Verkehr

Kritik an Mannheims Klimaplan von Fahrrad-Vertretern: "Falsche Rücksichtnahme auf Autolobby"

Fördert Mannheims Klimaschutzaktionsplan den Radverkehr in der Stadt? Nicht genug, sagen Interessensvertretungen der Radfahrer. Sie werfen der Politik zu viel Rücksichtnahme auf die Autolobby vor. Und sie haben Forderungen

Von 
Stefanie Ball
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Für Strecken, die über einem Kilometer liegen, nutzen Mannheimerinnen und Mannheimer vergleichsweise selten das Rad. © dpa

Mannheim. Die Kritik am Klimaschutzaktionsplan reißt nicht ab. Für große Enttäuschung sorgt das Vorhaben, das Mannheim bis 2030 in die Klimaneutralität führen soll, bei den Interessensvertretungen der Radfahrerinnen und Radfahrer. René Leicht vom Bündnis Fahrradstadt und Klaus Dieter Lambert vom ADFC Mannheim, dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club, bezweifeln, dass die Verkehrswende gelingt, dafür seien die Maßnahmen, die der Plan enthält, zu unverbindlich.

Herr Leicht, Herr Lambert, Mannheim will klimaneutral werden. Das Fahrrad ist das klimafreundlichste Verkehrsmittel. Insofern - ein neuer Schub fürs Rad?

René Leicht: Grundsätzlich ist natürlich zu begrüßen, dass die Stadt einen Klimaschutzaktionsplan entwickelt hat. Noch besser wäre es gewesen, wenn sie uns gehört hätte.

Aber der ADFC war doch bei den Beteiligungsrunden, die es mit Bürgerinnen und Bürgern sowie anderen Akteuren wie IHK, Handwerkskammer, Gewerkschaften gab, vertreten.

Klaus Dieter Lambert: Ich war für den ADFC vor einem Jahr zu einem Workshop eingeladen, bei dem Vorschläge zum Thema Mobilität an eine Pinnwand geheftet wurden. Dann war lange nichts zu hören, ehe ich im Juli dieses Jahres eine E-Mail mit dem fertigen Entwurf des Klimaschutzaktionsplans bekommen habe mit dem Hinweis: „Schauen Sie drüber und ergänzen Sie.“

Und?

Lambert: Das haben wir gemacht und viele Punkte eingefügt. Die Eingaben sollten kurz gefasst sein, wir haben uns also mit Spiegelstrichen begnügt, hätten aber erwartet, dass Nachfragen kommen. Es kamen aber keine Nachfragen, und in der vergangenen Woche haben wir gehört, es gibt jetzt eine Vorlage für den Gemeinderat.

Der Ihre Punkte enthält?

Lambert: Nein, keinen einzigen.

Wissen Sie, warum?

Lambert: Um es vorsichtig zu formulieren: Was wir in Verwaltung und Politik spüren, ist eine falsche Rücksichtnahme auf die Autolobby. Die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs würgt die Wirtschaft ab. Das wird einfach so behauptet, ohne dass es einen Kausalzusammenhang gäbe. Die Folgen sind im Klimaschutzaktionsplan Schwarz auf Weiß zu sehen.

Vertreter der Fahrradlobby

René Leicht

  • Soziologe an der Universität Mannheim.
  • Mitbegründer des Bündnis Fahrradstadt, ein Zusammenschluss von 14 Mannheimer Umwelt- und Verkehrsinitiativen.

Klaus Dieter Lambert

  • Mitglied im ADFC, dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club.
  • Seit 2014 Mitglied im Bezirksbeirat Lindenhof. sba

Inwiefern?

Lambert: Der Entwurf vom Sommer wurde an einigen Stellen entschärft. So steht in der Vorlage für den Gemeinderat nicht mehr explizit in der Überschrift, dass der motorisierte Individualverkehr reduziert werden soll. Es ist auch nicht mehr die Rede davon, dass die Tarife beim Bewohnerparken steigen, wenn jemand mehrere Autos besitzt.

Mit Blick aufs Fahrrad – was ist Ihre Hauptkritik am Klimaschutzaktionsplan?

Leicht: 2019 hat der Gemeinderat ein Leitbild der Stadt beschlossen, und danach soll das Fahrrad in Mannheim bis zum Jahr 2030 das Fortbewegungsmittel Nummer eins werden. Ausgerechnet der Klimaschutzaktionsplan entfernt sich von diesem Leitbild deutlich.

