Mannheim. „Das ist so cool“, kommt Sonja Pfitzner regelrecht ins Schwärmen: Sie spricht von der Schlagschnur, die vor allem im Holzbau verwendet wird. Diese Schlagschnur dient zum Markieren mehrere Meter langer Stücke. Und sie produziert eine Markierung, die „ ist so gerade, gerader geht’s nicht“.
Lehrerin aus Mannheim macht Praktikum bei Holzbaufirma
Zum Auftragen einer Linie werden dabei die Enden der intensiv mit Kreidestaub benetzten Schnur vorsichtig an die zu markierende Fläche gehalten und die Schnur straff gespannt. Zieht man sie nun ein Stück von der Fläche weg und lässt sie los, schlägt sie auf die Oberfläche, und der anhaftende Kreidestaub markiert in einer gewählten Farbe die Linie, entlang derer danach beispielsweise gesägt werden kann.
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Diese Technik, deutet Sonja Pfitzner bei der Firma Elsässer Holzbauwerte auf eine Werkshalle, „habe ich hier kennengelernt. Das ist so einfach, so genial.“ Die Techniklehrerin an der Integrierten Gesamtschule Herzogenried (IGMH) hat bei dem Unternehmen mit Sitz auf der Friesenheimer Insel ein einwöchiges Praktikum absolviert. Wie sinnvoll und begeisternd ein solches oder auch ein längeres Praktikum sein kann – das kann sie jetzt noch besser und anschaulicher ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln.
Lehrerin im Praktikum gibt als Ausbildungslotsen Rat
Freiwillige Praktika für Lehrerinnen und Lehrer in Betrieben: Sie sind eine ziemliche Ausnahme. Marie-Theres Gerchen vom Arbeitskreis Schulewirtschaft schätzt, dass sich das in ganz Baden-Württemberg auf eine hohe zweistellige Zahl an Lehrkräften beschränkt. Dabei rührt der Arbeitskreis seit langem kräftig die Werbetrommel, um Pädagogen am Übergang zwischen Schule und Beruf mit Fachleuten aus Unternehmen zusammenzubringen.
Infos für Lehrkräfte
- Der Arbeitskreis Schulewirtschaft vermittelt Kontakte zwischen Firmen und Lehrkräften, die sich fortbilden möchten.
- Ausführliche Infos gibt es im Internet unter www.schulewirtschaft-bw.de.
- Speziell um selbstorganisierte Praktika geht es unter www.schulewirtschaft-bw.de/publikationen/broschueren.
- Infos des Kultusministeriums: lfbo.kultus-bw.de/lfb/termine/N2G29.
Gerchen arbeitet daran auf Mannheimer Ebene mit und weist unter anderem auf Betriebserkundungen zum Beispiel am 23. November bei der MVV oder im kommenden Jahr beim Gesundheitshaus Fuchs+Möller, der Elektro-Firma Kolb & Schmelcher oder der Alstom GmbH hin. Am 8. November lädt der Arbeitskreis in die IGMH zum Auftakt einer Veranstaltungsreihe ein, die den Titel trägt: „Berufe vor Ort spielerisch entdecken.“
Sonja Fey ist an der IGMH Ausbildungslotsin. Ausbildungslotsen unterstützen Schülerinnen und Schüler kurz vor dem Hauptschul- oder Realschulabschluss gezielt und individuell bei der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsplatz. Aber ebenso rührt Fey die Werbetrommel für die Lehrerpraktika: „Sie sind für alle da“, sagt sie: „Ich weiß jedoch nicht, ob das so viele Lehrkräfte auf dem Schirm haben.“
Sonja Pfitzner hat bereits Erfahrung mit Werkzeugen
Um das zu ändern, hat sie gemeinsam mit Sonja Pfitzner und Marie-Theres Gerchen zum Pressegespräch bei Elsässer Holzbauwerte geladen. Die Firma mit ihren rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat in diesem Jahr neben dem Lehrerpraktikum und zwei Schülerpraktika weitere zehn Praktikanten begleitet, berichtet Sven Cornelius.
Der gelernte Zimmermann ist auch für die Betreuung der Nachwuchskräfte zuständig, zum Beispiel für die fünf Auszubildenden, die gerade ins Berufsleben gestartet sind und hier zuvor ein Praktikum absolviert haben. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, müsse man selbst aktiv werden, betont er.
Nun ist es nicht so, dass Sonja Pfitzner in ihrer einen Woche bei dem Holzbaubetrieb zum ersten Mal ein Werkzeug in Händen gehalten hätte – ganz im Gegenteil. Als Techniklehrerin kennt sie sich natürlich gut mit handwerklichen Tätigkeiten aus. Sie liebt den Werkstoff Holz und hat einen Maschinenschein gemacht, den Umgang mit Kreis- und Bandsäge, Fräse und Hobel gelernt. Und beim Praktikum dennoch festgestellt, wie viel Neues es zu entdecken gibt.
Lehrerin im Praktikum: Vorbildfunktion für Schüler
Zum Beispiel die Schlagschnur. Oder die Maschinen, die „ganz andere Dimensionen“ haben als die, die sie bisher kennengelernt hat. Eine völlig neue Erfahrung auch: „Ich stand auf dem Dach.“ Das freihändige Laufen und Arbeiten hoch über dem Boden „hat mich sehr viel Überwindung gekostet“, gibt Sonja Pfitzner offen zu. Aber es hat mir auch viel Mut gegeben, dass ich mir das zugetraut habe.“ Die Arbeit im Praktikum sei ausgesprochen intensiv gewesen: „Ich habe jede Nacht davon geträumt, weil das so viele neue Eindrücke waren.“
Sonja Fey findet es gut, dass Lehrkräfte, die Schülerinnen und Schüler auf Praktika vorbereiten, selbst noch einmal die aktuellen Entwicklungen kennenlernen. „Sie können besser erklären und als Vorbild fungieren.“ Dass Jugendliche das Engagement von Sonja Pfitzner zu schätzen wissen, hat ein Schüler der zehnten Klasse deutlich gemacht: „Er gab mir einen extra ,Zimmermann-Handschlag’“, schmunzelt die Lehrerin über diese Form der Anerkennung.
Während ihres Praktikums habe sie „so viel gelernt und Neues gesehen, dass ich es jetzt den Schülerinnen und Schülern ganz anders erklären kann“. Außerdem: Sie hat bei anderen Kolleginnen und Kollegen die Neugier geweckt. Einige von ihnen liebäugelten jetzt ebenfalls mit einem freiwilligen Praktikum – in den kommenden Sommerferien. So soll es sein, freut sich Marie-Theres Gerchen – und hofft auf viele weitere Nachahmer.
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