Mannheim. Eine Vier-Tage-Woche im Handwerk, geht das? Ulf Schmidt war da anfangs gar nicht so sicher. Bevor der Schreinermeister aus Mannheim das Modell in seinem Betrieb eingeführt hat, hat er jedenfalls eine ganze Weile überlegt. „Im Vorhinein habe ich mir schon etwas Sorgen gemacht: Können wir uns das leisten, ist es wirtschaftlich?“, erinnert sich Schmidt.
Gleichzeitig stand der Mannheimer Unternehmer vor derselben Herausforderung wie viele andere in seinem Wirtschaftszweig: gutes Personal ist knapp, offene Stellen zu besetzen teilweise kaum noch möglich. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks spricht von insgesamt einer Viertel Million Menschen, die den Betrieben aktuell fehlen. Ulf Schmidt erzählt, dass er in der Vergangenheit auf Stellenausschreibungen teilweise keine einzige qualifizierte Bewerbung bekommen hat. „Es war klar, dass ich mir da was einfallen lassen muss“, sagt er.
Individuelle Arbeitszeit für Mitarbeiter
Schmidt hat das Experiment deshalb gewagt: Seit Anfang des Jahres arbeitet in der Schreinerei ein Mitarbeiter im Vier-Tage-Modell, Montag bis Donnerstag, jeweils 9 Stunden. Bezahlt wird der Jungschreiner auf Stundenbasis, entsprechend verdient er mit seinen 36 Wochenstunden etwas weniger als bei der üblichen 40-Stundenwoche.
Die beiden anderen Festangestellten im Betrieb haben laut Schmidt wieder andere Arbeitszeitmodelle. „Ein Kollege möchte weiter an fünf Tagen pro Woche kommen, ein anderer ist nur an drei Tagen da. Letztlich haben wir für jeden ein individuelles Paket gestrickt“, sagt der Schreinermeister. „Wenn es für den Kunden passt und die Baustellen rechtzeitig fertig werden, ist es mir eigentlich egal, wann die Arbeit erledigt wird.“
Flexibilität bei der Arbeit und eine gute Balance zwischen Job und Freizeit weiß auch Julius Rieger zu schätzen. Für den 23-Jährigen war die Option, in einem Vier-Tage-Modell arbeiten zu können, „ein entscheidender Grund“, um bei seinem jetzigen Arbeitgeber anzufangen: der Zimmerei Gebrüder Gutfleisch in Heiligkreuzsteinach. Dort ist Rieger seit Mai als Jungmeister beschäftigt. Auch er arbeitet in der Regel von Montag bis Donnerstag jeweils neun Stunden, freitags hat er frei.
„Unser Beruf ist körperlich anstrengend, da komme ich nach Feierabend eigentlich zu nichts mehr - egal, ob ich acht oder neun Stunden am Tag arbeite. In meinen bisherigen Jobs mit Fünf-Tage-Woche hat sich deshalb alles, was ich erledigen musste, aufs Wochenende verlagert“, sagt Rieger. Für Freunde und Hobbys habe er entsprechend wenig Zeit und Energie gehabt.
Jetzt stehe ich freitags früh auf und erledige alles, was privat ansteht: sauber machen, Reifen wechseln. Mails schreiben. Dafür habe ich am Wochenende richtig frei.
„Jetzt stehe ich freitags früh auf und erledige alles, was privat ansteht: sauber machen, Reifen wechseln. Mails schreiben. Dafür habe ich am Wochenende richtig frei.“ Das Plus an Freizeit ist es dem 23-Jährigen auch wert, dass er etwas weniger verdient: Wenn er 36 Stunden in der Woche arbeitet, bekommt er auch nur die bezahlt. „Im Moment kann ich mir das gut leisten. Und wenn ich doch mehr Geld brauche, kann ich auch mal einen Freitag zusätzlich arbeiten“, sagt er.