Warum?

Leicht: Weil die formulierten Ziele viel zu unspezifisch sind. Doch Ziele sind eine wesentliche Voraussetzung, um Maßnahmen daraus abzuleiten. Beim Maßnahmenteil wird nichts Konkretes genannt, das sind alles unverbindliche Allgemeinplätze. Das gipfelt darin, dass sie so allgemein sind, dass sie jede Stadt unterzeichnen könnte, auch wenn sie keinen Klimaschutzaktionsplan hat.

Aber es gibt doch ganz konkrete Maßnahmen, die genannt werden, beispielsweise die Verbesserung bestehender Wege und neue Wege dort, wo Netzlücken bestehen.

Leicht: Das sind Formulierungen, die alles und nichts bedeuten. Die Stadt kann da eine Fahrradstraße einrichten und dort einen Radweg asphaltieren und schon hätte sie die Vorgaben des Klimaschutzaktionsplans erfüllt.

Was wäre eine Alternative?

Leicht: Wenn man beispielsweise geschrieben hätte, dass das bestehende Radnetz massiv durch neue Strecken erweitert und zudem konsequent und zügig nach den neuen Empfehlungen für Radverkehrsanlagen nachgebessert wird. Das hätte schon jede Menge Konsequenzen. Denn dann müssten nicht nur die neuen Radwege nach heutigen Standards, was Breite und Güte betrifft, geplant, sondern auch die bestehenden Radwege nach den wesentlich anspruchsvolleren neuen Richtlinien verbessert werden.

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Das klingt nach hohen Investitionskosten?

Leicht: Durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz werden solche Maßnahmen mit bis zu 85 Prozent bezuschusst. Uns geht es darum, dass überhaupt begonnen wird. Der Klimaschutzaktionsplan setzt darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger mitspielen. Wenn es aber kein gutes Radnetz als Verhaltensangebot gibt, kann man nicht erwarten, dass sie klimaneutral handeln.

In Mannheim radeln die Menschen vergleichsweise selten Strecken, die über einem Kilometer liegen. Woran liegt das?

Leicht: An der fehlenden Infrastruktur, die ein sicheres und zügiges Radfahren erlauben würde. Was es bisher gibt, ist Flickwerk, das sind zufällig entstandene Radwege, aber kein planerisch durchdachtes Netz, das die Stadtteile mit dem Zentrum und die Stadtteile untereinander systematisch verbindet. Dass es beispielsweise zwischen Feudenheim und Neckarau keinen durchgängig nutzbaren Radweg gibt, ist ein Unding.

Was ist mit anderen Maßnahmen, die der Klimaschutzaktionsplan angehen will: Wartestangen an Ampeln, Fahrradparkplätze, eine grüne Welle für Radfahrer?

Leicht: Das ist alles richtig und wichtig, wird aber nicht dazu führen, dass mehr Menschen aufs Rad steigen und längere Strecken zurücklegen. Dafür muss die Infrastruktur massiv verbessert werden.

Wie hoch müsste der Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehr denn sein, damit es Mannheim gelingt, bis 2030 klimaneutral zu sein?

Leicht: Der Anteil des Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen müsste auf 34 Prozent steigen. Aktuell liegt er bei 20 Prozent. Doch dieses Ziel steht noch nicht einmal drin im Klimaschutzaktionsplan. Damit fehlt der Druck, wirkungsvolle Maßnahmen umzusetzen.

Das heißt, Sie sind enttäuscht?

Lambert: Wir hatten uns vom Klimaschutzaktionsplan Rückenwind und eine Beschleunigung der Verkehrswende erhofft. Das ist nicht zu erwarten. Es ist auch unklar, wie die Stadt das der EU verkaufen will. Mannheim ist ja eine der Städte, die als Modellstadt für die EU-Mission „100 klimaneutrale Städte“ ausgewählt wurde. Der Klimaschutzaktionsplan ist Teil des „Klimastadt-Vertrags“, den Mannheim dafür mit der EU abschließt. Die Vorschläge sind aber so beliebig, die kann jede Stadt unterschreiben, ohne besonders klimafreundlich zu sein.

Freie Autorin

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