Mannheim. Streetwork in der Neckarstadt-West und Freier kriminalisieren, statt Prostituierte für ihre Dienste zu bestrafen - im Interview spricht Astrid Fehrenbach über ihre künftigen Aufgaben als neue Chefin von Amalie und fragt sich, wie es sein kann, dass in Deutschland Gewalt im Rotlichtmilieu weiterhin geduldet wird. Ab Januar 2022 wird sich Fehrenbach als Leiterin der Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution stark machen, Berührungsängste hat sie dabei keine.
Frau Fehrenbach, waren Sie schon einmal in der Lupinenstraße?
Astrid Fehrenbach: Bis jetzt noch nicht, aber ich werde sicherlich mit den Beraterinnen von Amalie dort unterwegs sein.
Also werden Sie auch durchs Rotlichtviertel streifen, wie Ihre Vorgängerin?
Fehrenbach: Auf jeden Fall, das kann ich mir sehr gut vorstellen, schließlich will ich die Frauen kennenlernen. Ich bin jemand, der am liebsten direkt mit den Betroffenen spricht, ihnen zuhört. Die Beraterinnen von Amalie sind ja bereits auf den Straßen unterwegs, da will ich mich anschließen. Meine Schwerpunkte liegen zwar auch woanders. Aber die Grundlage meiner Arbeit sind Erfahrungen aus erster Hand.
Werden Sie auch das Gespräch mit den Bordellbesitzern suchen?
Fehrenbach: Soweit ich weiß, gibt es bereits Kontakt. Aber das ist nicht der Fokus von Amalie. Im Gegenteil: Der Fokus liegt auf den Frauen in der Prostitution selbst. Unser Team ist bereits im Rotlichtviertel unterwegs. Da sollte es auch in Zukunft kein Problem sein, Zugang zu den Frauen zu finden und sie direkt dort aufzusuchen.
Astrid Fehrenbach
- Astrid Fehrenbach ist 58 Jahre alt, in Rastatt geboren und wohnt in Mannheim. Nach dem Abitur in Karlsruhe studiert Fehrenbach Theologie in Freiburg und Fribourg (Schweiz).
- Es folgen ein Studium der Sozialen Arbeit in Ludwigshafen, eine berufsbegleitende Ausbildung im Sozialmanagement sowie ein Betriebswirtschaftsstudium und ein Anerkennungsjahr in der Gerichtshilfe bei der Staatsanwaltschaft Mannheim.
- In Berlin, Mannheim und Freiburg ist Fehrenbach in der Frauenbildungsarbeit tätig, berät und begleitet alleinerziehende Frauen sowie jugendliche Mütter.
- Neben einer Mutter-Kind-Kur-Einrichtung in Frankfurt leitet sie fünf Jahre lang ein Frauenhaus der AWO Aschaffenburg. Von 2011 bis 2020 leitet Fehrenbach eine Einrichtung für chronisch psychisch erkrankte Frauen und Männer.
- Seit April 2020 ist Fehrenbach Hausoberin und Mitglied im Direktorium des Diako Mannheim. lia
Amalie hilft Frauen beim Aussteigen aus der Prostitution. Es liegt in der Natur der Sache, dass das ihren Arbeitgebern nicht gefällt. Haben Sie keine Angst vor den Zuhältern?
Fehrenbach: Erstmal habe ich keine Berührungsängste. Aber ich will mir ein genaues Bild von der Ausgangslage machen.
Was halten Sie vom „Nordischen Modell“, bei dem nicht Frauen für ihre sexuellen Dienstleistungen bestraft werden, sondern ihre Kunden?
Fehrenbach: Hinter Armutsprostitution steckt ein ganzes System, da wird eine Menge Geld verdient und viele profitieren davon. Die Freier sind Teil des Problems. Wenn es keine Nachfrage gäbe, gäbe es weniger Gewalt und Leid von Frauen. Deshalb ist es sehr wichtig, über das Nordische Modell zu sprechen. Nicht nur Norwegen, Schweden und Island haben jahrelange Erfahrung damit, sondern auch Kanada, Frankreich und Irland. Ihre Erfahrungen zeigen: Damit kann man Menschenhandel und Zwangsprostitution eindämmen.
Warum sollte Deutschland sich da anschließen?
Fehrenbach: Es ist nicht hinnehmbar, dass wir hier Tür und Tor geöffnet haben für Gewaltverhältnisse, die wir in anderen Bereichen nicht dulden würden. Vergewaltigung in der Ehe ist nach langem Kampf der Frauenbewegung unter Strafe gestellt. Aber hier gibt es einen Bereich, in dem Gewalt ausgeübt werden kann und das anscheinend legal. Die Beteiligten haben wenig Ahnung sich zu wehren, weil sie die Sprache nicht verstehen, abhängig sind und so kaum dagegen vorgehen können. Das ist für uns als Gesellschaft ein Skandal. Deshalb müssen wir darüber sprechen und aufklären.
Wie sieht diese Aufklärung aus?
Fehrenbach: Bewusstmachen, was Prostitution ist, was dahinter steckt und aufzeigen, wie Frauen diese Art von Arbeit erleben. Ein Großteil der Freier würde diese Dienste sicher nicht in Anspruch nehmen oder sich das Recht herausnehmen, Sex bei einer Frau zu kaufen. Wenn diese Männer klar vor Augen hätten, dass da gewalttätige Verhältnisse herrschen und schamlos über Grenzen von Menschen hinweggegangen wird. Nehmen Sie die aktuelle Ausstellung von Amalie und den Reiss-Engelhorn-Museen: Statt Fantasiebilder aufrecht zu halten, zeigt sie das Leben im Rotlichtviertel, wie es wirklich ist.
Etwa solche, dass Frauen sich gerne und freiwillig prostituieren?
Fehrenbach: Oder die Prostitution verharmlost. Indem man sie als Beruf sieht, der wie jeder andere ist. Ich bin stark davon überzeugt, dass die Betroffenen durch Prostitution große Schäden davontragen. Ich habe sehr viel mit traumatisierten Frauen zu tun gehabt. Heute weiß man genau, welche seelischen Schäden Gewalt und Abhängigkeitsverhältnisse anrichten.
Die Ausstellung will Betroffene sichtbar machen, ohne sie zu stigmatisieren…
Fehrenbach: Genau, das ist ein Ansatz, der mir von Anfang an sehr gut gefallen hat. Und der sensible Umgang von Amalie mit den Betroffenen. Hier wird jeder Frau respektiert und gewürdigt. Jede hat ihre Gründe und ihre Geschichte. Und wird vorbehaltlos akzeptiert. Amalie hilft dort weiter, wo sie gefragt und gebraucht wird. Das finde ich großartig. Genauso wie den Ansatz der Bildungsarbeit und des Bekanntmachens. Das ist aber keine leichte Aufgabe, denn diese Frauen haben ein hohes Schutzbedürfnis, wollen nicht erkennbar sein. Dieser Aufgabe hat sich Julia Wege mit dem Amalie-Team angenommen. Sie ist quasi als Anwältin für diese Frauen aufgetreten, um ihre Sorgen und Nöte zu vermitteln.
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