Mannheim. „Weder Inklusion noch eine gute Versorgung der Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren wird von der Landesregierung als ihre Aufgabe betrachtet. Anders kann man die andauernd schlechte Versorgung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Bedarf nicht beurteilen.“ So kommentiert der Mannheimer Landtagsabgeordnete Stefan Fulst-Blei die aktuelle Lehrkräfteversorgung im Schulamtsbezirk Mannheim. In einer Anfrage an die Landesregierung hatte sich der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion die aktuellen Zahlen vorlegen lassen.
Am unteren Ende der Skala rangieren einmal mehr die Förderschulen mit einem Versorgungsgrad von 90,6 Prozent. „Eine länger andauernde Unterversorgung mit Lehrkräften“ habe es an einzelnen Mannheimer Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) gegeben, teilt Kultusministerin Theresa Schopper mit.
An diesen Schulen habe der Ganztag deshalb um zwei bis vier Unterrichtsstunden pro Woche gekürzt werden müssen. Schopper führt das vor allem auf gestiegene Schülerzahlen im Bereich der SBBZ zurück. „Das Land plant deshalb unter Hinzunahme von Expertise aus der Wissenschaft sowie der kommunalen Praxis eine Untersuchung zu den Gründen dieses deutlichen Anstiegs“, so die Ministerin. Außerdem habe man Gegenmaßnahmen ergriffen. Als Beispiele nennt sie unter anderem die Schaffung von 1.350 zusätzlichen Stellen zur Ausgestaltung inklusiver Bildungsangebote und den Ausbau der Studienkapazitäten.
Zu wenige Neubewerbungen für das Lehramt Sonderpädagogik in Baden-Württemberg
Das Kultusministerium habe alle Lehrkräftestellen in der Sonderpädagogik, die ihm der Landtag zugebilligt habe, zur Besetzung freigegeben. „Fast alle“ angebotenen Stellen hätten zu Beginn des Schuljahres besetzt werden können. Allerdings habe die Zahl der Neubewerbungen für den öffentlichen Schuldienst im Lehramt Sonderpädagogik in den vergangenen Jahren nur bei etwa 230 Personen pro Jahr gelegen. Erst seit 2022 sei hier ein ansteigender Trend zu beobachten.
„Es ist tragisch, dass ausgerechnet die Schülerinnen und Schüler mit dem höchsten Förderbedarf in unserem Land so hängengelassen werden. Sie zahlen jetzt den Preis dafür, dass viel zu spät mehr Sonderpädagoginnen und -pädagogen ausgebildet wurden“, so Stefan Fulst-Blei. Er fordert eine bessere Ausbildung aller Lehrkräfte hinsichtlich der Sonderpädagogik und mehr multiprofessionelle Teams.
Besorgt äußert sich auch Thorsten Papendick, Vorsitzender des Mannheimer Gesamtelternbeirats (GEB), über die aktuellen Zahlen: „Diese Entwicklung ist äußerst bedenklich, weil gerade die SBBZ für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zentrale Angebote sicherstellen sollten. Wenn der Bedarf an hoch qualifizierten Lehrkräften nicht gedeckt ist, bleibt die inklusive Förderung dauerhaft auf der Strecke – und damit werden die Kinder im Stich gelassen.“ Für Schülerinnen und Schüler mit erhöhtem Förderbedarf bestehe kein verlässlicher Anspruch auf regelmäßigen, qualifizierten Unterricht. Das sei nicht nur organisatorisch, sondern auch pädagogisch bedenklich.
Die Unterversorgung bezeichnet Papendick als „strukturell bedingt“. Der GEB fordere daher eine sofortige Verbesserung der Lehrerversorgung an allen SBBZ durch einen verbindlichen Mindestversorgungsgrad von 110 Prozent, eine rasche Anhebung der Studienplätze für Sonderpädagogik sowie eine gezielte Anwerbung qualifizierter Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Auch der verstärkte Ausbau multiprofessioneller Teams, um neben Lehrkräften auch sonderpädagogische Fachkräfte adäquat einzubinden, steht auf der Forderungsliste des GEB.
Wenn die SBBZ auch am stärksten betroffen seien, beobachte man punktuell ebenfalls Engpässe an Grund-, Haupt- und Werkrealschulen, so Papendick. Das Kultusministerium weist für diese Schularten in Mannheim einen Versorgungsgrad von 104,7 Prozent aus. Die Realschulen liegen bei 103,3 Prozent, die Gemeinschaftsschulen bei 105,5 Prozent und die Gymnasien bei 104,4 Prozent. „Da sieht es ein klein wenig besser aus. Allerdings ist auch hier die Personaldecke eng gestrickt, wenn es schon durch Krankheitsfälle doch wieder zu Unterrichtsausfall kommt. Das ist immer noch eher die Regel als die Ausnahme“, sagt Stefan Fulst-Blei.
Mangelfächer Bildende Kunst, Physik und Katholische Religion
Dass die Schulen im Schulamtsbezirk Mannheim „aufgrund der Beliebtheit der Einstellungsregion“ durchschnittlich besser versorgt seien als die Schulen im Landesdurchschnitt, merkt die Kultusministerin indes noch an. Abgesehen von den Mangelfächern Bildende Kunst, Physik und Katholische Religion bezeichnet sie die Versorgungslage an den Gymnasien als „sehr gut“. Für das kommende Schuljahr rechne sie zudem wegen der Einführung von G9 mit einer Verbesserung der Unterrichtsversorgung.
„Gut“ stelle sich laut Schopper die Lage an den Grund- und Sekundar-I-Schulen dar. Engpässe durch Schwangerschaften, Elternzeiten oder krankheitsbedingte Langzeitausfälle könnten vorausschauend beispielsweise durch Abordnungen von besser versorgten Einstellungsbezirken wie etwa Heidelberg ausgeglichen werden.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-lehrkraefte-fehlen-in-mannheim-vor-allem-an-foerderschulen-_arid,2315130.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Unterrichtsausfall an Mannheimer Schulen: Es tut sich zu wenig