Mannheim. Mannheim 1947. Weite Teile der Stadt sind noch vom Krieg zerstört, nicht nur auf den Planken wird der Schutt abgetragen. Viele Familien stehen vor dem Nichts - doch der junge Franz Bangert, damals gerade mal 14, hat einen Plan. Er will Elektromechaniker werden. Da hilft es auch nichts, dass der Vater - Schriftsetzer und ein strenger Mann, der seinen Beruf liebt - eigentlich andere Pläne für den Sohn hat: Er soll in seine Fußstapfen treten. Zeitung, sagt er dem Jungen, werde immer gelesen, ein Beruf mit Zukunft.
Beginn in fast zerstörtem Hinterhof
Doch Franz Bangert will davon nichts wissen. „Ich habe schon in der Schule viel gebastelt“, erinnert er sich. Und so schnappt sich der Junge eines Tages die zwei Blätter seines Schulzeugnisses und läuft damit zum Arbeitsamt. Dort schlägt man ihm eine Ausbildung zum Kaufmann vor, ein Großhändler in der Stadt hat eine offene Stelle. „Ich bin da gar nicht hingegangen“, erzählt Bangert und lacht.
Stattdessen macht sich der Jugendliche selbst auf die Suche nach einer Lehrstelle - und wird bei der Firma Wilhelm Hessel in der Neckarstadt fündig. Dort, in einem fast zerstörten Hinterhof in der Eichendorffstraße, in einem Betrieb mit einfachster Ausstattung, beginnt für Franz Bangert das Berufsleben.
Mannheim, ein sonniger Oktobertag 2023 - 76 Jahre später. Die Uhr in dem Besprechungsraum bei der heutigen Firma Franz Bangert auf der Vogelstang zeigt gerade mal halb zehn, aber Bangert ist schon seit gut drei Stunden im Betrieb. Auch heute trifft man den Elektromechanikermeister - er ist inzwischen 90 - unter der Woche schon in aller Frühe meist im Büro. Es sei denn, er fährt gerade mit dem firmeneigenen Lkw zu einem Kunden, um einen reparierten Motor auszuliefern. Oder ist mit dem Gabelstapler auf dem Firmengelände unterwegs.
"Körperliche Arbeiten mache ich nicht mehr"
An diesem Morgen hat Bangert schon zwei größere Abrechnungen erledigt. Neben Kundenbesuchen kümmert er sich im Betrieb inzwischen vor allem um Büroarbeiten, Kostenvoranschläge zum Beispiel. Die Geschäfte führt sein Sohn Ulf. „Körperliche Arbeiten mache ich nicht mehr“, sagt Franz Bangert - und wirkt dabei, als könne er trotzdem noch jederzeit mit anpacken, wenn Not am Mann wäre.
Wenn er durch den Betrieb läuft, spürt man, wie nah der 90-Jährige noch am Geschäft ist: seine Hand fährt hier über eine Maschine, da über ein Werkzeug - kein Motor, keine Pumpe scheint es in den Werkstatthallen zu geben, zu der Bangert nicht etwas erklären könnte. Wie sehr sich die Arbeitswelt im letzten dreiviertel Jahrhundert gewandelt hat, hat der Mannheimer erlebt wie kaum ein anderer.
Arbeitswoche mit 48 Stunden
48 Stunden hat die Arbeitswoche, als er 1947 seine Lehre beginnt - und auch das oft nur auf dem Papier. Einmal, als er nach Feierabend wie jeden Tag noch das Werkzeug putzen soll, fragt er seinen Chef, ob er ausnahmsweise schon gehen darf, weil sein Hockeytraining beginnt. „Da hat er mich nur gefragt, ob ich mein Geld als Handwerker oder als Hockeyspieler verdienen will. Damit war das Thema erledigt.“
Nach dem Krieg habe eine besondere Stimmung geherrscht: „Es ist geschuftet worden. Man hat gerne Überstunden gemacht. Jeder wollte wieder zu etwas kommen“, erinnert sich Bangert. Er selbst verdient in seinem ersten Ausbildungsjahr 24 Reichsmark im Monat.
Sturz vom Kran
Der Lehrling ist damals mit seinen Kollegen oft draußen unterwegs: in zerstörten Fabriken der Region graben sie aus den Trümmern die Antriebsmotoren der Maschinen aus, um sie zu reinigen und zu reparieren. Auch die vielen Motoren, die kurz vor Kriegsende noch mit einem Frachtschiff in Mannheim versinken, bringen sie wieder in Schuss, sie werden später unter anderem an Firmen wie Freudenberg, Lanz und Hutchinson ausgeliefert.
Ganz anders als heute sind die Zeiten damals auch in puncto Arbeitsschutz: Bangert stürzt einmal von einem Kran - ungesichert. Die Tatsache, das er zufällig in einen großen Berg fein gemahlene Kohle unter sich stürzt, rettet ihn.
Nach seiner Ausbildung kommt der junge Elektromechaniker beruflich schnell voran: mit 23 bekommt er noch als Geselle den Auftrag, in seiner Firma eine Abteilung zu leiten. Ein Jahr später, 1958, macht er seinen Meister. 1977 stellt er sich unternehmerisch auf eigene Füße: Er übernimmt die Firma Gölz auf dem Waldhof mit fünf Mitarbeitenden und baut sie zum Elektrobaumaschinenbetrieb aus.
Wand mit zahlreichen Auszeichnungen
Aktuell arbeiten in dem Unternehmen, das inzwischen auf der Vogelstang angesiedelt ist, 33 Beschäftigte. Auch heute noch ist es Franz Bangert, der neue Auszubildende begrüßt und durch den Betrieb führt. Dann zeigt er ihnen die Wand mit zahlreichen Auszeichnungen, die frühere Lehrlinge bekommen haben. „Da ist noch Platz, sage ich ihnen dann“, erzählt der 90-Jährige und lacht.
Überhaupt: Ausbildung. Das ist Bangert über die Jahrzehnte hinweg ein Herzensthema. 25 Jahre lang war er ehrenamtlich Prüfungsvorsitzender der Elektromechaniker und Maschinenbauer in der Elektroinnung. Von dem Klischee, dass die jüngeren Generationen heute keine Lust mehr auf Arbeit haben, hält er nicht viel: „Man muss die jungen Leute motivieren und auch mal loben. Das vergessen viele“, sagt er. „Und wenn man sieht, jemand hat in der Ausbildung Probleme, muss man als Chef eingreifen und sich kümmern.“
"Für mich war meine Arbeit immer mein Hobby"
Work-Life-Balance, Vier-Tage-Woche, Rente mit 63 - so manche Debatten aus der aktuellen Arbeitswelt kann Bangert nicht wirklich vollziehen. „Für mich war meine Arbeit immer mein Hobby“, sagt er. Dass er damals, mit 14, so hartnäckig an seinem Berufswunsch dran geblieben ist, hat sich offensichtlich ausgezahlt. Die immer wieder neuen Herausforderungen im Betrieb und der Kontakt mit Auszubildenden haben ihn jung gehalten, glaubt er: „Ich würde jedem raten, so lange es geht zu arbeiten.“
Am kommenden Montag wird Bangert unterdessen ausnahmsweise einmal früher Feierabend machen: Am Nachmittag wird er gemeinsam mit anderen Jubilaren von der Handwerkskammer Mannheim Rhein Neckar Odenwald mit dem Eisernen Meisterbrief geehrt.
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