Vier-Tage-Woche: "Man arbeitet möglicherweise effizienter"
Riegers Chef Louis-Johann Gutfleisch, der die Zimmerei in Heiligkreuzsteinach 2022 mit seinem Bruder gegründet hat, glaubt, dass von gut erholten Mitarbeitern auch der Betrieb profitiert. „Mein Eindruck ist, dass sich das positiv auf die Stimmung auswirkt, wenn die Leute am Wochenende wirklich Kraft tanken können“, sagt er. „Wenn man nur vier Tage arbeitet, liegt der Fokus außerdem stärker darauf, bis Donnerstagabend alles geschafft zu haben. Dadurch arbeitet man möglicherweise etwas effizienter.“
Der Zimmerermeister glaubt aber auch, dass es in größeren Handwerksbetrieben schwieriger sein kann, eine Vier-Tage-Woche anzubieten. „Es darf natürlich nicht zu viel Durcheinander in den Baustellenteams geben.“ Bei den Gebrüdern Gutfleisch ist das Team nur zu viert, Rieger ist der einzige Angestellte, der nicht zur Familie gehört.
„Wir haben als junges und kleines Unternehmen vermutlich den Vorteil, dass unsere Abläufe noch relativ flexibel sind. So konnten wir uns gut darauf einstellen, dass freitags ein Mann weniger da ist“, sagt Firmenchef Gutfleisch. Aktuell hat sich der Betrieb so organisiert, dass laufende Baustellen vor allem Montag bis Donnerstag abgearbeitet werden, wenn die Mannschaft komplett ist.
An den Freitagen konzentriere man sich darauf, neue Baustellen zu besichtigen und kleinere Arbeiten fertigzustellen. Gutfleischs anfängliche Sorge, dass Aufträge so nicht schnell genug abgearbeitet werden könnten, habe sich als unbegründet herausgestellt.
Vier-Tage-Woche bei Handwerk in Mannheim: Mehr als 20 Bewerbungen nach 15 Tagen
Auch Schreinermeister Schmidt in Mannheim ist zufrieden damit, wie sich die verschiedenen Arbeitsmodelle im Betrieb eingespielt haben. „Von Kundenseite aus ist das gar kein Problem, die spüren nicht, dass bei uns nicht alle fünf Tage die Woche da sind.“ Auch die betrieblichen Abläufe seien nicht beeinträchtigt. „Wir sind stark digitalisiert und es läuft im Prinzip alles über das Handy. Deshalb ist es nicht schlimm, dass wir nicht jeden Tag alle in der Schreinerei zusammenkommen“, sagt Schmidt.
Das Experiment „Vier-Tage-Woche“ hat sich für den Firmenchef bisher bewährt. Aktuell hat er wieder eine Stelle ausgeschrieben, in der die Option angeboten wird. „Die Resonanz ist bisher sehr gut: Wir haben in den ersten 15 Tagen schon mehr als 20 Bewerbungen bekommen.“
Trotzdem ist die Vier-Tage-Woche auf Arbeitnehmerseite nicht für jeden das passende Modell. Die Erfahrung hat Christian Sprenger gemacht. Er ist Mitinhaber der Eigenbrötler GmbH&Co.KG. Der Mannheimer Bäckerbetrieb hat in der Region mehrere „Brot&Salz“-Filialen und insgesamt knapp 30 Mitarbeitende.
In der Vergangenheit hat Sprenger schon mehrere Stellen mit der Option Vier-Tage-Woche ausgeschrieben, entweder als Teilzeitstelle mit entsprechend geringerem Gehalt oder als Vollzeitstelle. In letzterem Fall verteilen sich die 40-Wochenstunden auf vier lange Tage - mit jeweils zehn Stunden Arbeitszeit plus 45 Minuten Pause.
Fast elf Stunden am Tag im Betrieb - das passt nicht immer
„Die meisten Kandidaten haben sich entschieden, doch lieber an fünf Tagen zu kommen und dafür nicht so viele Stunden am Tag zu arbeiten“, sagt Sprenger. Lediglich der Produktionsleiter bei Brot & Salz macht derzeit eine Vier-Tage-Woche in Vollzeit. An zwei weiteren Tagen in der Woche absolviert er nebenher seinen Meister.
Betriebsinhaber Sprenger will am Angebot Vier-Tage-Woche trotz der bisher verhaltenen Nachfrage festhalten - und es auch künftig bei offenen Stellen zumindest als Option anbieten. „Der Fachkräftemangel im Bäckerhandwerk ist enorm. Gerade als kleiner Handwerksbetrieb müssen wir Wege suchen, wie wir potenzielle Kandidaten auf uns aufmerksam machen können.“
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