Selbstverständlich hat Christian Specht schon ungezählte, vermutlich sogar unzählige Sitzungen geleitet. Im Mannheimer Gemeinderat wie nun im Hauptausschuss aber eben nur, wenn Peter Kurz verhindert war. Als Oberbürgermeister ist das jetzt seine Premiere. Der Christdemokrat ist dafür auf dem Podium einen Platz nach links gerückt, auf seinem alten sitzt die neue Erste Bürgermeisterin, die Grüne Diana Pretzell.
Leer bleibt an diesem Tag nur ein Dezernenten-Stuhl. Der neue Kämmerer Volker Proffen tritt seinen Job erst im Oktober an. Unmittelbar vor den Etatdebatten, das ist ungewöhnlich. Doch auch als Stadtoberhaupt wird Specht die Finanzen sicher weiter gründlich im Blick haben. Sollte ihn sein Machtzuwachs mit großer Freude erfüllen, lässt sich das der 57-Jährige bei seinem Einstand indes nicht anmerken. Er steigt direkt in die „ambitionierte Tagesordnung“ ein. In den folgenden rund zweieinhalb Stunden der öffentlichen Sitzung wird Specht den Mittelteil zügig durchbringen. Anders als am Anfang und vor allem am Ende.
Hallen als „schlechteste Lösung“
Als Erstes berichtet Specht von auch hier deutlich steigenden Flüchtlingszahlen. Ende August habe man die Lilli-Gräber-Halle zwar als Notunterkunft schließen können, demnächst solle sie wieder den Friedrichsfelder Vereinen zur Verfügung stehen. Aber wenn der Andrang anhalte, seien in Mannheim „bald alle Kapazitäten erschöpft“.
SPD-Stadtrat Reinhold Götz fragt, was das bedeute. Specht solle zumindest die Fraktionsvorsitzenden über die Vorbereitungen der Stadt aufklären. Flüchtlinge erneut in Hallen unterzubringen, sei „die schlechteste Möglichkeit“, sowohl für die Betroffenen darin als auch für die Bevölkerung. Specht verspricht: „Wir werden Sie wie immer sofort und laufend informieren.“ Doch er weist auch darauf hin, von hier könne man nicht steuern, wie viele Menschen nach Deutschland kämen.
Engpässe im Ausländeramt
In diese Kerbe hauen auch die Fraktionschefs von CDU und Mannheimer Liste (ML), Claudius Kranz und Holger Schmid. Sie werfen Götz vor, solch kritische Fragen hätte er seinem Parteifreund Kurz nicht gestellt. Das bestreitet der Sozialdemokrat, auch wenn aus seiner Sicht der vorherige Oberbürgermeister „leider nicht mehr im Amt“ sei.
Grünen-Stadtrat Chris Rihm fragt nach Personalengpässen im Ausländeramt. Specht bestätigt, dass es dieses bundesweite Problem auch in Mannheim gebe. Jede dritte Stelle sei aktuell nicht besetzt. Entsprechend hätten sich 1600 unerledigte Arbeitsvorgänge angehäuft, so Pretzell. Zu Rihms Vorschlag, wie bei Corona Verstärkung aus anderen Verwaltungsbereichen zu holen, sagt die Dezernentin, das werde zwar versucht. Doch könne man da „nicht einfach einen Ingenieur einsetzen“.
Die neue Quarantänestation für Hunde im Tierheim
- Im Tierheim soll ein neues Hundehaus entstehen. Der Baubeginn ist für Ende November vorgesehen.
- Dabei handelt es sich um eine Quarantänestation mit einem Behandlungsraum. Darin werden nach Auskunft von Thomas Gebhardt, Vorsitzender des Mannheimer Tierschutzvereins, etwa bei Autobahn-Kontrollen entdeckte Welpen untergebracht, bis sie untersucht und notwendige Tollwut-Impfungen nachgeholt sind.
- Das neue Haus sei für zehn Hunde gedacht, sagt Gebhardt. Aktuell befänden sich insgesamt 35 im Tierheim, „wir sind voll“.
- Neben dem 112 500-Euro-Zuschuss, für den der Hauptausschuss des Gemeinderats nun grünes Licht gegeben hat, kommen weitere 150 000 Euro vom Land.
