Mannheim. Nach Covid ist plötzlich alles anders: Die quietschfidele Freundin ist nur noch schlapp, die sonst lebensfrohe Mutter nahezu depressiv. Es könnte eine Folge des Virus sein: Fatigue. Das chronische Erschöpfungssymptom schränkt nicht nur die Lebensqualität von Krebspatienten sehr stark ein. Fatigue tritt auch oft als Folge einer überstandenen Covid-19-Infektion auf.
Im Rahmen von zwei durch das baden-württembergische Wissenschaftsministerium geförderten Projekten will man in der Region Erkenntnisse Long-Covid und dessen Kernsymptom Fatigue sammeln. Unter anderem an der Mannheimer Universitätsmedizin und am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI). Das Ziel dahinter: Endlich ein besseres Krankheitsverständnis - und neue Zielstrukturen für Therapien ausfindig zu machen.
Gesucht: Biomarker
Die Zeit drängt und diese Forschung ist enorm wichtig: Denn wie kürzlich eine Studie im Fachblatt „Nature Reviews Microbiology“ zeigte, leiden etwa 65 Millionen Menschen auf der Welt an Long-Covid, rund eine Million wohl in Deutschland. Auch am Mannheimer ZI war die Nachfrage an in der 2021 eigens dafür eingerichteten Post-Covid-Ambulanz von Beginn an hoch.
Post-Covid-Sprechstunde und weiterführende Links
- Merkmale von Long Covid sind etwa Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen, Veränderungen der Stimmung, etwa depressive Verstimmungen, Reizbarkeit oder Ängste. Zudem eine erhöhte psychische und körperliche Erschöpfbarkeit, Ermüdbarkeit und allgemeine verringerte Belastbarkeit.
- Fatigue bezeichnet genauer einen dauerhaften, chronischen Erschöpfungszustand infolge einer Erkrankung, der unabhängig von körperlichen oder geistigen Belastungen auftritt und durch Ruhe oder Schlaf kaum gelindert werden kann.
- Betroffene aus Mannheim und der Rhein-Neckar-Region können sich unter Tel. 0621/1703 28 50 in der Post-Covid-Ambulanz des ZI (K 3, 21) melden. Eine Untersuchung mit neuropsychologischer Diagnostik, evtl. Schlafdiagnostik und Blutanalyse, wird vorgenommen. Neben der ausführlichen Beratung zu Therapie-Optionen und Hilfsangeboten besteht die Möglichkeit, an Studien zum Long-Covid-Syndrom teilzunehmen.
- Hilfreiche Links: Selbsthilfe und viele Infos zur Erkrankung gibt es unter longcoviddeutschland.org und leben-mit-covid.de, zudem informiert die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung unter www.longcovid-info.de und das regionale Netzwerk Rhein-Neckar unter www.longcovidnetz.de. Eine Selbsthilfegruppe findet sich beim gesundheitstreffpunkt-mannheim.de see
Im einen geförderten Projekt bringen nun die Neurologischen Kliniken der UMM (Lucas Schirmer), des Uniklinikums Ulm (Hayrettin Tumani) und die ZI-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Claudia Schilling) Expertise ein: Sie wollen auch Biomarker, biologische Merkmale, die Prozesse oder Krankheiten im Körper anzeigen, finden. Mit dabei nicht umsonst die beiden Multiple Sklerose-Experten Schirmer und Tumani: Mit Fatique vergleichbare Symptome findet man auch bei anderen Krankheiten, bei denen man es mit entzündlichen Prozessen des ZNS zu tun hat - wie etwa Multiple Sklerose, einer Autoimmunerkrankung.
Diagnose- und Therapie-Ansätze
Das neue Projekt habe das Potenzial, „diagnostische wie therapeutische Ansätze aufzuzeigen - und letztlich Fatigue-Betroffenen zurück ins Leben zu helfen“, kommentierte die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Petra Olschowski die Förderung.
