Flüchtlinge

Lotsen sollen helfen beim Leben in der neuen Heimat

Sechs Rotary Clubs und die Abendakademie entwickeln gemeinsam ein Angebot für Menschen aus der Ukraine

Von 
Peter W. Ragge
Lesedauer: 
© dpa

Mannheim. Sie waren sofort da, als die ersten Menschen, die aus der Ukraine flüchten mussten, in Mannheim eintrafen: die Mitglieder der sechs Mannheimer Rotary Clubs. Doch nach der akuten Flüchtlingshilfe der ersten Wochen geht das Engagement nun weiter. Dazu haben die Rotarier gemeinsam mit der Abendakademie ein Konzept erarbeitet und spezielle Kurse entwickelt, die sie komplett finanzieren. 30 000 Euro stehen dafür zur Verfügung.

„Es geht darum, das Ankommen in Deutschland, das Leben hier zu erleichtern“, erklärt Michael Kost, Präsident des Rotary Clubs Mannheim-Brücke. Sechs solcher Clubs gibt es in Mannheim, in der Regel mit jeweils zwischen 50 und 90 Mitgliedern. Dazu kommt der Rotaract Club für die 18- bis 30-Jährigen.

Gemeinsam haben sie gleich im März, als die ersten Flüchtlinge kamen, eine „Task Force Ukraine“ gegründet. Die 14 Mitglieder aus allen Clubs organisierten zunächst die akuten Hilfsprojekte, sorgten für Sachspenden, brachten Spielzeug und Sportgeräte oder Kleidung in die Sammelunterkünfte, waren Ansprechpartner. „Wir haben zunächst einmal gemacht, was dringend war, wo Not herrschte“, so Tom Witzel, bis Juni Präsident des Rotary Clubs Mannheim Rhein-Neckar.

Dazu zählte, dass einzelne Clubs jeweils Patenschaften für Sammelunterkünfte übernahmen – der Club von Tom Witzel etwa für die in Sandhofen mit über 70 Ukrainern, der von Michael Kost für die Käfertaler Unterkunft mit mehr als 120 Menschen. Zudem richteten die Rotary-Clubs und Rotaract ein großes Kinderfest für ukrainische Familien im Luisenpark mit rund 300 Gästen und zahlreichen Sport-, Spiel- und Kreativangeboten aus.

„Aber wir haben schnell gemerkt: Das kann nicht alles sein, wir müssen langfristiger denken“, sagt Alexandra Bauer, bis Juni Präsidentin des Rotary Clubs Mannheim-Amphitrite. Denn die Menschen aus der Ukraine hätten „das große Bedürfnis, selbst tätig zu werden, aber man muss sie halt am Anfang an die Hand nehmen“, so Bauer.

Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren

Schulung für Multiplikatoren

„Wir sind auf sehr offene, engagierte Menschen getroffen, die sich einbringen und aktiv teilhaben wollen“, stellte Michael Kost fest. „Trotz des großen Hilfsangebots von öffentlichen und privaten Initiativen finden aber Informationen nicht immer den Weg zu denen, die sie brauchen,“ beschreibt er das Problem.

Daher konzipierten die Rotarier gemeinsam mit der Abendakademie und in Absprache mit den zuständigen städtischen Stellen spezielle Lotsen-Kurse. „Damit sollen Multiplikatoren aus den Unterkünften geschult werden, damit sie ihr Wissen weitergeben und wiederum ihre Mitbewohner in vielen Fragen des Alltags unterstützen können“, beschreibt Kost das Ziel. Dazu gebe es Wissenswertes aus dem sozialen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Bereich sowie Hinweise zu Behördengängen, zur Wohnungs- oder Arbeitssuche bis hin zu Freizeitaktivitäten.

Ein Pilotkurs mit vier Frauen und einem Mann ist bereits abgeschlossen worden – erfolgreich, sagt Susanne Deß, Geschäftsführerin der Abendakademie. Sie lässt die Kurse von einem Zweierteam halten, darunter eine Kollegin mit Ukrainisch-Kenntnissen. Die mit Spenden der Rotarier ermöglichten Kurse seien „sehr hilfreich und eine sinnvolle Erweiterung“ der bisherigen Angebote der Abendakademie für die Ukrainer, etwa Sprachkurse.

Es sei einerseits „ganz wichtig“, ihnen die Regeln der deutschen Gesellschaft, wozu auch Vielfalt in Kultur und Lebensweise gehöre, zu vermitteln, sagt Deß. Man habe es da aber mit Menschen zu tun, die sehr motiviert, sehr engagiert, sehr wissbegierig, sehr selbstständig seien, so Deß: „Es ist die erste Flüchtlingsgruppe, die so ist“, stellte sie fest.

Das ist auch die Beobachtung der Rotarier. „Viele sind gut ausgebildet, suchen und bekommen schnell Arbeit“, hebt Michael Kost hervor. Die Digitalisierung in der Ukraine sei weit fortgeschritten, Schüler und teils auch Studenten würden von Deutschland aus weiter an Schulunterricht und Vorlesungen teilnehmen, bekam Alexandra Bauer mit.

Aber die Rotarier spürten ebenso, dass viele der Flüchtlinge noch ganz unter dem Eindruck der Erlebnisse ihrer Flucht und des Kriegs stehen – und dass sie digital weiter in enger Verbindung mit der Heimat stehen und ständig die dortigen schlimmen Erlebnisse mitbekommen. Zur Bewältigung von Traumata sei man nicht ausgebildet, stellt Kost klar. „Aber was wir tun können, um Stress abzubauen und sie mal auf andere Gedanken zu bringen, das wollen wir tun“, erklärt er. Daher finanzieren die Rotary Clubs zudem ein Kontingent an Plätzen im regulären Kursangebot der Abendakademie in den Sparten Sport und Tanz, Yoga, Kochen und Kreativität.

Die Clubs möchten zudem den persönlichen Kontakt ausbauen, um gezielt auf die Kurse aufmerksam zu machen und die Bedürfnisse der Menschen noch besser kennenlernen. Rotary habe „mit Hilfe unseres Netzwerks ganz viel Potenzial“, betont Tom Witzel, und wolle den Flüchtlingen auch über die Kurse hinaus gerne mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Redaktion Chefreporter

Thema : Krieg in der Ukraine

  • Politik Vertrieben, verhaftet, verfolgt

    Der Widerstand in Russland war oft weiblich. Viele der mutigen Frauen sind im Gefängnis oder ins Ausland geflohen

    Mehr erfahren
  • Besuch in Czernowitz Peter Kurz in Mannheims Partnerstadt: „Krieg ist allgegenwärtig“

    Pressekonferenz im sicheren Keller: Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz hat die ukrainische Partnerstadt Czernowitz besucht. Mit seinem Amtskollegen hat er über den Krieg und den großen Wunsch der Ukraine gesprochen

    Mehr erfahren
  • Nuklearwaffen Atomares Wettrüsten: Arsenale des Schreckens

    Die Welt steuert auf einen nuklearen Rüstungswettlauf zu, nachdem Russlands Präsident Putin das "New-Start-Abkommen" mit den USA eingefroren hat. Wo ist die Gefahr eines Atomkrieges am größten?

    Mehr erfahren

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen