Wohnen

Mannheimer Jungbusch und Gentrifizierung - Handlungsbedarf bestätigt

Im Jungbusch gibt es eine strukturelle Veränderung der Bevölkerung. Das bestätigen nun Experten. Sie empfehlen, die Bewohner vor Verdrängung zu schützen - mit einem in Mannheim noch nie da gewesenen Mittel

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Martin Geiger
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Der Verbindungskanal mit dem Gründungszentrum C-Hub, der Kauffmannmühle und der Popakademie symbolisiert die Aufwertung des Jungbuschs. © Christoph Blüthner

Mannheim. Das Wort „Gentrifizierung“ schwebt schon lange über dem Jungbusch. Nun bescheinigt auch eine externe Untersuchung, dass Handlungsbedarf besteht. Darum wird der Gemeinderat aller Voraussicht nach vor der Sommerpause zum ersten Mal in Mannheim eine sogenannte Milieuschutzsatzung beschließen, wie es sie etwa in Berlin, Freiburg oder Stuttgart bereits gibt. Die Hintergründe im Überblick.

Worum geht es bei dieser Milieuschutzsatzung?

Der Jungbusch hat sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich gewandelt: Vom einst schmuddeligen Hafenviertel ist er zum hippen Szenequartier geworden. Die Stadt hat diese Aufwertung bewusst vorangetrieben. Doch seit Jahren mehren sich die Stimmen, die vor den negativen Teilen dieser Entwicklung warnen. Sie befürchten, dass viele angestammte Bewohnerinnen und Bewohner durch steigende Mietpreise verdrängt werden – was als Gentrifizierung bezeichnet wird. Eine solche Entwicklung soll die Satzung verhindern.

Was genau regelt diese Satzung?

Sie verbietet – befristet auf fünf Jahre – vier Dinge, wobei verbieten eigentlich das falsche Wort ist: Genauer gesagt stellt sie diese unter einen Genehmigungsvorbehalt. Das heißt, sie können nur umgesetzt werden, wenn die Stadt den einzelnen Fall unter dem Gesichtspunkt des Milieuschutzes geprüft und erlaubt hat.

Welche vier Maßnahmen müssten dann genehmigt werden?

Es geht um folgende Dinge: die Änderung einer Wohnung, beispielsweise durch eine umfängliche Sanierung; den Abriss (und Neubau) eines Gebäudes; die Umwandlung einer Miet- zu einer Eigentumswohnung; und die Veränderung der Nutzung, etwa wenn aus einer Wohnung eine Arztpraxis werden soll.

Dürften Wohnungen im Jungbusch dann nicht mehr saniert werden?

Doch, sagt Baubürgermeister Ralf Eisenhauer (SPD): Sinnvolle Modernisierungen zur Herstellung eines zeitgemäßen Standards oder energetische Maßnahmen sollten weiterhin möglich sein. „Es geht uns darum, Luxussanierungen mit goldenen Wasserhähnen zu verhindern.“

Sind die Bewohner dadurch vor Mieterhöhungen geschützt?

Nein, „normale“ Mieterhöhungen wären auch weiter möglich. Denn es geht nicht um den Schutz des Individuums, sondern um die Zusammensetzung der Bevölkerung.

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Kann die Stadt einfach so solch eine Satzung erlassen?

Nein. Ihren Angaben nach müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit dies rechtlich möglich ist. Erstens: Bei den Gebäuden im entsprechenden Gebiet muss ein Potenzial zur Aufwertung vorhanden sein. Zweitens: Es muss eine reale Gefahr geben, dass Bewohnerinnen und Bewohner verdrängt werden. Drittens: Es muss bereits ein gewisser Verdrängungsdruck bestehen. Viertens: Eine Verdrängung müsste sich auch städtebaulich nachteilig auswirken, beispielsweise weil dann Kitas oder Spielplätze im Stadtteil nicht mehr genutzt würden oder anderswo neu gebaut werden müssten.

Wie sieht die Lage im Jungbusch bei diesen Kriterien aus?

Um das herauszufinden, hat die Stadt ein Hamburger Büro mit einer Analyse beauftragt. Dieses hat nun einen Zwischenbericht vorgelegt – und kommt darin zu folgenden vorläufigen Ergebnissen: Viele Wohnungen im Jungbusch haben einen einfachen Standard, zudem gibt es viele kleine Apartments, die sich theoretisch zusammen legen lassen würden. Fazit: „Aufwertungspotenzial ist stark vorhanden.“ Auch bei der zweiten Kategorie kommen die Fachleute zu dem Ergebnis: „Verdrängungspotenzial ist stark vorhanden.“ Denn das Einkommensniveau der Bevölkerung sei insgesamt deutlich unterdurchschnittlich, die Wohnkostenbelastung teils hoch.

Und wie ist es bei den anderen beiden Faktoren?

Die Mietpreise steigen, zudem ziehen vermehrt Studierende und junge Berufstätige mit höherem Einkommen in den Jungbusch, darum kommen die Experten zu dem Schluss: „Verdrängungsdruck ist vorhanden.“ Und eine Gentrifizierung hätte nachteilige städtebauliche Folgen, schätzt das Hamburger Büro, „da Netzwerke und Infrastrukturen in anderen Gebieten kostenintensiv neu aufgebaut und preiswerter Wohnraum neu geschaffen werden muss“.

Und was heißt das jetzt alles im Ergebnis?

Das Hamburger Büro empfiehlt der Stadt Mannheim, für den Jungbusch eine Milieuschutzsatzung zu erlassen. Baudezernent Eisenhauer schließt sich dieser Einschätzung an: „Für den Jungbusch wäre es sinnvoll, das zu machen.“

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Wie geht es nun weiter in der Sache?

Der Abschlussbericht der Fachleute soll spätestens Ende Mai vorliegen. Auf dessen Basis wird der Gemeinderat – vermutlich noch im zweiten Quartal 2023 – die Entscheidung treffen, ob er die Satzung einführt.

Wie stehen die Chancen, dass der Gemeinderat dem zustimmt?

Wenn die Fachleute in ihrem Abschlussbericht zur gleichen Einschätzung wie im Zwischenbericht gelangen: sehr gut. Schließlich hat der Gemeinderat die Verwaltung im Frühjahr 2022 aufgefordert, die Erlassung einer Milieuschutzsatzung zu prüfen. Grüne und SPD fordern diese schon länger. Darum ist es sehr wahrscheinlich, dass sie gemeinsam mit der LI.PAR.Tie ihre Mehrheit nutzen und sie einführen.

Könnte es auch in anderen Stadtteilen dazu kommen?

Theoretisch schon. Diskussionen beziehungsweise Forderungen gibt es etwa bereits bezüglich der Neckarstadt, dem Lindenhof und der Schwetzingerstadt. Allerdings betont Eisenhauer: Um eine Milieuschutzsatzung rechtssicher einführen zu können, müssen in jedem Gebiet alle vier genannten Kriterien untersucht und erfüllt werden.

Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

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