Interview

Sängerin Paula Carolina aus Mannheim spricht über Hass im Netz

Vor ihrem Konzert am 7. November in der Alten Feuerwache spricht die Wahl-Mannheimerin Paula Carolina über ihr neues Album „Extra“, politische Songs und Hasskommentare

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Ist als Pop-Frontrau so „Extra“, wie der Titel ihres Debütalbums: Songwriterin Paula Carolina. © Eric Joel Nagel

Mannheim. Paula Carolina, vor Ihrem Konzert in Ihrer Wahlheimat Mannheim fällt auf, dass die neuen Songs auf Ihrem Debütalbum „EXTRA“ fast wie live klingen. Liegt es daran, dass viele davon schon bühnenerprobt sind?

Paula Carolina: Wir haben alles schon live gespielt, bevor es im Studio aufgenommen haben.

Ist es für recht wavig basierten Sound wichtig, dass mit Johann Seifert ein Bassist das Album produziert hat.

Paula Carolina: Was man auf jeden Fall hört, ist, dass die zwei Menschen, mit denen ich alles geschrieben habe, beide sehr gut Bass spielen. Das ist mein Gitarrist, der aber auch jedes Instrument spielt: Nikolaus Winkelhausen. Und ich schreibe seit dem Song „Trophäe“ sehr viel Text mit einem Freund von mir. Der heißt Marius Fietz und ist auch von Haus aus Bassist. Wie auch Johann Seifert, mein Produzent. Auch ich liebe den Bass. Das macht bei unserer Musik enorm viel aus. Denn da komme ich emotional am meisten her, neben der Gitarre. Deshalb ist es so präsent auf dem Album.

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Johann Seifert gehört zur Live-Band von Cro und zur Kleinen Audiowelt in Sandhausen. Haben Sie dort viel Studioarbeit gemacht?

Paula Carolina: Wir haben tatsächlich in Sandhausen ein paar Sachen aufgenommen, immer mal wieder. Es war am schlauesten, sich dort zu treffen, wenn er gerade da war. Wir haben auch sehr viel in Berlin gemacht. Seine Homebase vom Studio her hat er mittlerweile in Berlin.

Das Album klingt tatsächlich sehr nach Unterwegs-sein…

Paula Carolina: Ja, wir waren auch die ganze Zeit unterwegs.

Wie ist es denn, wenn man auf dem Dorf im Hardtwald Großstadtmusik aufnimmt?

Paula Carolina: Ich finde das tatsächlich die beste Option, Musik zu machen – generell. Einfach am Arsch der Welt. Weil erstens wollen wir ja laut sein. Und zweitens mag ich das total, wenn man runterkommt und dann in der Musik ausrasten kann. Und ich persönlich finde, wenn man den ganzen Tag im Studio ist, dann noch durch Berlin muss und am nächsten Morgen wieder ins Studio – dann gibt es nie diesen Moment, dass man so richtig Energie wiederfindet. Ich finde Studioarbeit und kreativ sein auch einfach sehr anstrengend irgendwann. Weil man sehr, sehr, sehr viel Seele da reinpackt. Und die muss man ja auch wieder zurückbekommen. Ich bekomme sie eher wieder zurück, wenn ich abends noch eine Runde durch ein Feld spaziere.

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Sie haben 2023 die sehr erfolgreiche Sechs-Track-EP „Heiß/kalt“ veröffentlicht mit Hits wie „Schreien!“, Trophäe“ oder „Wärs ok?“. Die Veröffentlichungspolitik konzentriert sich heute oft auf einzelne Lieder oder kleine Formate. Ist es trotzdem nicht schade, dass sich keiner dieser millionenfach geklickten Fan-Favoriten unter den zehn Songs Ihres offiziell ersten Albums finden? Auf „EXTRA“ hätten ja auch 16 Nummern gepasst.

Paula Carolina: Das war auf jeden Fall eine Option. Wir haben lange überlegt, ob wir das machen. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass Fans eher wollen, dass man mit jeder Platte etwas komplett Neues präsentiert. Das hat sich für uns auch in dem Moment einfach richtig angefühlt.

Und in welche Richtung gingen die anderen Überlegungen?

Paula Carolina: Wir haben lange überlegt, ob wir „Schreien!“ noch mal aufs Album draufpacken. Weil wir uns daran mixingtechnisch immer sehr stark orientiert haben. Es ist auch einer der Songs, den wir seit dem Anfang unserer musikalischen Welt am meisten gespielt haben. Im Herzen ist er auf dem Album auf jeden Fall dabei. Dass er fehlt, heißt nicht, dass wir „Schreien!“ nicht mehr live spielen. Wir werden auch ein Live-Album zur Tour machen und da wird er dabei sein.

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Klingt so, als sei Ihnen das Albumformat weiterhin wichtig.

