„Wenig Geld, aber viel guter Wille, mit einer neuen Schule zu beginnen“: Zan Redzic, Lehrer der ersten Stunde, blickt zurück auf die Gründungsphase der Freien Interkulturellen Waldorfschule (FIW) in der Neckarstadt, am Neuen Meßplatz. Nach rund zwei Jahren der Vorbereitung legte die FIW los – am 11. September 2003 mit zwei Klassen und 35 Kindern. Gefeiert wird das Jubiläum am Mittwoch, 8. November, 14 Uhr. Als Redner geht Gerald Häfner, früherer Bundestags- und Europaabgeordneter der Grünen, unter anderem auf Bildungsgerechtigkeit ein.
Freie Waldorfschule Mannheim startet im September 2003
Was führte 2003 zur Schulneugründung? Welche Besonderheiten zeichnen die FIW aus? Wie finanziert sie sich? Welche Ziele hat sie in der Zukunft? Dazu gaben im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“ Zan Redzic, Geschäftsführerin Ute Piwecki, der für Öffentlichkeitsarbeit zuständige Eckhard Andermann und Nermin Frank vom Vereinsvorstand Auskunft. In einem Video gehen außerdem die ehemaligen Lehrkräfte Heiko Lütjen, Chistiane Adam und Michael Wickenhäuser sowie Albert Schmelzer auf die Gründungsphase ein. Schmelzer war ab den 1990er Jahren Dozent in der Waldorf-Lehrerausbildung.
„Studenten, die ich zu betreuen hatte, kamen immer mit ähnlichen Nachrichten“, berichtet er. Viele normal begabte Migrantenkinder hätten wegen sprachlicher Hürden „echte Schwierigkeiten an ihrer Schule“. Alles laufe dort „über das Verbale“, berichteten die Studierenden. Und: Die Kinder „konnten sich zu wenig in handwerklichen Tätigkeiten auszeichnen“. Entsprechende Erfolgserlebnisse fehlten.
Schulgeld soll an der Freien Waldorfschule Mannheim keine Hürde sein
Da die Gründer ausdrücklich in der strukturell eher benachteiligten Neckarstadt tätig werden wollten, stellten sie die Interkulturalität in den Mittelpunkt. Das unterscheidet die FIW von vielen anderen Waldorfschulen. Man nahm ausdrücklich sozial benachteiligte Familien in den Blick, so Schmelzer. In der Neckarstadt seien das „meist Kinder mit Migrationshintergrund“ gewesen.
Aber eben nicht nur. Bis heute legt die FIW Wert darauf, die gesamte Bandbreite der Bevölkerung abzubilden. So lernen Arbeiter- mit Akademikerkindern, knapp die Hälfte der Schüler habe Migrationshintergrund, berichtet Andermann.
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Das bedeutet aber oft auch: Viele Familien sind finanziell nicht gerade gut gestellt. Dem trage man Rechnung, erklärt Andermann: „Wir erheben kein festes Schulgeld.“ Gegeben werde „so, wie die Eltern das finanziell bewerkstelligen können“. Derzeit gibt es eine Warteliste: Nicht alle, die das wollen, können zur FIW. Aber bei der Auswahl spiele das Geld keine Rolle, betont Zan Redzic: „Wir haben noch nie ein Kind abgewiesen, weil die Eltern sich das nicht leisten können.“
Beinahe-Aus für die Freie Waldorfschule Mannheim noch vor Beginn
Bei Privatschulen, zu denen von Vereinen getragene freie Waldorfschulen zählen, ist es so: Bis zur staatlichen Anerkennung nach drei Jahren müssen sie alle Geldmittel für den Betrieb selbst aufbringen. Im März 2003 hätte das beinahe zum Aus geführt, bevor die FIW überhaupt loslegen konnte. Die (Teil-)finanzierung durch Eltern kam aufgrund der Struktur im Stadtteil nicht in Frage. Im letzten Moment sprang die Donata-Stiftung ein und sagte die nötigen 1,3 Millionen Euro zu.
Das Gebäude war mit einem ehemaligen Möbelhaus am Neuen Meßplatz zwar gefunden, aber jetzt standen umfangreiche Umbauten an, die zum großen Teil in Eigenarbeit geleistet wurden, unter anderem durch Studierende und künftige Lehrkräfte. „Wenn wir mal um 20 Uhr raus sind, hatten wir schon ein Gefühl wie Urlaub“, erinnert sich Michael Wickenhäuser. Oft sei es deutlich später geworden.
Bis zuletzt vor Eröffnung 2003 Sand geschippt
Und zwar bis ganz zuletzt, blickt Heiko Lütjen zurück. „Wir haben gemauert mit Studenten, Wände hochgezogen und vor dem Tag der Einschulungsfeier draußen auf dem Hof noch bis 10 Uhr Sand geschippt.“ Zan Redzic erinnert sich gerne an diese Zeit: „Ich habe damals gelernt, zu mauern und zu verputzen. Das hat sich später ausgezahlt, als ich mein Eigenheim renovierte.“ Und man habe einen „ganz anderen Bezug zu diesen Räumlichkeiten“. Selbst Hand anlegen und Bleibendes schaffen, das machen auch Schülerinnen und Schüler, deren praktischer Unterrichtsstoff in „Epochen“ zusammengefasst wird. So gibt es eine Hausbauepoche, bei der zum Beispiel die dritte Klasse an zwei Pergolen an der Wand vor der Holzwerkstatt mitgearbeitet hat. Daneben gibt es Ackerbau- und Handwerkerepoche, berufsvorbereitende Praktika und vieles mehr. Unter dem Titel Begegnung-Sprache lernen die Kinder wechselseitig die Muttersprachen der anderen kennen, und die Feste – gleich ob christlichen, jüdischen oder muslimischen Ursprungs – feiern alle gemeinsam.
Abitur Anbieten bleibt ein Ziel der Waldorfschule
Der Ganztagsunterricht läuft von der ersten bis zur zwölften Klasse. Das heißt: Wer Abitur machen will, muss wechseln. Das bedauert Michael Wickenhäuser. Der FIW empfiehlt er: „Springt mal über Euren Schatten. Damit Ihr in ein paar Jahren alle gängigen Abschlüsse anbieten könnt.“
Darüber habe man seit der Gründung immer wieder nachgedacht und auch immer wieder Anläufe unternommen, teilt Susanne Piwecki mit. Aber da die FIW einzügig ist – also jeweils mit einer ersten Klasse startet – blieben bis zur Oberstufe zu wenige Schüler übrig, um das organisieren zu können. Piwecki sagt: „Niemand ist wirklich gegen das Abitur, aber es ist ein großes Wagnis.“ Das Ziel aber bleibe bestehen.
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