Mannheim. Wo hingehen, wenn es kein Zuhause gibt? Wo und unter welchen Umständen schlafen? Der Fotograf Torsten Redler war in Mannheim knapp ein Jahr unterwegs, um Spuren der Obdachlosigkeit zu dokumentieren. Daraus ist die Fotoserie „Good Night – Sleep Tight. Schlafplätze von Obdachlosen“ entstanden, die vom 20. September bis 17. November in der Erlöserkirche, Seckenheimer Hauptstraße 135, zu sehen ist. Im Interview spricht Redler über seine Arbeit und seine Begegnungen.
Herr Redler, mit welchem Bild haben Sie eigentlich angefangen?
Torsten Redler: Das erste Foto habe ich an der Unterführung am Luisenpark aufgenommen. Das war mehr oder weniger Zufall, weil ich eine Kamera dabeigehabt habe. Ich hatte das Thema aber schon länger im Kopf.
Trotz des Zufalls ist das Foto also nicht spontan entstanden?
Redler: Im Frühjahr 2018 habe ich das soziale Kunstprojekt Ikosaeder mit Romana Rokvic im Zeitraumexit fotografisch begleitet. Dabei ging es um Übernachtungsmöglichkeiten für Obdachlose, da im Kältewinter 2016/17 Menschen in Frankfurt erfroren sind. Ich hatte die ganze Zeit vor, mit dem Thema zu arbeiten, weil ich das unterwegs täglich sehe. Es hat sich aber nie ergeben, man braucht einen Zufall, über den man stolpert. Das ist dann der Punkt, an dem man weitermachen kann. Während der auslaufenden Corona-Pandemie 2022 hatte ich natürlich ziemlich wenig zu tun.
Wie war die erste Begegnung?
Redler: Die erste Begegnung war zufällig, denn die Obdachlosen sind tagsüber natürlich nicht da. Ich habe ein Foto vom Schlafplatz gemacht und dann geschaut, wo die überhaupt sind. Hinter dem Amtsgericht am Friedrichspark bin ich dann jemandem über den Weg gelaufen und habe eine Weile mit ihm gesprochen. Ich habe aber auch gemerkt, das ist eine ziemlich flüchtige Angelegenheit. Viele trifft man nur ein einziges Mal.
Die Menschen selbst haben Sie aber nicht fotografiert?
Redler: Es ist besser zu zeigen, wie sie schlafen, nicht wer da schläft. Die Verhältnisse sind zum Teil absurd. Dass da jemand freiwillig schlafen möchte, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Die Ausstellung
- Torsten Redler ist freiberuflicher Fotograf aus Mannheim.
- Die Eröffnung von „Good Night – Sleep Tight. Schlafplätze von Obdachlosen“ findet am 20. September um 18.30 Uhr in Anwesenheit des Fotografen statt.
- Öffnungszeiten sind montags von 14 bis 16 Uhr, freitags von 9.30 bis 12 Uhr und um jede Veranstaltung in der Erlöserkirche herum, besonders zu den Sonntagsgottesdiensten.
- Die Ausstellung läuft bis 17. November. vg
Was bedeutet Obdachlosigkeit für Sie?
Redler: Obdachlosigkeit bedeutet für mich in erster Linie eine Lebensgeschichte, die an der Gesellschaft unglücklicherweise vorbeigelaufen ist. Es hängen immer Schicksale daran. Ich bewerte die Leute nicht, auch nicht diese ganz merkwürdigen „Zausel“, die man da trifft.
Haben Sie mit den Menschen über ihre Schicksale gesprochen?
Redler: Die meisten blicken, wenn sie überhaupt davon erzählt haben, auf eine schwierige Kindheit zurück. Eine plötzliche Scheidung, die Wohnung gekündigt bekommen, plötzlich auch noch die Arbeit verloren und – Bumm! Alle haben gesagt, das geht schneller, als du gucken kannst. Heute gehst du noch ins Büro und morgen hast du Taschen in der Hand, stehst irgendwo an der Unterführung und überlegst, ob du da jetzt schlafen sollst.
Was wollen Sie mit den Fotos sichtbar machen?
Redler: 2022 wurde der erste Wohnungslosenbericht der Bundesregierung veröffentlicht. Dass es Obdachlose gibt, kann man in Mannheim an jeder Ecke sehen. Die Idee war, sichtbar zu machen, wie Obdachlose schlafen müssen, zu zeigen, wie das wirklich aussieht.
Mit der Intention, zu helfen?
Redler: Die Fotos sind zum Teil mitten in der Stadt aufgenommen worden. Es ist ein Foto am Willy-Brandt-Platz dabei, direkt neben einer Dönerbude mit zehn Leuten in der Schlange. Die Leute gucken aber gar nicht hin. Das Fotografische ist daher schon so etwas wie ein bisschen mit der Nase drauf stoßen. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 Obdachlosigkeit in Deutschland zu beenden. Das finde ich illusorisch. Die Betroffenen, mit denen ich gesprochen habe, sehen das auch so.
Wünschen sich diese Menschen eine Rückkehr in die Gesellschaft?
Redler: Manche sind inzwischen so weit von der Gesellschaft entfernt, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen können, wie sie sich wieder integrieren sollen. Eine Sorge, die ich oft gehört habe, ist: Wie soll das funktionieren? Wo soll ich wohnen? Wer lässt mich wohnen? Guck mal an, wie ich aussehe. Einer, der immer mit einem Haufen Taschen durch die Gegend läuft, sagte, er weiß nicht, wie er es beenden kann. Er hat die größten Probleme, wenn er irgendetwas braucht, ärztliche Versorgung zum Beispiel. Dann muss er zum Arzt, bekommt einen Termin gemacht. Es geht aber an seiner Lebensrealität vorbei, einen Termin zu machen. Mit seinem ganzen Kram irgendwohin zu laufen. Viele wissen, dass sie neben der Gesellschaft herlaufen. Aber merken es inzwischen nicht mehr.
Welche Gefühle haben diese Situationen bei Ihnen ausgelöst?
Redler: Betroffenheit. Ich habe die Fotos eine Weile liegen lassen, angeschaut und gedacht: Im Prinzip kann dir das auch passieren. Gerade in der Pandemie, als Fotograf. Ich habe in erster Linie im Kulturbereich fotografiert, das war auf einmal alles weg. Es hätte passieren können.
Zwei oder drei Mal Pech haben genügt …
Redler: Das haben die Leute, mit denen ich gesprochen habe, immer wieder betont: Es geht schneller, als du gucken kannst. Du weißt gar nicht, wie dir geschieht.
Was sollen die Betrachter empfinden, wenn sie Ihre Fotos sehen?
Redler: Ich hoffe, ein bisschen mehr Empathie. In Gesprächen mit Leuten habe ich oft gehört, die Obdachlosen seien selbst schuld, so schlimm ist es nicht oder es sei eine Wahl. Nein, das ist es nicht! Viele Menschen können keine Hilfe einfordern, sie haben das nie gelernt. Sie haben grundlegend psychische Probleme allein dadurch, dass sie auf der Straße sitzen.
Wie können wir denn Ihrer Meinung nach helfen?
Redler: Ich kann nicht helfen. Helfen können nur offizielle Stellen. Ich habe mit meinem Fotoapparat nur die Möglichkeit, auf die Situation aufmerksam zu machen. Ich halte es für eine Unterlassung, das nicht zu versuchen. Es schafft Aufmerksamkeit. Wenn wir bis 2030 Obdachlosigkeit beenden wollen, dann sollten wir uns langsam aber sicher sputen.
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