Schulleiterwechsel

Mannheimer Direktoren sehen fundamentalen Wandel des Gymnasiums

Die beiden Gymnasial-Direktoren Gerhard Weber (Moll) und Jürgen Layer (Lessing) gehen in Pension. Sie berichten, wie fundamental das Gymnasium sich gewandelt hat - und blicken auf "graue Männer in grauen Anzügen".

Von 
Bertram Bähr
Lesedauer: 
Treffen sich zum Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“ am Lessing-Gymnasium: Jürgen Layer (l.) und sein Kollege Gerhard Weber vom Moll. © Christoph Blüthner

Mannheim. Das Wort vom „Bildungsaufstieg“: Es manifestiert sich in Personen, die ihren Weg gemacht haben. Da ist zum Beispiel Gerhard Weber (67), scheidender Direktor des Moll-Gymnasiums. Oder sein Kollege Jürgen Layer (64), noch wenige Tage lang Chef des Lessing-Gymnasiums.

Beiden wurde dieser Weg nicht in die Wiege gelegt. Der Vater von Weber, Kriegsinvalide, gelernter Dachdecker, beschäftigt bei Daimler, konnte dem Sohn das Gymnasium nicht finanzieren, obwohl dessen Leistungen stimmten. So wird Weber „ein klassischer Realschüler“, der dann aber nach der Mittleren Reife auf die Oberschule wechselt, Abitur macht, studiert.

Lessing- und Moll-Gymnasium

  • Die Gründung des Lessing-Gymnasiums, das am Josef-Braun-Ufer beheimatet ist, geht auf das Jahr 1902 zurück. Es hat knapp 600 Schülerinnen und Schüler.
  • Eine Besonderheit der als Reformschule gegründeten Einrichtung in der Oststadt ist der Hochbegabtenzug.
  • Jürgen Layer (64) leitet das Lessing seit 2016. Zuvor war er unter anderem Leiter des Bunsen-Gymnasiums Heidelberg, geschäftsführender Leiter der Heidelberger Gymnasien und Leiter der Außenstelle des Landeslehrerprüfungsamts am RP Karlsruhe.
  • Das Moll-Gymnasium wurde 1969 im Niederfeld (Neckarau) eingeweiht. Knapp 800 Schülerinnen und Schüler besuchen es.
  • Neben einem naturwissenschaftlichen und sprachlichen hat das Moll ein Musik-Profil. Es soll ab dem Schuljahr 2023/24 das vierte baden-württembergische Musikgymnasium werden.
  • Gerhard Weber (67) ist seit 2002 Direktor des Moll-Gymnasiums und außerdem geschäftsführender Leiter der Mannheimer Gymnasien. Vor seiner Lehrertätigkeit arbeitete er für einen renommierten Schulbuchverlag

Auch für die Eltern von Layer war das Gymnasium „eine unvorstellbare Welt“. Sie fragten Freunde, bekamen den Tipp, der Sohn solle doch auf ein Gymnasium, „aber auf ein richtiges“. Ein „richtiges“ Gymnasium, das war in den 1960er Jahren im Gegensatz zum „neusprachlichen“ oder naturwissenschaftlich geprägten „Realgymnasium“ ein humanistisches mit Latein und Altgriechisch im Mittelpunkt - und Englisch unter ferner liefen.

Früher Kollegien fast ohne Frauen

Jürgen Layer lernte am Karlsruher Bismarck-Gymnasium eine Welt kennen, in der der Direktor eine absolute Autoritätsperson war. „Wenn er ins Zimmer kam, verstummten alle Gespräche“, erinnert sich Layer. Weber bringt die Atmosphäre in den Gymnasien von damals mit den Worten auf den Punkt: „Steif, förmlich, unnahbar“. In den Abitur-Prüfungskommissionen, so Layer, saßen „graue Männer in grauen Anzügen“.

Wie anders Gymnasium heute ist, wie fundamental sich alles gewandelt hat, darüber sprechen sie kurz vor ihrem Abschied in den Ruhestand mit dem „Mannheimer Morgen“. Während seiner Schulzeit, so Layer, habe es praktisch keine Frauen im Kollegium gegeben. Heute ist deren Anteil höher als der der Männer. Vor allem aber verzeichnen beide „eine völlig andere Art des Umgangs“ - mehr Kollegialität, mehr Miteinander, eine fundamental gewandelte Gesprächs- und Diskussionskultur. Den Umgang auf Augenhöhe auch mit Eltern, Schülerinnen und Schülern.

Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren

Was nach der Überzeugung von Weber und Layer damals wie heute möglich ist: der Weg „von unten nach oben“ - eben der „Bildungsaufstieg“, den beide erlebt haben. Das baden-württembergische Schulsystem biete zahlreiche Optionen, Schülerinnen und Schülern stünden „alle Möglichkeiten offen“. Layer erwähnt als Beispiel eine Abiturientin und einen Abiturienten mit Migrationshintergrund, die gerade den „Scheffelpreis“ erhalten haben, also die Auszeichnung für das beste Deutsch-Abitur. Und Weber konnte vor wenigen Tagen drei syrischen Jugendlichen das Abschlusszeugnis überreichen, die 2015 nach Deutschland gekommen waren. Layer meint: „Das ist das, was wir erlebt haben, in einer neuen Form.“

Vielfalt an Profilen

Aber es gibt eben auch den Weg „von oben nach unten“. Und dafür, kritisiert Gerhard Weber, sei nicht zuletzt der Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung im Jahr 2012 verantwortlich. Wer mit einer Werkreal- oder Realschulempfehlung ans Gymnasium gehe und dann scheitere und „zurück“ müsse, „geht mit Groll“ und voller Frustration.

Das meiste jedoch, da sind sich Weber und Layer einig, habe sich in den vergangenen Jahrzehnten zum Positiven verändert. Die Klassifizierung in humanistische und Realgymnasien gibt es nicht mehr. An deren Stelle sei eine große Vielfalt getreten. Jede Schule suche sich ihr eigenes Profil. Einige Stichworte: Naturwissenschaften, Musik, Sport, bilinguale Züge, Hochbegabten-Klassen. Hinzu kämen die Privatschulen, zum Beispiel mit konfessionellem Schwerpunkt. Mit anderen Worten: Viel mehr als früher konkurrieren die Gymnasien um die Schülerinnen und Schüler. Jürgen Layer findet das allerdings „gar nicht schlimm, weil wir davon auch ein Stück weit getrieben werden, uns selbst Gedanken zu machen“.

Mehr zum Thema

Wechsel

Was Schulleiter Rainer Bade der IGMH hinterlässt

Veröffentlicht
Von
Bertram Bähr
Mehr erfahren
Jubiläum

Gymnasium Schönau in Mannheim galt vor 50 Jahren als „Totgeburt“

Veröffentlicht
Von
Bertram Bähr
Mehr erfahren
Bildung

Zwölf Schulleiterstellen in Mannheim müssen neu besetzt werden

Veröffentlicht
Von
Bertram Bähr
Mehr erfahren

Vieles von dem, was heute normal ist - oder zunehmend normal wird - wäre vor 50 Jahren noch undenkbar gewesen. Man stelle sich vor, ein Gymnasium hätte damals - wie jetzt das Moll - gratis Periodenprodukte einführen wollen. Undenkbar damals aber auch, Fachleute von außen einzuladen, Sponsorenläufe zu veranstalten, oder - Stichwort Inklusion - Kinder mit Behinderung ins Schulleben zu integrieren.

Für Weber „einer kleiner Revolution gleich“ kam dann in den letzten Jahren - durch die Corona-Pandemie - die Organisation von Lehrerkonferenzen oder Gesprächen mit Elternvertretern über Video. „Dies wurde als eine enorme Erleichterung empfunden“ und werde zumindest teilweise beibehalten. Insgesamt habe Corona der Digitalisierung einen kräftigen Schub gegeben, „wir sind da ein sehr gutes Stück weitergekommen“, freut sich Weber.

Gesicherte Zukunft

Unterm Strich, das finden beide scheidenden Direktoren, haben die Gymnasien sich sehr gut entwickelt. Und was kritikwürdige Weichenstellungen angeht - etwa die Umstellung von G 9 auf G 8 oder die erwähnte Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung - meint Layer: „Ich trauere Dingen, die vorbei sind, nicht nach.“ Die Gymnasien, so Weber, seien „nach wie vor die beliebteste Schulform“, deren „Zukunft gesichert“.

Und was planen sie für ihre eigene Zukunft? Gerhard Weber freut sich ganz konkret auf eine zweiwöchige Radtour zwischen Ruhrgebiet und Rotterdam, auf mehr Zeit für Jazz, Filme und Bücher. Jürgen Layer lässt die Dinge auf sich zukommen, will „einfach die Freiheit, die ich gewonnen habe, nutzen“. Er ist überzeugt: „Langweilig wird mir nicht.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim. Schwerpunkte: Schulen und Kitas

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen