Die Nerven sind zurück in Mannheim, und eigentlich stellt sich im Vorfeld nur eine große Frage: Kann es noch einmal so denkwürdig gut werden wie beim letzten Konzert im November 2022 im Jugendzentrum Forum? Als die deutsche Indierock-Verheißung alles in Grund und Boden gespielt hat. Die Entwarnung vorweg: Ja, es ist auch am Dienstag in der Alten Feuerwache wieder überragend. Aber ein bisschen anders.
„Wir waren hier“ heißt das neue Album des Trios aus Berlin und Stuttgart. Eine formidable Platte, die vielleicht nicht ganz das Ausnahme-Niveau des selbstbetitelten Post-Corona-Werks aus dem Jahr 2022 erreicht. Egal, im deutschsprachigen Indierock-Sektor gibt es zurzeit kaum eine bessere Band.
In rot-weißes Licht getaucht feuern Die Nerven mit „Als ich davonlief“ gleich eines der Highlights der neuen Platte ab. Wo stehen wir, mit Donald Trump als neuem US-Präsidenten und einer auseinandergebrochenen Regierung in Deutschland? Hoffnung gibt es an diesem packenden Abend wenig, dafür aber ganz viel Energie. Und außergewöhnlich gute Texte.
Der Titelsong „Wir waren hier“ klingt wie eine psychedelische Nahtod-Erfahrung, das bestechende „Das Glas zerbricht und ich gleich mit“ erzählt von den schwierigen Zeiten, in denen wir leben.
Vor der Bühne brodelt es. „Warum hab ich Angst und du nicht?“, schreit Co-Sänger Max Rieger, bevor er sich erstmals an die Besucher richtet. „Es ist immer wieder schön, in Mannheim zu sein. Der schönen Stadt, die sich hinter hässlichen Gebäuden versteckt.“ Kein Slogan fürs Stadtmarketing. Generell werden die gängigen Parolen lieber angezweifelt. Wie in „Achtzehn“, das infrage stellt, ob in der Jugend alles wirklich so viel besser war. Oder in „Europa“, mit der prägnanten - und nicht erst durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine überholten - Losung „Und ich dachte irgendwie, in Europa stirbt man nie“.
Schlechte Laune gibt es zurzeit wirklich schon genug, Die Nerven arbeiten stattdessen daran, ihr Mannheimer Publikum wie damals im Forum komplett in Aufruhr versetzen. Und schaffen das spielerisch leicht, zum Beispiel beim drängenden „Keine Bewegung“. Zu Beginn wirkt alles harmlos, bis sich der Song in einen alles niedermetzelnden Post-Punk-Zombie verwandelt.
Eine furiose, fast körperliche Erfahrung, aber noch getoppt von „Die Erde gleich“. Dieses kleine Meisterwerk, fulminant angetrieben vom exzellenten Schlagzeuger Kevin Kuhn, steuert auf ein Trail-of-Dead-würdiges Inferno zu. Die 600 Besucher, doppelt so viele wie vor zwei Jahren im Forum, nehmen die Vorlage gerne auf. Fliegende Köpfe auf der Bühne, tanzende Körper unten im Saal.
Ausflug in die Frühphase gegen Ende
Gegen Ende biegt das anderthalbstündige Konzert in die Frühphase der Band ein, als mit „Angst“ sowie „Frei“ und „Dunst“ in der Zugabe ältere Stücke von den Platten „Fun“ (2014) und „Fake“ (2018) einen gefeierten Abend beschließen. Auch wenn der ganz große Durchbruch in den Mainstream dieser Band für Indierock-Feinschmecker weiter auf sich warten lässt: Wer ein legendäres Konzert wie das vor zwei Jahren im Mannheimer Forum auch im größeren Rahmen der Feuerwache mühelos bestätigen kann, muss sich keine Sorgen machen.
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