Protest

Mannheimer Amtsgericht: Erstmals Klimaaktivist fürs Ankleben auf Straße verurteilt

Er klebte sich im Berufsverkehr auf eine Mannheimer Straße. Nun ist ein Aktivisit der Letzten Generation vom Amtsgericht verurteilt worden. Der junge Mann zitiert im Gerichtssaal bekannte Bürgerrechtler und Philosophen

Von 
Lisa Wazulin
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Vor dem Mannheimer Amtsgericht halten Klimaaktivisten während der Verhandlung eine Mahnwache ab. © Lisa Wazulin

Mannheim. Zitate vom Bürgerrechtler Martin Luther King, leidenschaftliche Erklärungen und ein Richter, der den Angeklagten seine juristische Vorgehensweise erklärt. Vieles ist eher außergewöhnlich bei dieser Verhandlung, die am frühen Freitagmorgen am Amtsgericht beginnt. Auf der Anklagebank sitzt diesmal der junge Klimaaktivist und Student Jannik E. aus Heidelberg. Sein mutmaßliches Vergehen laut Anklage: Gemeinschaftliche Nötigung in mindestens 42 Fällen.

Im Mai 2022 hatte der Anfang 20-Jährige mit vier weiteren Mitgliedern der Gruppe „Letzte Generation“ die B44 blockiert – indem er seine linke Hand mit Sekundenkleber an der Fahrbahn befestigt hatte. Die Folgen laut Staatsanwaltschaft waren ein einstündiger Stau auf der Kurt-Schuhmacher-Brücke bis nach Ludwigshafen sowie mindestens 42 geschädigte Autofahrende.

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Schon früh am morgen, bevor das Amtsgericht seine Türen öffnet, haben sich rund 20 Umweltaktivisten von verschiedenen Gruppen aus der ganzen Metropolregion für eine Mahnwache vor dem Gebäude versammelt. Mitglieder von den Gruppen Letzen Generation, Science for Future, Mannheim Kohlefrei und der Umweltschutzorganisation BUND wollen den sichtlich nervösen Studenten mit ihre Anwesenheit unterstützen. „Wir rechnen diesmal mit keinem Freispruch. Aber auch Strafen halten uns nicht ab, wir werden weiter Kleben und protestieren. Ein bisschen Klimaschutz reicht längst nicht mehr aus“ sagt Raúl Semmler von der Letzten Generation. Die versammelten Aktivisten sind überzeugt: Die Bundesregierung hat ihre Klimaziele verfehlt, friedlicher Protest dagegen sollte deshalb nicht bestraft werden.

Zweiter Klimaaktivist vor dem Mannheimer Gericht

Der Student ist der zweite Klimaschutzkämpfer, der sich am Amtsgericht Mannheim für seinen Protest verantworten muss. Er hat keinen studierten Anwalt an seine Seite, sondern sich selbst intensiv auf den Prozess vorbereitet – und beantragt zu Beginn die Zulassung einer sogenannten Laienverteidigerin, was ihm der Richter gestattet. Weil ein Großaufgebot von Justizbeamten alle Zuhörenden abtastet und kontrolliert, beginnt die Verhandlung mit einer halben Stunde Verzögerung. Der Saal selbst ist bis auf den letzten der 20 Sitzplätze gefüllt.

Nachdem die Staatsanwältin die Anklage verlesen hat, folgt die erste Überraschung: Sichtlich aufgeregt beginnt der Angeklagte eine von mehreren Erklärungen vorzulesen – und bittet den Richter, ihm sein Wort zu geben, diesen Prozess als Einzelfall zu werten, selbst wenn bereits andere Aktion der Klimabewegung sowie Sitzblockade als Nötigung eingestuft worden seien. „Heute entscheidet sich, ob ich in Haft komme, weil ich mich angesichts der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte nicht damit begnügt habe, einfach nur zuzusehen. Will ich darlegen, warum ich unschuldig bin und mein Anliegen nicht nur das Wohl Millionen von Menschen, sondern auch künftiger Generation sowie das des Rechtsstaats zum Ziel hat“, liest er weiter ab.

Amtsgericht Mannheim: Angeklagter als Demonstrant wieder erkannt

Sechs Zeugen sind geladen. Darunter auch zwei Autofahrer, die im Stau gestanden und deshalb zu spät zur Arbeit gekommen waren. Beide sind sich einig, dass es für die Autos keine Chance geben hätte, eine Rettungsgasse zu bilden. Die zweite Zeugin, eine Hauptkommissarin, die an diesem Tag im Einsatz war, identifiziert den Angeklagten deutlich als einen der Straßenkleber, versichert, dass der sich als einziger freiwillig von der Fahrbahn entfernt hatte. Bei der Befragung beteiligt sich der Student und bittet zwischendurch respektvoll darum, eine Erklärung abgeben zu dürfen. Dann zitiert der Student leidenschaftlich Bürgerrechtler wie Martin Luther King und Gedanken zum Zivilen Ungehorsam des Philosophen Jürgen Habermas.

In ihrem Plädoyer fordert die Staatsanwältin eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 50 Euro, wertet den Zweck der Tat, nämlich den Klimaschutz, als legitimes Ziel und strafmildernd. Hält aber das Mittel der Sitzblockade als verwerflicher als das angestrebte Ziel. Das Plädoyer des Angeklagten überrascht alle im Saal: Es stammt aus der Feder einer anonymen Richterin aus Berlin, die darin Urteile des Bundesverfassungsgerichts anführt. Außerdem sei ein dringlicher Transport nicht gegeben, das Anliegen der Aktivisten betreffe die Geschädigten, weshalb es sozial verträglich sei. Zudem verweist der Student auf sein geringes Einkommen.

Auf solchen Schildern präsentieren die Demonstrierenden ihre Meinung. © Lisa Wazulin

Nach 15 Minuten Bedenkzeit verkündet der Richter sein mildes Urteil: Eine Geldstrafe von je 15 Euro von 40 Tagessätzen inklusive Verfahrenskosten wegen gemeinschaftlicher Nötigung in mindestens 42 Fällen. Dem enttäuschten Angeklagten erklärt der Richter: Ausschlaggebend sei auch die hohe Anzahl an geschädigten Autofahrern, die kritischen Örtlichkeiten der Brücke, keine Ausweichmöglichkeiten sowie Chance, eine Rettungsgasse zu bilden.

Zudem sei die Versammlung nicht angemeldet gewesen. Strafmildernd wirkt sich das friedliche Verhalten aus sowie der Umstand, dass der Student nicht vorbestraft ist. „Ich sehe ihr Engagement und verstehe ihr Anliegen, das positiv ist“, so der Richter. Und gibt den Tipp: Eine Geldstrafe lässt sich auch in Raten oder mit Arbeitsstunden abbezahlen.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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