Justiz

Mannheimer Marktplatz-Prozess: Angehörige üben Kritik an milder Strafe und Freispruch

Der Prozess um den Tod von Ante P. auf dem Mannheimer Marktplatz ist am heutigen Freitag zu Ende gegangen. Welche Reaktionen es auf das Urteil gab und wie es nun weitergeht

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Agnes Polewka
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Das Mannheimer Schwurgericht hat am Freitag einen Polizisten zu einer Geldstrafe verurteilt, seinen Kollegen sprach es frei. © Christoph Blüthner

Mannheim. „50 Euro für ein Menschenleben?“, rief eine Frau am Freitag im Sitzungssaal 1 des Mannheimer Landgerichts. Es war der siebte Verhandlungstag im Prozess um den Tod von Ante P. am 2. Mai 2022 auf dem Mannheimer Marktplatz nach einem Polizeieinsatz - und der Tag des Urteils, das natürlich umfassender ausfiel: Die Mannheimer Richter verurteilten den Hauptangeklagten, einen 27-jährigen Polizisten, zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 50 Euro wegen Körperverletzung im Amt, seinen Kollegen sprachen sie vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen frei. Mit dem Urteil können beide Polizisten im Dienst bleiben.

Die beiden Männer mussten sich wegen eines Polizeieinsatzes am 2. Mai 2022 auf dem Mannheimer Marktplatz vor Gericht verantworten. Der 27 Jahre alte Hauptangeklagte sprühte dem psychisch kranken Ante P., der zurück ins Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit gebracht werden sollte, Pfefferspray ins Gesicht und versetzte ihm vier Faustschläge, während Ante P. bereits am Boden lag. Kurze Zeit später starb er.

Kommentar Warum man im Marktplatz-Prozess von akribischer Aufarbeitung sprechen kann

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„Sein Tod und die Umstände seines Todes sind tragisch“, sagte der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz in der Urteilsbegründung. „Es ist tragisch, dass er im Zuge eines Polizeieinsatzes starb, der das Ziel hatte, ihn in ein psychiatrisches Krankenhaus zurückzubringen. Ohne diesen Polizeieinsatz wäre er zu diesem Zeitpunkt nicht gestorben.“

Die Kammer habe vor allem zwei Fragen zu beantworten gehabt: Waren die Faustschläge des Hauptangeklagten mit todesursächlich? Und: Hätte Ante P. gerettet werden können, wenn man ihn in die stabile Seitenlage gedreht und ihn zeitnah reanimiert hätte? Zur Beantwortung dieser Fragen sei die Klärung der Todesursache wichtig gewesen.

Mannheimer Marktplatz-Prozess: Schwester will Revision einlegen

Im Zuge der Verhandlung waren sich Experten genau in dieser Frage aber uneins. Während im ersten Gutachten noch von einem Erstickungstod infolge der Faustschläge die Rede war, sprachen weitere Sachverständige von Herzversagen, einem plötzlichen Herztod. Ginge man von Letzterem aus, hätten alle Rettungsversuche ohne Defibrillator den Mann nicht retten können, so ein Sachverständiger während des Verfahrens. Es habe nicht sicher ausgeschlossen werden können, dass sich Ante P., der unter massiven Herzproblemen litt, so sehr über den „rechtmäßig erfolgten“ Polizeieinsatz aufregte, dass er eines plötzlichen Herztodes starb, sagte Rackwitz. Auf Grundlage dieser Annahme sei der 26-jährige Angeklagte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen frei zu sprechen. Und auch der Vorwurf der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge sei gegenüber dem Hauptangeklagten nicht aufrechtzuerhalten.

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Den Einsatz des Pfeffersprays werteten die Mannheimer Richter - anders als die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer - als gerechtfertigte Handlung, die aus Notwehr erfolgte. Dies gelte aber nicht für die Faustschläge, die „keine gebotene Verteidigungshandlung“ dargestellt hätten, so Rackwitz.

„Mein Bruder wurde mit Fäusten geschlagen“, sagte die Schwester von Ante P. nach dem Urteil im Gespräch mit dieser Redaktion. Ante P. komme nie mehr zurück, aber sie wolle weiterkämpfen, „um andere psychisch kranke Menschen zu schützen“. Der Nebenklage-Vertreter der Frau, Rechtsanwalt Engin Sanli aus Stuttgart, gab nach dem Urteil bekannt, seine Mandantin werde Revision einlegen und strebe auch zivilrechtliche Schritte an. „Das Urteil diskriminiert psychisch kranke Menschen“, sagte er.

Ob auch die Mutter des Opfers Revision gegen das Urteil einlegen wird, stand am Freitag noch nicht fest. Ihr Nebenklage-Vertreter, Rechtsanwalt Thomas Franz aus Ketsch, haderte damit, dass der Gesamtkontext, der den Tod des 47-Jährigen erst bedingte, im Urteil nicht ausreichend gewürdigt wurde.

„Mit Eintritt der Rechtskraft der Urteile werden beim Polizeipräsidium Mannheim auch die Disziplinarverfahren gegen die beiden Polizeibeamten weitergeführt“, teilte das Polizeipräsidium am Freitag mit. Werden Rechtsmittel eingelegt, wie Engin Sanli dies bereits angekündigt hat, könnte es aber noch Monate dauern, bis das Urteil rechtskräftig wird. Im Disziplinarverfahren müsse geprüft werden, welche Konsequenzen das Urteil für die weitere Laufbahn des 27-Jährigen habe, so der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Mannheim, Thomas Mohr.

Degradierung des Polizeibeamten? Disziplinarrechtliche Aufarbeitung

Wird ein Polizist zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt, verliert er nach dem Beamtenstatusgesetz seine Beamtenrechte, darf also keinen Dienst mehr tun und verliert seine Pensionsansprüche. Dies treffe hier nicht zu, so Mohr. Allerdings sei der bis zuletzt suspendierte Polizeibeamte nun vorbestraft, und in einem Disziplinarverfahren könnte es beispielsweise zu einer Degradierung kommen. Bislang hat sich der 27-Jährige allerdings noch nicht festgelegt, ob er überhaupt in den Polizeidienst zurückkehren möchte. „Ich weiß, dass er in dieser Frage sehr mit sich hadert“, sagte seine Verteidigerin, Rechtsanwältin Andrea Combé aus Heidelberg.

Thomas Mohr beklagte nach dem Urteil die massive Vorverurteilung der beiden Polizeibeamten kurz nach dem Geschehen, „auch durch den Polizeipräsidenten“, so der GdP-Vorsitzende. Außerdem kritisierte er die „Politisierung“ des Vorfalls und die „Instrumentalisierung der Angehörigen“ von Ante P. durch die sogenannte „Initiative 2. Mai“.

Die Bewegung hatte sich nach dem Tod von Ante P. gegründet, um Polizeigewalt im Allgemeinen zu problematisieren, auch fordert sie einen besseren Umgang mit psychisch kranken Menschen in Ausnahmesituationen. Die „Initiative 2. Mai“ begleitete den Prozess kritisch mit Berichten und Aktionen.

Redaktion

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