Mannheim. Wer lenkt eigentlich eine Kutsche? Das Pferd? Der Kutscher? Fest steht: Wenn das Pferd von hinten mal ein „Hü“ und mal ein „Hott“ hört, trägt das nicht unbedingt zur Klarheit über den eingeschlagenen Weg bei. Stattdessen bricht Verwirrung aus - bei Pferd und Kutscher. Die Worte, mit denen Franz Egle am Montag knapp 80 Jugendliche von Mannheimer Schulen im BASF-Dialogforum in der U-Halle begrüßt, sind vielschichtig, wenn man etwa auf die aktuellen politischen Debatten über Klimaschutz und Energiewende schaut. Wer ist Pferd und wer ist Kutscher im Gleichnis des Geschäftsführenden Vorstands des Deutsch-Türkischen Instituts (DTI)? Gibt die Politik etwa Klimaschutz-Kommandos an die Bevölkerung - und wenn ja: Setzt die diese um?
Traditionell organisiert das DTI rund um den 23. Mai - den Tag des Grundgesetzes - eine bildungspolitische Veranstaltung. In diesem Jahr steht bei der von „MM“-Redakteurin und Nachrichtenchefin Madeleine Bierlein moderierten Diskussion mit Umweltdezernentin Diana Pretzell (Grüne), René Leicht vom Bündnis Fahrradstadt Mannheim sowie dem Klimaforscher und Prorektor an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, Alexander Siegmund, Grundgesetzartikel 20a im Fokus. Der verpflichtet den Staat dazu, „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“ zu schützen. Kommt der Staat dieser Verpflichtung nach?
Im Diskussionsformat haben die Jugendlichen der Johannes-Kepler-Gemeinschaftsschule, der Marie-Curie-Realschule und der Friedrich-List-Schule Gelegenheit, in wechselnden Besetzungen auf dem Podium mit Pretzell, Leicht und Siegmund ins Gespräch zu gehen. Die Veranstaltung imponiert, weil die Jugendlichen gut vorbereitet den Diskurs mit den diskussionserfahrenen Expertinnen und Experten nicht scheuen. Gleichzeitig zeigt sich, dass auch unter den Schülern und Schülerinnen bei der Antwort nach dem richtigen Weg beim Klimaschutz keinesfalls Einigkeit herrscht.
Nur 20 Prozent Fahrräder
Bei den Themen Ernährung und Mobilität diskutieren die Jugendlichen nicht nur mit den Gästen, sondern auch untereinander. Dass Argumente zwischen Fleischessern und Veganern oder zwischen Radfahrerinnen und (potenziellen) Autofahrern dabei sachlich und ohne Polemik ausgetauscht werden, sollte in der gesellschaftlich häufig emotional geführten Debatte mehr als nur am Rande Erwähnung finden.
Vor allem diskutieren die Jugendlichen aber mit den Erwachsenen. Warum etwa sollten die Jugendlichen regelmäßig aufs Auto verzichten, wenn Straßenbahnen gerade zu Beginn oder zum Ende des Schultags voll seien oder oft zu spät kämen. „Es gibt zwar Bahnen, die ganz lang sind und genug Platz für jeden haben“, merkt ein Schüler an. Er kritisiert aber, dass diese Bahnen selten eingesetzt würden. Hier gebe es „Verbesserungsbedarf“, sagt auch Leicht. Die Stadt habe in der Vergangenheit zu häufig Wohngebiete erschlossen, ohne sie an das Straßenbahnnetz anzuschließen. „Außerdem hat man die Wagenkapazität nicht groß genug bemessen“, und man habe teilweise Haltestellen nicht für längere Bahnen ausgestattet.
Leicht mahnt an vielen Stellen Versäumnisse in der Verkehrspolitik an. So erklärt der Mobilitätsexperte vom Bündnis Fahrradstadt zwar, die Zielsetzungen, die sich die Stadt gesetzt habe, seien richtig. Die getroffenen Maßnahmen seien aber noch „nicht ausreichend, um bis 2030 klimaneutral zu werden“. So solle laut Stadt das Fahrrad bis 2030 Hauptverkehrsmittel sein, erklärt Leicht. Aufgrund des gegenwärtigen Zustands der Radwege sei das ambitioniert. Die Infrastruktur müsse ausgebaut werden. „In Mannheim liegt der Radverkehrsanteil bei 20 Prozent“, sagt Leicht. „Das ist sehr wenig für eine Stadt, die flach ist.“
Ein Schüler kritisiert, Radwege würden häufig abrupt enden, weshalb man auf dem Rad oft auch „ein bisschen Angst hat“. Pretzell, die auf ihren Dienstwagen verzichtet hat und nur mit Rad oder Bahn unterwegs ist, verweist darauf, dass die Stadt zuletzt Radwege ausgebaut habe, etwa mit dem landesweit ersten innerstädtischen Radschnellweg oder mit separaten Spuren auf dem Luisenring und der Augustaanlage. „Wir haben einiges geschafft, aber wir müssen noch besser werden.“
Differenzierte Argumentationen
Und wie ist das Thema Klimaschutz im Schulalltag umgesetzt? In Klassenzimmern wird mit Büchern, Heften und Blöcken noch jede Menge Papier verwendet, während die Digitalisierung in Schulen immer noch nur schleppend anläuft. „Das ist nicht nachhaltig“, kritisiert ein Schüler. Siegmund erklärt, dass die Produktion von Papier ein „wichtiger Aspekt“ sei, wenn es um Nachhaltigkeit und Schonung von Ressourcen gehe. Mit Klimaschutz stehe sie aber nicht „unmittelbar in Zusammenhang“. Der Klimaforscher und PH-Prorektor sieht vielmehr in der Dämmung von Häusern effizientere Möglichkeiten, das Klima zu schonen. „Da haben wir in Mannheim noch großes Potenzial.“
Etwas mehr als eine Stunde sprechen die Jugendlichen mit Pretzell, Leicht und Siegmund. Mit zunehmender Dauer steigt auch die Diskussionsfreude unter den Schülerinnen und Schülern. „Wir können das Thema eigentlich nie zu Ende diskutiert“, fasst Bierlein zusammen.
Zum beachtlichen Niveau der Debatte passt übrigens, dass ein Schüler darauf verweist, dass auch seine Generation Verantwortung trage. „Es liegt nicht alles nur an der älteren Generation, dass sich die Welt verändert“, erklärt er. „Die jüngere Generation sorgt auch für sehr viel Müll.“ Nachdem sich zuvor einige Jugendliche frustriert geäußert hatten, dass ältere Menschen zu wenig für den Klimaschutz täten, hatte Pretzell sie wiederum motiviert, bewusst in Diskussionen mit älteren Generationen zu treten. „Auch ältere Menschen haben euch gegenüber eine Enkelverantwortung.“
Jüngere und ältere Menschen, Jugendliche und Erwachsene, Schülerinnen und Politiker - Klimaschutz, das wird am Montag erneut klar, geht nur gemeinsam. Genauso wie das Lenken einer Kutsche.
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