Mannheim. Schon von Weitem ist das Rattern von Trollyräder auf den Gehwegplatten zu hören. Eine Frau zieht eine vollbepackte Rolltasche auf der Draisstraße hinter sich her. Plötzlich bleibt sie stehen. Nachdenklich lässt sie ihren Blick an den schmucken, fast bodentiefen Korbbogenfenstern eines Eckhauses in der Neckarstadt-West emporgleiten. „Wissen Sie, das war früher, gleich nach dem Krieg, eine Gastwirtschaft“, erzählt die ältere Dame: „Hierher haben wir sonntags manchmal Familienausflüge gemacht.“ Heute ist sie in die Draisstraße 1 gekommen, um einen Koffer voller gebrauchter, aber fast wie neu aussehender Handtaschen abzugeben. Sie spendet die guten Stücke für die Benefiz-Verkaufsaktion am Freitag, 24. Juni auf dem Paradeplatz: „Meine Freundinnen und ich haben in unseren Schränken ein bisschen gewühlt und einiges zusammengesucht.“
Designerware trifft auf Originelles
Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Von sportlich-elegant bis festlich und chic packt sie mehr als 30 Behältnisse aus. Die Neckarstädterin ist eine von vielen Mannheimerinnen, die in diesen Tagen ihre Spenden bei Amalie abgeben. Organisiert hat die Aktion der Deutsche Frauenring Mannheim zusammen mit dem Diakonischen Werk. Der Verkaufserlös kommt der Prostituiertenberatungsstelle Amalie zu Gute. Noch bis zum 23. Juni können gut erhaltene Spenden abgegeben werden.
Abgabestellen und die Hilfsangebote von Amalie
- Gebrauchte Handtaschen in gutem Zustand können am 22. Juni von 8 bis 18 Uhr in der Beratungsstelle Amalie, Draisstraße 1, abgegeben werden. Dort werden die Handtaschen gesichtet, sortiert und oft auch ausgeräumt.
- Weitere Termine zur Abgabe von Handtaschen sind bereits am Samstag, 18. Juni, von 10 bis 13 Uhr beim Deutschen Frauenring Mannheim in der Renzstraße 1 in Mannheim sowie ebenfalls am Samstag, 18. Juni, von 9 bis 14 Uhr in der VHS Schwetzingen (Raum 106) in der Mannheimer Straße 29 in Schwetzingen.
- Taschenspenden können auch bis zum 23. Juni täglich von 8 bis 16.30 beim Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Mannheim in M 1 abgegeben werden.
- Seit 2013 kümmert sich die Beratungsstelle Amalie um Frauen in der Prostitution, sucht sie im Rotlicht auf und bietet Hilfen an. Neben sozialer und rechtlicher Beratung können die Frauen in der Draisstraße 1 auch medizinisch-gesundheitliche Unterstützung bekommen und das offene Frauencafé besuchen. Das Amalie-Team begleitet Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, hilft bei der Wohnungs- und Arbeitssuche.
- Seit 2016 hat Amalie 18 Frauen (zwei davon mit je einem Kind) bei ihrem Ausstieg begleitet – darunter auch immer wieder schwangere Frauen. 2021 wurde das zehnte „Amalie-Baby“ geboren. 2021 haben die Sozialarbeiterinnen 377 psychosoziale Beratungen durchgeführt. Infos unter: www.amalie-mannheim. de.
Die Vorbereitungen für den Verkaufsstand auf dem Paradeplatz hält derweil das Organisationsteam auf Trab. „Die hochwertigsten Teile sollten wir an die Kleiderständer binden“, schlägt Ute Münch vom Deutschen Frauenring vor, während sie Amalie-Leiterin Astrid Fehrenbach einen Karton mit vorgeschnippelten Bändern reicht.
Schließlich befinde sich unter den Angeboten auch echte Designerware. „Modelle von Gucci und Bogner oder auch ein Geldbeutel von Prada sind mit dabei“, versichert Münch. Aber von der silbernen Abend-Clutch bis zum Rucksack, einer verrückten Kokosnuss bis zur niedlichen Elchtasche werden nicht nur große Schnäppchenjäger fündig, sondern auch Eltern, die etwas Passendes für ihre Kinder suchen.
Während die Helferinnen Innenfächer leeren und dabei auf Konzertkarten aus dem Jahre 1987 stoßen, klingelt es erneut an der Tür zur Beratungsstelle. Diesmal ist die Besucherin nicht mit Edel-Taschen, sondern mit riesigen Tüten voller Wurzelgemüse, Kartoffeln und eingeschweißtem Fleisch beladen. „Das ist eine Ehrenamtliche, die uns am Hauptsammeltag bekocht und schon mal ein paar Nahrungsmittel im Kühlschrank deponiert“, erklärt Astrid Fehrenbach.
Berührende Geschichten
Auch etliche Ehrenamtliche vom Frauenring sind dann mit von der Partie. „Zwei haben sich extra Urlaub genommen“, erzählt Ute Münch. Sie hat in den vergangenen Sammeljahren auch viele berührende Geschichten erlebt. Sie denke dabei an die Mutter, deren Tochter Handtaschen geliebt habe und noch keine 40 Jahre alt war, als sie sterben musste: „Sie hat uns so viele fast unbenutzte, chice Teile gebracht und gesagt, dass ihre Tochter sich freuen würde, wenn damit Frauen in Not geholfen werden könne.“ Das sei so eine ganz persönliche Geschichte, bei der hätte sie wirklich schlucken müssen: „Wissen Sie, Lachen und Weinen ist da oft ganz nah beieinander.“ Riesig gefreut habe sie sich über ihren Gemüsehändler: „Ich wollte bei ihm nur ein paar Flyer für die Aktion auslegen.“ Doch der Geschäftsmann hat auch gleich den Geldbeutel gezückt und Münch mit den Worten „Hier, für eure Aktion“ 15 Euro übergeben: „Und ich habe erfahren, dass er übrig gebliebenes Gemüse und Obst für ukrainische Flüchtlinge spendet.“ Inzwischen hat die Neckarstädterin ihren Trolly die drei Stufen vor dem Eingang zu Amalie hochgewuchtet und sieht sich in den lichtdurchfluteten, freundlich und modern gestalteten Räumen um. Farblich dominieren Pink, Weiß und Hellgrau zu warmen Holztöne. Ein Tisch in der Mitte des Hauptraumes, eine Küchenzeile und ein Sofa laden zum Ankommen, Ausruhen und zum gemütlichen Beisammensein ein. Separate Zimmer ermöglichen persönliche Beratungsgespräche.
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Die Besucherin ist sichtlich erstaunt, wie sich das ehemalige Lokal seit ihren Kindertagen verwandelt hat. Noch einmal wirft sie einen Blick auf die kunterbunte Auswahl an einstigen Lieblingsstücken, die sie in die Draisstrasse gerollt hat: „Wir brauchen die nicht mehr so dringend. Und uns geht es ja allen soweit gut. Aber hoffentlich können die Handtaschen den jungen Frauen in Not ein bisschen helfen.“
Bei der jüngsten Aktion im Jahre 2019 kam jedenfalls der stolze Betrag von mehr als 7000 Euro zusammen, mit dem Amalie etlichen Frauen bei der Suche nach einer Wohnung und einem Arbeitsplatz unterstützen konnte. Und, wer weiß, vielleicht sind die Spende der älteren Dame und der Erlös daraus für irgendeine Hilfesuchende schon bald ein Mosaiksteinchen auf ihrem persönlichen Weg zum Ausstieg aus der Prostitution.
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