Es ist die Zeit, in der die Baby-Boomer massiv von den Grund- in die weiterführenden Schulen drängen. Immer neue Gymnasien werden Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre in Mannheim gebraucht – auch im Norden der Stadt. Aber muss es ausgerechnet auf der Schönau sein? Die Vorbehalte sind groß, bei den Schönauern selbst, bei den Bürgern benachbarter Stadtteile, eigentlich in der gesamten Stadt. Dennoch kommt es, das Gymnasium auf der Schönau. Fast 50 Jahre ist das jetzt her. Ein Festakt am Mittwoch, 13. Juli, im Johanna-Geissmar-Gymasium (JGG) – das bis 2014 Peter-Petersen-Gymnasium (PPG) hieß – erinnert daran.
Der damalige Schulbürgermeister Manfred David (1967 bis 1989) forciert das Projekt auf der Schönau. Den beiden Hauptschulen im Stadtteil, Peter Petersen und Käthe Kollwitz, stehen für 26 Klassen 42 Räume zur Verfügung – durchaus Potenzial also für den Ausbau zum Gymnasium. Aber es gibt Protest. Letztendlich entscheidet der Gemeinderat sich am 29. Mai 1972 für die Schönauer Lösung – nicht zuletzt, weil sie die geringsten Kosten verursacht.
„Das war nicht unbedingt im Sinne aller, der Anfang war etwas holprig“, blickt der aktuelle JGG-Direktor Roland Haaß – im Amt seit sechs und in der Schule seit 24 Jahren – zurück. Wer aus dem Mannheimer Norden das Abitur anpeilte, der strebte in aller Regel zu Ludwig-Frank-Gymnasium in die Neckarstadt, erzählt Haaß im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“.
Um einen erfolgreichen Start sicherzustellen, steckt die Stadt Mannheim für das Jahr 1972 ausnahmsweise einen Schulbezirk ab: Wer aus Schönau, Sandhofen, Waldhof, Luzenberg, Gartenstadt und Köfertal-Nord sein Kind auf dem Gymnasium sehen will, muss es im ersten Jahr auf die Schönau schicken – was auf massive Vorbehalte stößt.
Schließlich beträgt die Anmeldezahl 164. Und so kommen am morgen des 13. September 1972 die neuen Sextaner in den Lötzener Weg und bilden fünf Klassen. Heute undenkbar: „Die Öffentlichkeit nahm keine Notiz von der Schuleröffnung“, schreibt Eberhard Oettinger, der erste Direktor in der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen. „Wo andernorts aus solchem Anlass Politik und Verwaltung einander Lorbeerkränze winden und Ergebenheitsadressen ausgetauscht werden, wo feierlich Schlüssel überreicht werden, da ging man hier zur Tagesordnung über“, erinnert sich Oettinger. Es habe die Meinung vorgeherrscht, „dass ein Gymnasium in ,Baden-Württembergs proletarischstem Wahlkreis’ eine Totgeburt sei. Für Oettinger macht das eines ganz deutlich: „Die Zukunft dieses Gymnasiums war weitgehend in die Hände der Lehrer und Eltern gelegt.“
Allen Unkenrufen zum Trotz: Es klappt – und zwar sehr gut. Sehr schnell, so Eberhard Oettinger, „stellte sich ein starkes Wir-Gefühl und ein unbändiger Überlebenswille ein“. Im zweiten Jahr gibt es den speziellen Schulbezirk der Stadt Mannheim nicht mehr, jetzt zählt es. Werden die Eltern auch freiwillig ins PPG kommen? Sie kommen – und wie. Im zweiten Jahr: 149 Anmeldungen aus freien Stücken. Im Jahr darauf sogar 219. Schulbürgermeister David zeigt sich „vom Erfolg überwältigt“.
Dass ein räumlicher Ausbau jetzt unumgänglich ist, wird zum Konsens in der Stadt. Einen entscheidenden Beitrag zu diesem Sinneswandel leistet der Elternbeirat. Er „trommelt“ bei Fraktionen, Politikern, Stadt. Schließlich geht es um viel Geld – das letztlich fließt: in ein Fachklassengebäude mit integrierter Verwaltung und Bibliothek, in einen musischen Trakt, in Sportanlagen. Der Campus nimmt Gestalt an auf dem großzügig bemessenen Gelände, das noch heute das JGG prägt.
Mit dem Gymnasium auf der Schönau halten Dinge Einzug, die es zu diesem Zeitpunkt anderswo nicht gibt – und die bis zum heutigen Tag Bestand haben, wie Roland Haaß hervorhebt: Die Türen zum Lehrer- und Direktorenzimmer stehen Schülerinnen und Schülern immer offen. „Sie können kommen, ohne anzuklopfen“, sagt Haaß. Und zumindest einmal pro Jahr gibt es in allen Klassen einer Stufe eine einheitliche Klassenarbeit im jeweiligen Fach. Oettinger drückt es so aus: „Die gleichen Klassenarbeiten über den gleichen Stoff mit der gleichen Beurteilungsskala zur gleichen Zeit.“ Das sei „ein scheinbar ungeheurer Eingriff in die Freiheit der Pädagogen“ gewesen, aber „die Beschwerden gegen ungerechte Benotungen“ seien „gegen Null“ gegangen. Das PPG bekam den Ruf, eine „komische Schule“ zu sein – laut Oettinger „ein Prädikat, das der Schulgemeinschaft viel an Selbstbewusstsein gab“.
Neun Jahre nach dem Gerede über eine „Totgeburt“ auf der Schönau ist die Skepsis schon lange geschwunden. Wie vital das PPG ist, zeigt der erste Abiturjahrgang 1981. „Die Spannung legte sich schnell“, erinnert sich Ingo Leichert, der Nachfolger von Eberhard Oettinger. Denn: „Das Ergebnis war total normal. Man hatte den Vorwurf, die Schüler des Mannheimer Nordens seien nicht gymnasiabel, eindeutig widerlegt.“
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