Paula Carolina: Ja, ich brauche als Künstlerin eine gewisse Zeit, um meine Geschichte zu erzählen. Das funktioniert auf einer EP nicht so gut. Damals haben wir halt nur Zeit gehabt für eine EP, denn mit „Schreien“ hat sich plötzlich unsere Welt ein bisschen beschleunigt. Als wir verarbeitet hatten, was da passiert ist, wollte ich auch direkt ein Album machen. Denn ich hatte so viele Themen, und ich wollte mir auch das erste Mal so richtig lang die Zeit nehmen und konzeptig denken. Das geht nur auf einem Album.

Das Cover zeigt Sie mit stacheliger Oldschool-Punk-Frisur wie eine erschöpfte Marionette, deren Fäden an Luftballons hängen. Laut sein, auch politisch oder feministisch, aber auch auf die mentale Belastung achten – ist das die Kernbotschaft Ihrer Musik?

Paula Carolina: Tatsächlich nicht, aber das ist eine interessante Interpretation. Mir geht es dabei eher darum, dass jeder denkt, du wärst abgehoben. Dabei sitzt du ziemlich fest auf dem Fußboden. Ich habe auf dem Album einfach versucht, alle Seiten vom Leben zu zeigen. Von irgendwie deprimiert, weil alles gerade schiefläuft, bis hin zu extrem ekstatisch, glücklich und dann wieder sehr traurig.

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Alles ist irgendwie extra heutzutage, oder?

Paula Carolina: Das ist mit diesem „Extra“-Begriff gemeint. Alles ist ein Extrem. Auch unsere Welt ist ja zurzeit sehr extrem in allen Richtungen. Ich wollte abbilden, wie meine Welt mittlerweile aussieht. Und ich glaube, deswegen können sich vielleicht auch Leute damit identifizieren. Weil ich nicht versucht habe, zu sagen: Wir erklären, wie die Welt ist. Sondern eher: Ich erzähle davon, wie ich sie sehe.

Als Pop-Frontfrau sind Sie automatisch extra. Wie anstrengend ist es, andauernd extrovertiert zu sein, diversen Erwartungshaltungen entsprechen zu müssen? Sie sind eine sehr energetische Person, da fällt es Ihnen nicht schwer, oder?

Paula Carolina: Also unsere Fans sind extrem tolle Menschen, die haben sehr viel Verständnis für alles. Was mir auf jeden Fall mittlerweile hilft, ist einfach zwischendurch mal in die Natur zu gehen, einfach mal Privatperson sein und meine Ruhe haben zu können. Aber das müssen Sie mich noch mal in einem Jahr fragen. Weil bei uns zurzeit so viel passiert und alles so schnell geht. Von Tour zu Album und wieder auf Tour. Wir haben einfach nicht so viel Zeit, um uns mal vor den Baum zu setzen und nachzudenken, wie es uns geht. Ich glaube, wir alle sind gerade sehr glücklich, was da passiert und machen einfach so lange weiter, wie es irgendwie geht. Und dann gucken wir mal, was wir dann machen.

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Sie wohnen trotz des Unterwegs-Seins immer noch in Mannheim?

Paula Carolina: Genau, ich habe noch eine Wohnung in Mannheim, und ich habe auch eine Zeit lang in Berlin eine Wohnung gehabt. Und gerade haben wir aber tatsächlich auch einen Ort, wo wir unser ganzes Zeug lagern – in der Natur.

Leben Sie denn auch über längere Zeit in Mannheim oder ist die Wohnung hier nur eine größere Garderobe?

Paula Carolina: Also ehrlich gesagt, in den letzten zwei Jahren war ich nicht oft da.

Einen Moment, als Sie in Mannheim waren, haben Sie per Video verewigt: Sie saßen mit Soffie auf der Neckarwiese und haben eine sehr schöne Duo-Version von „Für immer Frühling“ gesungen. Das Lied von Soffie hatte als Lied der Anti-Rechts-Demos Furore gemacht. Aus diesem Lager gab es dann die üblichen Hasskommentare, oft misogyn. Sind Sie noch erstaunt über solche Reaktionen auf ein hübsches, harmloses Lied?

Paula Carolina: Zu dem Zeitpunkt war es schon einfach sehr krass. Aber wir hatten das mit „Schreien!“ schon und mit anderen Songs gab es riesige Shitstorms. Ehrlich gesagt, so richtig erstaunen tut mich das nicht, wenn ich mir gerade so unsere Welt anschaue und unsere Wahlergebnisse. Und die Gründe, warum Leute gerade deprimiert oder entmutigt sein können. Dass man das dann im Internet auslebt, das hat mich noch nicht so geschockt. Aber ich schaue nicht mehr so viel rein mittlerweile. Ich lese generell nicht so viele Kommentare. Aber bei Soffie hört es gar nicht mehr auf mit den politischen Debatten, vor allem auf TikTok. Aber ich finde das ehrlich gesagt auch ziemlich cool.

