Die Fußgängerampel schaltet auf „Grün“, dann geht alles sehr schnell: Sechs Personen bleiben mitten auf der Straße stehen, holen Banner aus den Rucksäcken und ziehen ihre Warnwesten an. Drei Minuten später klebt der erste seine rechte Hand auf den Asphalt, drei weitere Personen folgen seinem Beispiel. Die Aktivisten des Klimastreikbündnisses „Letzte Generation“ blockieren am Dienstagmorgen eine Stunde lang die Kreuzung Bismarckstraße/Kaiserring in Mannheim.
Die Autofahrer, die nun im Stau stehen, reagieren auf die Aktion der Klimaaktivisten mit Hupkonzerten und wütenden Worten. „Du gehörst in ein Arbeitslager“, brüllt einer der Passanten, einige weitere Beleidigungen unter der Gürtellinie folgen. Eine Frau, die die Blockade aus einiger Entfernung beobachtet, versteht die Aufregung nicht. Bäume bräuchten CO2, und die Klimaerwärmung existiere nicht, meint sie. Ein Autofahrer, der mit seinem Wagen unmittelbar vor der Fußgängerampel im Stau steht, ärgert sich über die Blockade: „Der Frust wird größer, bei den Autofahrern und der Bevölkerung. Ich verstehe, dass sie protestieren, gar keine Frage. Aber mit diesen Aktionen bewirken sie gar nichts.“
Das Bündnis „Letzte Generation“ erhofft sich jedoch mehr. Es will mit Blockaden wie der am Kaiserring erreichen, dass die Bundesregierung erste „Sicherheitsvorkehrungen“ wie ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern und ein Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr einführt. „Nicht mal das kriegt die Bundesregierung hin“, kritisiert der Initiator der Blockade, der Schauspieler, Drehbuchautor und Klimaaktivist Raúl Semmler. Nichtsdestotrotz kann der Klimaaktivist den Ärger der Passanten gut verstehen. „Natürlich ist es blöd, wenn der Alltag gestört wird, wenn Leute gerade wichtige Termine haben. Es ändert aber nichts an der Lage, wir müssen jetzt handeln.“
Lieber Drehbücher schreiben
Bevor die Polizei ankommt, hat Semmler Zeit, mit den anwesenden Journalisten zu reden. Er würde jetzt auch lieber etwas anderes machen, sagt er, zum Beispiel tolle Drehbücher schreiben. „Aber wenn wir in zehn oder 20 Jahren eine Nahrungsmittel- oder Wasserknappheit haben, will ich der nächsten Generation nicht sagen müssen, dass es mir wichtiger war, meinen Beruf auszuüben“, begründet Semmler sein Engagement.
Als Schauspieler stand er in Sönke Wortmanns Historiendrama „Die Päpstin“ als Valentinus vor der Kamera, Gastauftritte hatte er in Krimi-Serien im ZDF. Wegen einer Blockade vor der Hauptzentrale von HeidelbergCement im Mai 2021 in Leimen musste Semmler sich gerade erst vor dem Heidelberger Amtsgericht verantworten und wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von 3000 Euro verurteilt.
Die Aktionen der „Letzten Generation“ werden vor allem seit der Blockade des Berliner Hauptstadtflughafens am vergangenen Donnerstag von Politikern heftig kritisiert und als „hochgefährlich“ eingestuft. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und CDU-Chef Friedrich Merz verurteilen das Lahmlegen des Flugverkehrs aufs Schärfste. Der Soziologe Matthias Quent sieht die Aktionen der Protestgruppe „Letzte Generation“ hingegen als Ausdruck von zivilem Ungehorsam. Die bisherigen Mittel der „Letzten Generation“ seien mild im Vergleich zu anderen Protesten, sagt der Soziologe von der Fachhochschule Magdeburg-Stendal. Schließlich hätten Politik und Industrie jahrzehntelang Klimaschutzmaßnahmen ausgebremst und verhindert. „Wir sind immer friedlich, und so bleibt es auch“, antwortet Semmler auf die Frage, wie weit sein Protest gehen würde.
Polizei ist vor Ort
Zehn Minuten sind vergangen, seit die Aktivisten ihre Blockade errichtet haben, dann ist die Polizei vor Ort. Ordnungshüter stellen sich schützend vor die festgeklebten Klimaaktivisten, so dass die Autos vom Kaiserring in die Bismarckstraße abbiegen können, ohne sie zu verletzen. Schließlich lösen Polizei- und Rettungskräfte die Hände vom Asphalt und tragen die Aktivisten von der Fahrbahn. Semmler und seine Mitstreiter dürften sich bald erneut vor Gericht verantworten müssen.
Das Dezernat Staatsschutz der Kriminalpolizeidirektion Heidelberg hat die Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz sowie der Nötigung von Verkehrsteilnehmern aufgenommen.
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