Mannheim. Beim Betreten der Feuerwache-Kulturhalle wandern die Blicke ganz von selbst nach oben. Denn unterhalb der Decke schweben an Schnüren in Din- A4-Format farbige Portraits von 500 Männern und Frauen, die eines verbindet: Sie haben sich bei großen Kundgebungen oder kleinen Aktionen für Anliegen, Herzensprojekte und Visionen eingesetzt. Während zehn Jahren hielt Alexander Kästel prominente wie auch unbekannte Menschen auf der Straße mit der Kamera fest. Der eindrucksvolle „Gesichter-Himmel“ gehört zur Foto- und Kunstperformance „DEMOkratie“.
Kunstperformance "DEMOkratie": Alexander Kästel fotografiert Demonstrierende
„Während Demokratie an den Rändern links und rechts - aber auch in der sogenannten Mitte - immer mehr erodiert, ist mein Blick auf die gerichtet, die standhaft bleiben.“ So begründet der Wahl-Mannheimer Kästel, warum es ihn mit seiner Hasselblad oder Canon zu „Monnem Pride“, „Nie wieder ist jetzt“, „Critical Mass“, „Fridays for Future“, „Omas gegen Rechts “, interreligiösem Zusammenrücken oder zum Gedenken an den erstochenen Polizisten Rouven Laur auf den Marktplatz zieht. Bei solchen Ereignissen fotografieren viele - aber nur wenigen gelingt wie Alexander Kästel, Menschen zwischen Kunst und Dokumentation festzuhalten. Zeitlose Augenblicke!
Der gut besuchte Abend spiegelt die Allianz jener, für die Demokratie mehr bedeutet, als bei Wahlen die Stimme abzugeben. Der Verein „Mannheim sagt Ja!“ und die Grünen-Landtagsabgeordnete Susanne Aschhoff gehören zu den Mit-Veranstaltern. Ein innig aneinander geschmiegtes Paar ist von hinten auf dem Ankündigungsplakat zu sehen. Sind es ein Mann und eine Frau oder zwei Männer? Wie auch immer, schließlich spielt dies keine Rolle, wenn sich zwei Menschen zugetan sind.
Die grafische Darstellung „DEMOkratie“ signalisiert augenfällig, dass Demos und Demokratie verwoben sind - wenngleich in einem Spannungsfeld. Bei der Podiumsdiskussion wird die Frage ausgeleuchtet: Welche Bedeutung kommt in unserer Gesellschaft Protesten zu, und was bewegt Menschen, Widerspruch im Sinne der (aus dem Lateinischen stammenden) Wortbedeutung öffentlich zu bekunden? Bevor die Debatte losgeht, erzählen auf der Bühne leidenschaftliche Unterstützerinnen und Unterstützer der Demokratie, was sie motiviert, in die Öffentlichkeit gehen.
Demonstrationen sprechen für die Demokratie
„Wenn Menschen ihr Versammlungsrecht wahrnehmen und ihre Meinung auf der Straße kundtun, spricht das für die Lebendigkeit der Demokratie“, erklärt Philipp Gassert von der Universität Mannheim. Der Historiker hat intensiv zur deutschen Protestgeschichte seit 1945 geforscht und dazu ein Buch veröffentlicht. Sein Credo spricht bei der Debatte - klug von der Landtagsabgeordneten Aschhoff moderiert - so ziemlich allen aus der Seele. Aber wo und wie verlaufen Grenzen?
Das Sirenengeheul einer Mini-Performance, die an eine Straßenblockade der „Klimakleber“ erinnert, signalisiert ohrenbetäubend, dass Protestformen höchst unterschiedliche Facetten haben. Der Schauspieler, Drehbuchautor und Aktivist Raúl Semmler, der als Gesicht „der Letzten Generation“ gilt, betont: „Wir sind friedlich!“ Er sinniert aber auch darüber, dass der Grat zwischen zivilem Ungehorsam als legitimem Mittel für Prostest und einer Straftat schmal ist.
Im Gespräch räumt er ein, dass ihn die starken öffentlichen Anfeindungen überrascht und so manche in der Gruppe verunsichert haben - was nicht ohne Konsequenzen blieb. Bekanntlich hat „die Letzte Generation“ Anfang des Jahres bekanntgeben, dass sie sich vom Kleben verabschiedet - nicht aber vom Klima-Engagement. Historiker Gassert zeigt sich überzeugt: Eine bewegte Gesellschaft braucht als Motivation Narrative, die davon künden, dass sich tatsächlich etwas bewegt. Er weiß aus seiner Forschungsarbeit nur zu gut, dass sich auch erfolgreiche Protestbewegungen abnutzen können. Wenn die „utopische Kraft“, die sie einst ausstrahlten, verloren geht.
Mehr Menschen als gedacht gehen auf die Straße
Dass so einiges in Bewegung geraten ist, obwohl es noch viel zu tun gibt - davon vermag Susanne Hun vom Vorstand für das „Queere Zentrum Mannheim“ zu berichten. Der Christopher Street Day ist auch in Mannheim eine Erfolgsgeschichte für bunte Vielfalt und gegen Ausgrenzung. Und dennoch machen Hass und Hetze zu schaffen, verstärkt in sozialen Netzen. Susanne Hun sieht hier einen „fast rechtsfreien Raum“. Während die Grünen-Politikerin Aschhoff die Strategie verfolgt, jede über sie digital verbreitete üble Nachrede bei der Polizei anzuzeigen, plädiert Hun dafür, Medienkompetenz zu erhöhen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.
Das analoge Gespräch mit Augenkontakt, es kommt bei dem Abend nicht zu kurz. Und dabei tauschen sich so manche darüber aus, wen sie von jenen Männern und Frauen, die über den Köpfen schweben oder als „Lichtgestalten“ an die Säulen projiziert werden, kennen. Und dabei zeigt sich, dass mehr Menschen als gedacht sowohl als aus Kommunalpolitik und Gesellschaft wie von nebenan auf die Straße gehen. Wissenschaftler Gassert: Digitales Zeitalter hin, soziale Medien her - die Motivation, leibhaftig zu demonstrieren, werde bleiben. Weil solcherart Proteste einerseits Anliegen sichtbar machen und sich obendrein innerhalb einer Gruppe als sinnstiftend erweisen.
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