Das Cover von "Extra". © Eric Joel Nagel

Inwiefern?

Paula Carolina: Natürlich wäre ich froh über eine Welt, in der die Leute nicht rechtsextrem sind. Aber solange das anders ist, finde ich es eigentlich ziemlich gut, dass sie einen Ort finden, wo sie politisch debattieren und aufeinandertreffen. Dafür gibt es gerade nicht so viele Räume. Wo man sich mal relativ sicher hinsetzen und diskutieren kann mit Leuten, die anderer Meinung sind. Unter unseren Reels und TikTok-Videos gibt es auf jeden Fall eine Leinwand, auf der man sich ausleben kann.

Das ist eine fast bewundernswert positive Sichtweise. Haben Sie jemals auf einen Hasskommentar reagiert oder lässt man das besser abperlen? Mentaler Lotuseffekt …

Paula Carolina: Ja doch, es gibt schon manche Kommentare, die an mich rankommen, in dem Moment, wo sie gepostet werden. Wenn sie politisch so richtig in die Hose gehen, dann schreibe ich schon manchmal was drauf.

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Zum Beispiel?

Paula Carolina: Letztens hat eine Person geschrieben: „Du bist der Grund, warum wir uns wünschen, dass die Mauer wieder steht.“ Das fand ich dann schon krass. Weil ich auch Leute in meiner Familie habe, die damals sehr stark unter der DDR gelitten haben. Die versucht haben, da rauszukommen. Das ging natürlich vielen Leuten so. Es hat so viel Familien getrennt. Es war so eine schlimme Phase in unserer Geschichte, dass ich diesen Satz einfach nur abartig dumm fand. Deshalb habe ich dazu etwas geschrieben. Aber die meiste Zeit halte ich mich da eher raus. Es bringt ja auch nichts, wenn ich anfange, über Kommentare zu diskutieren. Ich mache dann lieber Songs darüber und nehme die Energie dafür. Und andere Leute hören sich das dann danach an und haben das Gefühl, sie werden gehört und schöpfen Mut, wieder in die Kommentarspalte zu kommen.

Zur Person, zum Album, zum Konzert

Die Sängerin und Songschreiberin Paula Carolina wurde am 29. Juli 1999 in Langenhagen bei Hannover geboren. Die Urgroßenkelin des Dirigenten Eugen Jochum (1902-1987) wuchs in der Wedemark auf. 2021 besuchte sie den Popkurs in Hamburg.

Dort traf sie ihren jetzigen Gitarristen Nikolaus Winkelhausen, der an der Popakademie studiert. Paula Carolina zog Anfang 2022 nach Mannheim und gründete dort ihre Band.

Allein auf Spotify hören ihre Musik monatlich mehr als 350 000 Menschen.

Paula Carolinas Debütalbum „Extra“ ist als LP, CD und digital bei Superpol erschienen.

Sie spielt am Donnerstag, 7.  November, im Mannheimer Kulturzentrum Alte Feuerwache. Das Vorprogramm bestreitet ab 20 Uhr das deutschtürkische Indie-Rock-Trio Engin. Abendkasse: 35 Euro.

 

Sie haben zum Beispiel das sehr klug formulierte Lied „Angst frisst Demokratie“ geschrieben. Was kann ein politisches Lied bewirken?

Paula Carolina: Das ist genau die Frage. Am Ende des Tages kann ich ja nicht reinschauen, was jede Person denkt, und was passiert in den Momenten, in denen sie diesen Song anhören. Das würde ich gerne mal tun, ein bisschen Mäuschen spielen. Aber bei einem Auftritt Anfang des Jahres in Wien, habe ich verstanden, was dieses Lied bewirken kann. Wir haben bei der Eröffnung der Festwochen gespielt.

Was ist dort passiert?

Paula Carolina: Da haben sie die Freie Republik Wien ausgerufen, um sich politisch von der Wiener Politik und generell der österreichischen Politik zu distanzieren. Dabei wurde sehr feministisch und in meinen Augen sehr positiv politisch geredet. Es waren sehr krasse Leute da wie Pussy Riot und es gab Videobotschaften zum Beispiel von Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Und wir spielten „Angst frisst Demokratie“. Da haben alle mitgesungen, es gab Streicher, Bläser, einen Chor mit 70 Menschen auf der Bühne. Als ich dort diesen Song spielen durfte, hatte ich wirklich das Gefühl, ich kann irgendetwas verbessern auf der Welt. Es war ein ganz krasser Moment. Und dann fährst du wieder irgendwo anders in Deutschland hin und du merkst, wenn du das Lied dort spielst, das wollen sie wirklich überhaupt nicht hören. Ich glaube, wir haben in Deutschland und generell auf der Welt sehr gespaltene Meinungen zu dem Thema.

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