Mannheim. Blockierte Straßen, beschmutzte Kunstwerke und viel Aufregung. Klimaaktivisten haben mit ihren Aktionen in diesem Jahr für viel Aufsehen gesorgt. Wir haben Vertretern von Naturschutz, Handel und Rettungsdienst, aber auch Geistlichen in Mannheim die Frage gestellt: Halten Sie es für angemessen, sich für den Klimaschutz auf die Straße zu kleben?
Paul Hennze, Vorstand Naturschutzbund Nabu Mannheim: „Ich habe volles Verständnis für die jungen Leute, die sehen, wie uns die Zeit beim Klimaschutz davonläuft. Im Nabu diskutieren wir über die Protestaktion und haben im Verband auch das Spektrum der unterschiedlichsten Meinungen von pro bis contra. Meine Bedenken bei den Klebe- und Blockadeaktionen sind, ob dadurch etwas in die richtige Richtung bewegt werden kann oder ob nicht eher Unentschlossene auf die gegnerische Seite getrieben werden. Wir haben als Nabu deswegen die Position: keine Teilnahme an solchen Aktionen, aber auch keine Ablehnung von vornherein. Wir halten extreme Aktionen aber nicht für den richtigen Weg. Wir wollen unseren Weg des konstruktiven, sachorientierten Umwelt- und Naturschutzes weitergehen. Auch wenn es ein mühsamer, langwieriger Weg mit Schwächen und Rückschlägen ist, halten wir ihn für besser.“
"Großen Respekt vor diesen Aktivisten"
Wolfgang Schuy, Vorstand Bund für Umwelt und Naturschutz BUND Mannheim: „Das ist ein schwieriges Thema, das die Menschheit spaltet. Wer steht schon gerne im Stau, zumal wenn dieser vorsätzlich herbeigeführt wurde? Aber: Die jungen Menschen der Letzten Generation legen den Finger genau in die richtige Wunde, indem sie den Auto- und Flugverkehr zeitweise zum Stillstand bringen. Denn eben der Verkehrssektor ist es, der im Unterschied zu allen anderen klimawirksamen Sektoren unserer Gesellschaft noch keinerlei Verringerung der klimaschädlichen Emissionen zu der großen Aufgabe Klimaschutz beigetragen hat. Die Aktionen der ,Klimakleber’ treffen insofern den richtigen Bereich. Und: Diese jungen Menschen müssen erleben, dass weder die aktuelle noch vorherige Bundesregierungen wirklich einschneidende Maßnahmen durchgesetzt haben, die den Verkehrssektor in seinen Auswirkungen auf das Klima einschränken würden. Nicht einmal einfachste und sofort wirksame Schritte wie ein Tempolimit auf Autobahnen und das Verbot von Inlandsflügen waren mehrheitsfähig. Insofern werte ich die Aktionen der Letzten Generation als Verzweiflungstaten und habe großen Respekt vor diesen Aktivisten, die sich bewusst öffentlichen Beschimpfungen aussetzen und ihren Überzeugungen treu bleiben.“

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Ralph Hartmann, evangelischer Stadtdekan in Mannheim: „Ich teile die Sorgen und die Ziele der jungen Aktivistinnen und Aktivisten, und ich kann die Ungeduld gut verstehen. Die derzeit durch die Gruppe praktizierten Blockade-Aktionen auf unseren Straßen halte ich weder für angemessen noch für zielführend. Es ist legitim, im Sinne zivilen Ungehorsams gewaltfreie Protestformen zu entwickeln. Die gegenwärtigen Aktionen treffen allerdings beliebig und unspezifisch Menschen, die das Pech haben, zufällig in der Stadt unterwegs zu sein. Trotzdem ist es für uns als Kirche wichtig, mit ,Last Generation’ im Dialog zu bleiben und die jungen Leute nicht auszugrenzen oder zu kriminalisieren.“
"Mit Rücksicht auf andere"
Karl Jung, katholischer Stadtdekan in Mannheim: „Zweifellos zählen Umwelt- und Klimaschutz zu den drängenden Aufgaben unserer Zeit. Dass für die Bewahrung der Schöpfung schnell gehandelt werden muss, ist unstrittig. Dafür braucht es eine breite Öffentlichkeit. Das Anliegen, das hinter den Aktionen steht, ist damit richtig und wichtig. Dennoch finde ich, dass all das im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit und mit Rücksicht auf andere passieren muss. Ich bin überzeugt, dass die Aktivistinnen und Aktivisten ausreichend andere kreative Ideen entwickeln können, um die gewünschte öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen.“
Joachim Schmid, Vorsitzender des Bereichsausschusses des Rettungsdienstes Mannheim: Joachim Schmid lehnt „jede Form des Protests ab, der Rettungseinsätze vorsätzlich oder fahrlässig behindert und verzögert“. Für einen leistungsfähigen Rettungsdienst sei die schnellstmögliche Erreichbarkeit von Erkrankten oder Unfallopfern wichtig. „ Wir appellieren hier an die Vernunft und die Verantwortung der Protestierenden“, so Schmid, der Geschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bunds ist, der einen großen Teil des Rettungsdienstes in Mannheim abdeckt. Die Protestierenden forderten Respekt und Verständnis für ihre Position ein. „Wir fordern dies umgekehrt auch für die wichtige Arbeit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, so Schmid, der für Hilfsorganisationen wie auch Krankenkassen spricht.
"Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung"
Swen Rubel, Vorsitzender des Handelsverbands Nordbaden: Auch Swen Rubel hält die Form des Protests für nicht angemessen. Wörtlich antwortet er auf Anfrage der Redaktion: „Nein, bei allem Verständnis dafür, dass das Thema wichtig für uns alle ist, aber das geht zu weit.“ Er begründet: „Weil diese Form der Meinungsäußerung als Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung nicht mehr von der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit gedeckt ist.“
"Nur Aggression bringt nichts"
Marianne Bade, Vorsitzende des Mannheimer Seniorenrats: „Für Klimaschutz auf die Straße zu gehen ist natürlich angemessen“, sagt Marianne Bade, Vorsitzende des Mannheimer Seniorenrates. „Jetzt komme ich ja aus einer Generation, die ja gegen die Atomwaffen auf die Straße ging, und wir haben ja auch des Öfteren einiges blockiert. Natürlich nicht solche wichtigen Verkehrsstraßen oder so“, sagt sie. Sie habe „schon prinzipiell Sympathien für junge Menschen, die sich einsetzen für die Zukunft unserer Welt.“ Wobei sie dabei sagen müsse: „Das Ankleben auf der Straße, das geht mir eigentlich zu weit.“ Marianne Bade findet: „Man erreicht damit nicht furchtbar viel, es polarisiert einfach. Ich glaube auch, die Chance, sich dann mit irgendjemandem inhaltlich auseinanderzusetzen, ist dann bei solch einer Aktion nicht wirklich gegeben.“ Das Ganze erzeuge auf beiden Seiten „ nur Aggression“ und bringe letztendlich „einfach zu wenig.“
"Debatte ist komplett entglitten"
Marco Haupt und Hauke Platte, StudentenAsta
In ihren Funktionen als Vertreter der Studentinnen und Studenten wollen sich Marco Haupt (Vorsitzender AStA der Uni, Bild oben) und Hauke Platte von der Studierendenvertretung der Dualen Hochschule Mannheim nicht äußern. Schließlich vertrete man alle Studierenden, „was uns bei solch kontroversen Debatten zur Neutralität verpflichtet“, erklärt Haupt. Individuelle, von Amt und den Gremien unabhängige Meinungen gibt es aber. „Ich persönlich halte das für nicht angemessen, aber ich halte es auch für absolut nicht angemessen, wie man mit dem Thema umgeht“, meint Platte. „Gerade die, die sich jetzt über die Aktionen beschweren, sind seit Jahren in Positionen und Ämtern, die es zu verantworten haben, dass wir in dieser Situation sind.“
Er könne zumindest verstehen, dass Menschen auf Ideen kämen, wenn sich die Politik „jahrelang“ auf keinen Weg verständigen könne. „Wenn die (Ideen) dazu führen, dass sich etwas verändert, habe ich kein Problem damit.“ Auch Haupt kritisiert, dass die Debatte „komplett entglitten“ sei. Manche hätten, mutmaßt er, wahrscheinlich schon von „Massenverhaftungen geträumt“, ehe man bei der Razzia gegen Reichsbürger gesehen habe, „wie die Feinde unserer Demokratie wirklich aussehen“. Er fordert: „Wir sollten wieder in einen konstruktiven Diskurs kommen, wie wir Klimapolitik machen können, die den hohen Anforderungen endlich konsequent begegnet.“
Der „MM“ hat zudem weitere Personen, Organisationen und Unternehmen angeschrieben: Sicherheitsdezernent Christian Specht (CDU) gab an, kein Statement abgeben zu können - bei den Aktionen handle es sich um einen „Eingriff in den fließenden Verkehr“, wofür die Polizei zuständig sei.
Von Umweltdezernentin Diana Pretzell (Grüne) gebe es keine Antwort, weil sie in Urlaub sei, so die Pressestelle der Stadt. Die Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft erklärte, sie wolle sich „in dieser aktuellen politischen Debatte nicht positionieren“. Fridays for Future Mannheim ließ die Anfrage unbeantwortet.
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