Und im Notfall könne er ja den satirischen Fallschirm ziehen, wie er sagt. Welche Folgen das hätte, bleibt zunächst offen.
Wellenreuther sieht im Zuwachs eine weitere Chance. Der ehemalige Soldat Bischoff arbeitet als Lagerist und engagiert sich als Betriebsrat. „Uns wird oft vorgeworfen, dass nur Akademiker und Akademikerinnen in unseren Reihen sitzen. Da kann er neue Perspektiven einbringen.“ Das Chamäleon ist nun erstmal grün.
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