- Den Großteil, rund 576 000 Euro, zahlt der Tierschutzverein selbst. Das sei nicht ungewöhnlich, so Gebhardt. Sie müssten zusätzlich zu öffentlichen Geldern jährlich rund 600 000 Euro an eigenen Mitteln ins Tierheim stecken.
Danach wird die Sitzung harmonischer. Einhellig und wortreich bedauern die Ausschussmitglieder die schlechte Beteiligung bei der OB-Wahl von nur rund 30 Prozent. Grünen-Fraktionschefin Nina Wellenreuther verweist auf die leere Zuschauertribüne. Man müsse dringend Wege suchen, die Arbeit des Gemeinderats transparenter zu machen. Ihr SPD-Kollege Thorsten Riehle, als OB-Kandidat im Wahlkampf ja in tragender Rolle, regt ein spezielles Besuchsprogramm etwa für Schulen an. Specht bedauert ebenfalls eine wachsende Politikverdrossenheit. Allerdings erinnert er auch an eine Aussage des Mannheimer Politikwissenschaftlers Marc Debus, wonach sich nun mal generell nur ein Drittel der Menschen für Kommunalpolitik interessiere.
Recht schnell und vor allem einstimmig werden dann einige Vorlagen der Verwaltung abgearbeitet. So erhöht die Stadt - zusätzlich zum Tarifabschluss im öffentlichen Dienst - die Zuschüsse für Facherzieherinnen mit sozialen Sonderfunktionen um 200 Euro. Und das Tierheim bekommt eine neue Quarantänestation für Hunde. Dafür wird ein Zuschuss von 112 500 Euro beschlossen, auch um weitere 150 000 vom Land zu ermöglichen. Den Löwenanteil von mehr als einer halben Million trägt der Tierschutzverein.
Hohe Herren von der Bahn
Danach hat Specht, früher selbst lange stolzer Hundebesitzer, noch eine besondere Überraschung für Dennis Ulas. Dessen LI.PAR.Tie hatte beantragt, die anstehende Sanierung der Riedbahn im nächsten Jahr auch zum Aufhübschen der Bahnhöfe Luzenberg, Neckarstadt und Handelshafen zu nutzen. Das hat die Stadt nun nicht nur fest vor. Im Ausschuss referieren auch noch drei hohe Herren von der Deutschen Bahn ausführlich über das Mammutprojekt zwischen Mannheim und Frankfurt im nächsten Jahr.
Ulas zeigt sich sehr erfreut. Weniger beglückt als der linke Fraktionschef sind dagegen zwei Specht-Unterstützer, als es um ihre Seilbahn-Anträge geht. Da schwinge die Buga-Euphorie mit, scherzt der Oberbürgermeister und lässt Tim Neugebauer von der Stadtverwaltung erklären, dass eine dauerhafte Einrichtung im Mannheimer Nahverkehr kaum realisierbar und nicht sinnvoll sei.
Debatte um Seilbahn
Doch weder Schmid - die ML befürwortet einen Seilbahn-Ring von Rheinau/Neckarau bis Sandhofen - noch FDP-Fraktionschefin Birgit Reinemund, der es um eine Verbindung über den Rhein geht, wollen sich damit so einfach abspeisen lassen. Specht sagt eingehendere Aufklärung zu. Aber alle Experten seien sich einig, dass es in der Region nur einen sinnvollen Ort für eine dauerhafte Seilbahn gebe: in Heidelberg, vom Hauptbahnhof zum Neuenheimer Feld. In Mannheim könne man sich allenfalls eine temporäre Verbindung nach Ludwigshafen bei einer Brückensperrung vorstellen.
Am Ende ufert noch eine Debatte stark aus, die eigentlich längst geführt ist. Es geht um die Straßen-Umbenennung in Rheinau-Süd. Auf Vorschlag der Linken wird auch die afrodeutsche Dichterin May Ayim (1960-1996) auf die Liste der zur Abstimmung stehenden Namen gesetzt. Allerdings lassen Kranz und Schmid grundsätzliche Zweifel am gesamten Vorhaben anklingen, was im linken Lager große Verärgerung auslöst. Specht tut sich sehr schwer, diese Diskussion zu beenden.
Auch da zeigt sich, dass Nachwirkungen der OB-Wahl noch lange zu spüren sein dürften. Mindestens bis zur Kommunalwahl am 9. Juni 2024.
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