Ein Besuch (mit Fotostrecke) - In einem Ausbildungswohnheim für Rettungssanitäter in Käfertal sind quasi über Nacht 125 Menschen untergebracht worden / Ein Besuch

Mannheimer Ausbildungswohnheim wird Unterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine

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Steffen Mack
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Auf einer Sitzung werden die Kriegsflüchtlinge über die Abläufe in der Unterkunft informiert, Dolmetscherin Anna German (rechts stehend) übersetzt. © Christoph Blüthner

Mannheim. Im Raum sitzen etwa 70 Menschen. Das Durchschnittsalter dürfte bei Mitte, Ende 30 liegen. Die meisten sind Frauen. Durch die Gänge wuseln ihre Kinder. Männer sind wenige da, im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 60 müssen sie in der Ukraine bleiben. Die Anwesenden begrüßt Michael Linke mit „Willkommen zu unserem Meeting!“ Dolmetscherin Anna German übersetzt.

Ukraine-Konflikt

Private Flüchtlingsunterkunft in Käfertal für 125 Menschen

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Eigentlich betreibt Linke hier in Mannheim-Käfertal ein Wohnheim, in dem Rettungssanitäter während der Ausbildung untergebracht sind. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine plante er mit seinem Freund Chris Rihm, Reisebüroinhaber und Grünen-Stadtrat, einen Hilfstransport. Auf der Rückfahrt wollte er Flüchtlinge mitnehmen. „Doch dann kam ein Anruf von der Stadt, ob ich nicht welche aufnehmen kann, die schon da sind.“ Schon am nächsten Tag seien rund 60 aus der Jugendherberge gebracht worden. „Jetzt sind es 125. Mehr kriege ich nicht unter.“ Über Nacht alles vorzubereiten, sei für seine Mitarbeiter, ehrenamtlichen Helfer und ihn eine immense Herausforderung gewesen. „Wir haben alles zusammengetrommelt.“

Ein Junge braucht einen Arzt

Jetzt muss der Alltag bewältigt werden. Zu dem auch Corona gehört. „Montags, mittwochs und freitags müssen sich alle ab 11 Uhr testen lassen“, kündigt Linke im Meeting an. Allgemeines Kopfnicken. Auch Impfungen würden jetzt im Haus angeboten. Eine Frau will wissen, ob die freiwillig sind. „Es ist keine Pflicht“, sagt der Herbergsvater, „aber wir empfehlen es.“ Und am Mittwoch komme ein Arzt ins Haus, „Auch für Kinder?“, fragt eine Mutter. Sie deutet auf eine andere, die den Sohn auf dem Arm wiegt. Es geht ihm offensichtlich schlecht. „Wir organisieren einen Kinderarzt“, verspricht Linke.

Bülent Ceylan sagt Auftritt zu, SV Waldhof lädt zum Heimspiel

  • Für seine Flüchtlinge bekommt Herbergsvater Michael Linke Hilfe aus der Käfertaler Umgebung sowie aus der Mannheimer Stadtgesellschaft.
  • Bei einem Benefizkonzert am vergangenen Samstag sangen unter anderem Klaus Eisenmann und Naro Vitale. Bülent Ceylan war per Video zugeschaltet und hat einen eigenen Auftritt demnächst zugesagt.
  • Der SV Waldhof hat die Bewohner der Unterkunft zum nächsten Heimspiel gegen Freiburg II eingeladen.
  • Geldspenden darf Linke nicht annehmen, weil es sich bei seinem Betrieb um keine Organisation handelt. Er bittet auch darum, von unangemeldeten Sachspenden abzusehen und erst eine Mail an ukraine@mc-cate.de zu schicken. 

 

Weiter geht es mit praktischen Dingen. In der Kleiderkammer könnten sich alle von 18 bis 19 Uhr bedienen. Drei Frauen bieten an, darin gründlich Ordnung zu schaffen. Kinder hätten alles durcheinandergebracht. Erleichtert wird applaudiert, als Linke die Lieferung von fünf Waschmaschinen ankündigt. Die alte im Keller sei ja kaputtgegangen.

„Hoch lebe die Ukraine“

Zwischendurch flüstert ein Mitarbeiter Linke zu: „Der Container wird gebracht, du musst dein Auto wegfahren.“ Der Herbergsvater antwortet leise: „Ist schlecht jetzt. Kann das nicht die Sarah machen?“ Doch seine engste Mitarbeiterin wird in der Sitzung ebenfalls gebraucht. Sarah Menrich hat einen Eimer mit Desinfektionsmittel vor sich und erklärt den Frauen, das sollten sie auch beim Putzen in ihren Räumen verwenden. Es gebe eine Magen-Darm-Welle. Linke bittet, Tassen und Gläser zurück in die Mensa zu bringen. Generell gelte ein Alkoholverbot. Auf dem Zimmer mal ein Bier oder ein bisschen Sekt, sei jedoch okay. Und, ganz wichtig: „Die Kinder dürfen nicht auf der Straße vor den Autos rumspringen!“ Dann fällt Linkes Blick auf den regungslosen Kleinen auf dem Arm der Mutter. „Das Kind sieht nicht gut aus“, raunt er Rihm zu, der neben ihm sitzt. „Kannst du schon mal den Arzt anrufen?“

An diesem Tag hat der Herbergsvater für seine Gäste eine besondere Überraschung. Weil sie nach der Anreise kein Geld bekommen, bevor sie nicht registriert und angemeldet sind, haben Linke und Rihm vergangenen Samstag ein Benefiz-Konzert organisiert. Erlös: rund 13 000 Euro. Am nächsten Morgen könnten alle in sein Büro kommen und bekämen ihren Anteil, kündigt Linke an. Also ungefähr 100 Euro pro Person.

Kinder beim Tischkicker am Rande des Sitzungsraums. © Christoph Blüthner

Am Ende steht ein 76-jähriger Mann auf. Er soll aus dem ukrainischen Parlament kommen. Auf der Flucht hätten sie schreckliche Dinge erlebt. Umso dankbarer seien sie für die herzliche Aufnahme hier. Heftiger Beifall. Er endet mit „Slawa Ukrajini!“ („Hoch lebe die Ukraine!“). Ihre Gastgeber stimmen mit ein.

Danach gibt es Mittagessen, Geschnetzeltes mit Reis. „Letzte Woche hatten wir Kartoffelpuffer“, erzählt Linke lachend, „damit konnten die gar nichts anfangen.“ Das Apfelmus hätten sie dann zu Kartoffeln und Wurst gegessen. Untergebracht seien seine Gäste in Wohnungen mit Bad und WC, mit Trennwänden („die mussten wir schon zu Beginn der Pandemie einziehen“) habe jede Familie ihren eigenen Bereich. Dankbarkeit und Herzlichkeit seien wirklich enorm, „wenn meine Frau hier durchläuft, wird sie ständig umarmt“. Und sollte doch mal jemand nicht zufrieden sein, kann ihm der Herbergsvater ein Foto auf seinem Handy zeigen: eine Turnhalle voller Feldbetten in Weinheim.

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Draußen spielt der kleine Junge, der zum Arzt soll, mit einem Stofftier in der Sonne. „Es geht ihm besser“, bestätigt später Rihm am Telefon. Er hat mit seinem Bruder ebenfalls vier Flüchtlinge bei sich aufgenommen und kennt die Herausforderung. „Die allermeisten sprechen kein Englisch und können nur die kyrillische Schrift lesen, um die muss man sich den ganzen Tag kümmern.“

Das weiß auch Linke. Eine Dolmetscherin hat eine WhatsApp-Gruppe mit 20 Kollegen eingerichtet, da kommen schnell Übersetzungen. Auch Deutschunterricht wird jetzt angeboten, danach wurde bereits gefragt. Der Herbergsvater sagt, er habe die Wohnungen noch bis ins ganze nächste Jahr für die Flüchtlinge geblockt. Trotz aller Arbeit freue er sich sehr, was hier nun entstehe: eine richtige Hausgemeinschaft.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

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