Coronavirus

Wenn die Corona-Impfung krank macht

Schauspielerin Felicia Binger zeigt nach der Corona-Impfung Symptome, die denen von Post-Covid ähneln - was folgt, ist ein Ärztemarathon

Von 
Carlotta Richter
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192 Millionen Corona-Impfdosen wurden bundesweit verabreicht – und zahlreiche Nebenwirkungen gemeldet. © Wolfgang Kumm/dpa

Berlin. Im Mai 2021 ließ sich Felicia Binger gegen Covid-19 impfen. Für die 29-Jährige, deren als Schauspiel-Karriere gerade erst Fahrt aufnahm, war klar, dass sie sich immunisieren lassen wollte. „Zum einen wurde bei Castings immer öfter nach dem Impfstatus gefragt und zum anderen hatte mein Stiefvater Lungenkrebs, weshalb ich ihn natürlich schützen wollte“, erzählt Binger heute. Bereits direkt nach der Impfung fühlte sich die 29-Jährige nicht gut, dachte sich aber nichts weiter dabei.

Zwei Tage später war ihre Haut plötzlich von einem juckenden Ausschlag übersäht: Nesselsucht. Ihre Hautärztin fragte Binger, ob sie in den Tagen zuvor etwas Ungewöhnliches gemacht habe. Da fiel ihr die Impfung ein. „Als ich das erwähnt habe, ist mir die Ärztin direkt ins Wort gefallen und hat mir gesagt, dass es daran nicht liegen kann“, erzählt Binger.

Nach der Nesselsucht kamen weitere Symptome dazu: Erst Entzündungen im ganzen Körper, Zuckungen, brennende Schmerzen in den Beinen, dann Erschöpfung, eine Sehstörung, kardiologische Probleme. Die Liste ist lang. Für Binger folgte ein Ärztemarathon durch halb Deutschland – aber niemand nahm sie wirklich ernst.

192 Millionen Impfdosen wurden mittlerweile in Deutschland verabreicht, 63,2 Millionen Menschen damit immunisiert. Wenn nach der Impfung post-covid-ähnliche Symptome auftreten, sprechen Experten mittlerweile immer öfter vom „Post-Vac-Syndrom“. Eine einheitliche Definition gibt es dafür bisher nicht. Einer der wenigen, die zu dem Thema forschen, ist Bernhard Schieffer, Direktor des Universitätsklinikums Marburg. Während Long-Covid Symptome beschreibt, die bis zu vier Wochen nach der Infektion auftreten, bezieht sich Post-Covid auf solche, die auch zwölf Wochen danach noch vorhanden sind.

Post-Vac-Sprechstunde eingeführt

Die Klinik hat ihre Post-Covid-Ambulanz mittlerweile um eine Post-Vac-Sprechstunde erweitert. Aktuell sei die Ambulanz bis Sommer 2024 ausgebucht, sagt der Kardiologe. „Und wir haben noch 7000 Patienten auf der Warteliste. Wir schätzen aktuell, dass das Post-Vac-Syndrom zwischen 70 000 und 100 000 Menschen betreffen könnte, die mehr oder weniger starke oder schwache Symptome haben“, sagt Schieffer.

Dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das die Sicherheit von Impfstoffen in Deutschland überwacht, wurden bis Ende Februar dieses Jahres 283 978 Verdachtsfälle nicht schwerwiegender Nebenwirkungen von Covid-19-Impfstoffen und 54 879 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen gemeldet.

Von dieser Zahl könne jedoch nicht auf die tatsächliche Häufigkeit von Nebenwirkungen geschlossen werden, da es sich eben nur um Verdachtsfälle handle, betont das PEI. Bislang hätten sich 1336 der gemeldeten Verdachtsfälle auf long-covid-ähnliche Zustände nach der Corona-Impfung bezogen, teilte das PEI auf Anfrage mit.

Dass die Corona-Impfung – genau wie andere Impfungen auch – Nebenwirkungen haben kann, hat mittlerweile auch Karl Lauterbach (SPD) zugegeben. Der Bundesgesundheitsminister, der zu Beginn der Impfkampagne davon gesprochen hatte, dass die Impfung „nebenwirkungsfrei“ sei, legte im März eine Kehrtwende hin und versprach ein Forschungsprogramm sowie Hilfe für Betroffene.

Dass sich Lauterbach zum Thema geäußert hat, sei gut, sagt Binger. „Aber solange wir keine konkreten Hilfen bekommen, bringt mir das nicht viel.“ Während des Gesprächs sitzt sie in der Wohnung ihrer Schwester in Berlin, wo sie aktuell in einer Behandlung ist.

Arbeiten kann sie nicht. Zwar sind einige ihrer Symptome abgeklungen, doch viele sind geblieben – darunter das chronische Fatigue-Syndrom ME/CFS. „Ich stehe immer vor der Entscheidung, wie ich die wenigen Kapazitäten, die ich am Tag habe, nutze“, sagt Binger. „Teilweise muss ich mich entscheiden, ob ich dusche oder mir lieber etwas zu essen mache. Beides schaffe ich nicht.“

Junge Frauen häufig betroffen

Insbesondere junge Frauen seien von Post-Vac betroffen, sagt Schieffer. Erste Erkenntnisse sollen in den kommenden Wochen präsentiert werden. Eine weitere der vielen offenen Fragen beim Thema Post-Vac ist jene nach der Ursache der Symptome – die Forschung dazu beginnt gerade erst.

Binger hat mittlerweile diverse Therapien ausprobiert – einen Großteil davon musste sie selbst bezahlen. Für Menschen, die nach der Impfung an post-covid-ähnlichen Symptomen leiden, gibt es bisher kaum Unterstützung. Grundsätzlich sieht das Infektionsschutzgesetz für Personen, die durch eine Impfung eine Schädigung erlitten haben, Zahlungen durch die Versorgungsämter vor. Nach Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ wurden dafür bis März über 6600 Anträge gestellt – und nur 285 genehmigt.

Die Betroffenen kämpfen jedoch nicht nur für die Anerkennung ihrer Erkrankung, sondern auch gegen Stigmatisierung. Nicht nur von Ärztinnen und Ärzten, sondern auch im privaten Umfeld sei sie lange nicht ernst genommen worden, sagt Binger. Wenn man sage, dass Symptome von der Impfung kämen, werde man schnell in eine Schublade mit Corona-Leugnern und Impfgegnern gesteckt. „Das ist absurd, weil wir ja solidarisch waren und zur Impfung gegangen sind“, sagt sie.

Schieffer betont: „Ich bin ein ausdrücklicher Impfbefürworter. Die Covid-19-Impfung hat uns geholfen, die Freiheit, die wir jetzt haben, wiederzuerlangen.“ Trotzdem sei es aber wichtig, dass sich die Wissenschaft auch mit dem Post-Vac-Syndrom beschäftigt.

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