Mannheim. Sie wollen nicht länger stillhalten – Eltern und Kinder, die von der Betreuungsmisere betroffen sind. Fehlende Kita-, Krippen- und Hortplätze, eingeschränkte Öffnungszeiten und hohe Gebühren: All das hat das Fass längst zum Überlaufen gebracht.
Nach Briefen an Stadtverwaltung und Mandatsträger und nach Protestkampagnen im Internet folgt jetzt der für die Eltern nächste logische Schritt: lautstarker Protest in aller Öffentlichkeit.
Eltern protestieren in der Mannheimer Innenstadt
Am Donnerstagnachmittag sind es vor allem Mütter und Väter von angehenden Schulkindern aus Seckenheim und Friedrichsfeld, die mit Trillerpfeifen und Sprechchören von den Planken kommend auf den Paradeplatz vor das Stadthaus ziehen und dort auf die prekäre Situation in der Schulkindbetreuung aufmerksam machen. Grund für die Wahl dieses Standorts: Kurz danach beginnt im Gebäude die Sitzung des Bildungs- und Jugendhilfeausschusses. Die Stadträtinnen und Stadträte kommen ebenso wie die Verwaltungsmitarbeiter, die daran teilnehmen, hier vorbei.
Oder halten an – wie Bildungsbürgermeister Dirk Grunert. Er steht seitens der Eltern vehement in der Kritik – und stellt sich vor der Sitzung dem Gespräch mit den Betroffenen. Grunert spricht vor allem vom akuten Personalmangel – dem maßgeblichen Grund dafür, warum die Situation so ist, wie sie ist.
In den beiden südöstlichen Stadtteilen – und nicht nur dort – zeichnet sich ab, dass zum Beginn des kommenden Schuljahrs im September viele Hortplätze fehlen werden. „Wir arbeiten alle fleißig. Wir sind gut ausgebildet. Und wir sind verzweifelt“, hat beispielsweise Stefanie Slesiona als Vertreterin von Friedrichsfelder Eltern an Dirk Grunert und Oberbürgermeister Christian Specht geschrieben.
Lehrerinnen und pädagogischen Fachkräften droht Jobverlust
„Massive Engpässe“ befürchten auch Seckenheimer Eltern. Nina Höft und zwei weitere Sprecherinnen betonten in einem Offenen Brief: „Die gegenwärtige Betreuungssituation zwingt viele Familien, insbesondere Frauen, in traditionelle Rollen zurück.“
Vor allem aber fehlten die so dringend notwendigen Fachkräfte, wenn „Juristinnen, Lehrerinnen, Chemikerinnen genauso wie Frauen in sozialen und handwerklichen Berufen“ nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten könnten. Diesen zentralen Punkt ihrer Kritik bringen die Eltern bei der Demo auch ausgesprochen plakativ zum Ausdruck. Auf Transparenten ist zum Beispiel zu lesen: „Fachkräfte zuhause, die Wirtschaft macht eine Pause“, oder: „Betreuungskatastrophe: Macht Euren Job, damit wir unseren machen können!“
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Welch absurde Auswirkungen fehlende Plätze haben könnten, bringen die Demonstrierenden auf den Punkt, wenn sie den drohenden Arbeitsplatzverlust bei pädagogischen Fach- oder Lehrkräften aufs Korn nehmen. So heißt es auf einem Schild: „Kein Hortplatz: Lehrerin muss Stunden reduzieren – das nächste Betreuungsproblem!“ Oder: „Meine Mama kann ihre Krippenkinder nicht mehr betreuen, weil ich keinen Hortplatz habe.“
In der anschließenden Sitzung des Jugendhilfe-Ausschusses geht Dirk Grunert auf die Proteste und mögliche Perspektiven für die Eltern in Seckenheim ein. Dort gebe es „tatsächlich noch zahlreiche Familien, die kein Hortangebot für das nächste Schuljahr bekommen haben“. Das liege daran, dass im städtischen Hort aktuell für zwei Gruppen das Personal fehle (vier Teilzeitstellen). Deshalb habe man „in der ersten Vergaberunde weniger Plätze vergeben als im letzten Jahr“. Die Stadt sei aber „relativ optimistisch“, diese Stellen besetzen zu können. Und so werde sich der „Stau“ in der „zweiten Vergaberunde, die Mitte Mai stattfindet, hoffentlich auflösen“.
Neues Betreuungskonzept wird an der Brüder-Grimm-Schule erprobt
Zugleich beschloss der Ausschuss, ab September in der Brüder-Grimm-Grundschule das Modell des „kooperativen Ganztags“ zu erproben. Grundgedanke: Bisher am Nachmittag ungenutzte Klassenräume dienen zur Einrichtung weiterer Betreuungsgruppen. Das Personal stellen freie Träger, im konkreten Fall das Diakonische Werk. Das entlastet die Stadt personell. Geplant ist, dass der Träger in einem ersten Schritt vier Gruppen der verlässlichen Grundschule (bis 14 Uhr) und eine Gruppe bis 17 Uhr übernimmt. Weitere sollen folgen, eventuell auch an weiteren Schulen. Ganztagsausbau-Koordinator Dennis Baranski betont: Die Diakonie sehe sich in der Lage, Personal für den ersten Schritt zur Verfügung zu stellen.
Trotz aller Bemühungen, so Grunert, werde sich die „Knappheit, die wir aktuell haben, nicht komplett auflösen lassen in kürzester Frist bis zu Beginn des nächsten Schuljahres“, vergleichbar mit den Vorjahren. Das gilt nicht nur für Seckenheim und Friedrichsfeld, auf den Grunert allerdings nicht explizit eingeht. Dass es überall Engpässe gibt, zeigt die Zuschrift einer Mutter aus der Neckarstadt-West.
Nach jetzigem Stand wird die Alleinerziehende für ihre Tochter im September keinen Hortplatz erhalten. Auch sie arbeitet als Lehrerin für Pflegefachpersonal in einem für das Sozialsystem relevanten Beruf. „Ich habe große Angst, meine derzeitige Arbeitsstelle zu verlieren“, hat sie an OB Christian Specht geschrieben, sie sei „ratlos und wütend“. Und weiter: „Der Druck, den Eltern wegen der zu wenigen Betreuungsplätze aushalten müssen, ist immens.“ Dem wird wohl keiner der Demonstrierenden widersprechen.
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