Gerade die Diagnosse ist so wichtig: Bei einer Krankheit, die mit so diffusen Symptomen einhergeht, dass Long-Covid-Betroffene oft auch falsch oder gar nicht diagnostizert werden. So ist es etwa in zahlreichen Foren im Netz nachzulesen. Doch das Leid, gerade dadurch, ist groß: „Müdigkeit und Erschöpfung mindern die Belastbarkeit sowie die Lebensqualität vieler Long-Covid-Patientinnen und -Patienten“, so auch Olschowski.
Immunsystem außer Kontrolle?
Der volkswirtschaftliche Schaden durch die Long-Covid-Krankheitsausfälle ist schon jetzt enorm. Viele, auch besonders viele junge Betroffene, sind etwa (temporär) arbeitsunfähig, wie zuletzt immer wieder Daten von Krankenkassen zeigten. Laut Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse etwa waren Long-Covid-Betroffene im Schnitt mehr als 100 Tage krankgeschrieben. Laut WHO sind von Long-Covid zudem besonders Frauen betroffen. Eine Auffälligkeit, die auch in der Forschung immer deutlicher wird. Unter anderem sind Frauen durch ihr besonderes Immunsystem anfälliger für Autoimmunerkrankungen.
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Ein Panel der der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina bestimmte zuletzt vier wahrscheinliche Ursachen von Long-Covid. Betonte dabei aber, man wisse noch viel zu wenig. Mit vorn dabei die Hypothese, dass Corona Autoimmunität triggert. Oder die These der „Virus-Reaktivierung“, dass etwa Epstein-Barr -Viren oder Herpesviren, die im Körper schlummern, wieder aktiv werden. Zudem stehen Gerinnungsstörungen und Schäden am Endothel, der Wandschicht der Blutgefäße, die so viel steuern, im Fokus. Da Gefäße überall im Körper sind, erklären sich auch die zahlreiche Symptome. Zu allerletzt noch die These des Virusreservoir: Vermehrungsfähige Viren bleiben im Körper und triggern (entzündliche) Immunreaktionen.
Biologische Ursache
Die Long-Covid Experten betonten dabei mehrfach, dass die biologischen Ursachen ernstgenommen werden müssten. Behauptungen, dass die Erkrankung psychosomatisch sei, gebe es zuhauf, so etwa Carmen Scheibenbogen von der Charité. Ja, psychosomatische Symptome gehörten zu Long-Covid, aber es sei eben keine psychosomatische Krankheit, betonte die Professorin. Noch mehr: Die psychische Belastung, in der die Menschen steckten, führe mitunter zu solchen Symptomen.
Vergesslichkeit im Fokus
Lange hatte es zudem von vielen Parteien auf verschiedenen politischen Ebenen Kritik gegeben, dass zu wenig in Long-Covid-Forschung investiert werde. In der Region gibt es nun aber noch ein zweites neues gefördertes Projekt: In diesem richtet sich der Blick erneut auf Entzündung. Genauer auf entzündliche Blut- und Hirnveränderungen. Patienten, die nach Covid-19 neuropsychiatrische Beschwerden wie etwa Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen aufweisen, sollen „systematisch auf objektivierbare kognitive und auf affektive Beeinträchtigungen untersucht werden“, so das ZI.
Blick in den Körper: Ist auch das Hirn entzündet?
Die Forschenden aus der Region gehe davon aus, dass eine Entzündungsreaktion des Hirngewebes und eine Störung des neuronalen Energiestoffwechsels bei der Erkrankung eine Rolle spielen könnte. Daher untersucht die Arbeitsgruppe von Gabriele Ende und Claudia Schilling (beide ZI) in Zusammenarbeit mit dem Uniklinikum Heidelberg (Daniela Roesch Ely und Brigitte Wildemann) den Gehirn-Stoffwechsel von Patienten mit Long-Covid und eine Kontrollgruppe vollständig Genesener. Unter anderem mit einer besonderen Form der Magnetresonanztomografie (MRT), die MR-spektroskopische Bildgebung, die Stoffwechselvorgänge sichtbar macht.
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