Serie „Gesichter der Gewalt" - Elterninitiative setzt sich gegen grobe Behandlung von Schwangeren ein / Kliniken bieten Anlaufstellen

Gewalt während der Geburt: Traumatherapie statt Mutterglück

Von 
Lea Seethaler und Lisa Uhlmann
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Sensibel und sicher: Jede Frau erlebt die Geburt anders. Bei übergriffigem Verhalten von Geburtshelfenden bietet auch die Elterninitiative Mother Hood Hilfe. © dpa

Mannheim. Als die Hochschwangere die Mannheimer Klinik betritt, ahnt sie nicht, dass diese Geburt sie nachhaltig traumatisieren wird. Weil es das erste Kind der 25-Jährigen ist, folgt sie selbstverständlich den Anweisungen der fremden Hebamme. Als die Geburtshelferin dann grob den Muttermund abtastet, ignoriert sie die Schmerzensschreie der Schwangeren, bohrt ohne Vorwarnung ein Loch in die Fruchtblase. Danach verschwindet die Hebamme wortlos und lässt die werdenden Eltern im Kreißsaal zurück. Nur wenige Minuten später marschiert ein Arzt herein - und beginnt direkt mit dem Finger nach dem Kind zu tasten.

„Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Die Untersuchungen haben sich fast so angefühlt wie eine Vergewaltigung, ich habe die Kontrolle über die eigene Geburt verloren“, erinnert sich Christine Eigenbrod. Damals ist sie wie gelähmt, will einfach nur das Kind gesund auf die Welt bringen. Heute klärt Eigenbrod andere Frauen als Aktive im bundesweiten Verein Mother Hood auf, auch indem sie ihre eigene Geschichte erzählt. Denn mittlerweile weiß sie: Was ihr damals passiert ist, weist man heute als Gewalt während der Geburt aus.

Der Verein

  • Bei Mother Hood e.V. setzen sich Eltern bundesweit für eine gute Versorgung von Mutter und Kind vor, während und nach der Geburt ein.
  • Eine sichere Geburtshilfe sei laut laut Verein wegen Kreißsaalschließungen, Personalmangel in Kliniken und Lücken in der Hebammenversorgung nicht mehr überall gegeben.
  • Zu den Hauptforderungen von Mother Hood gehört unter anderem die Sicherstellung einer Eins-zu-Eins-Begleitung durch eine Hebamme und die Wahrung des Rechts auf die freie Wahl des Geburtsortes.
  • Hilfetelefon nach schwieriger Geburt: 0228/ 92959970. Beratungszeiten: mittwochs 12 Uhr bis 14 Uhr und donnerstags 19 Uhr bis 21 Uhr. l
  • Die vorgestellte Einrichtung ist nur eine von 27 Mannheimer Angeboten, die Hilfe gegen jegliche Form von Gewalt bieten. Die Beschreibungen und Kontaktdaten gibt es als Broschüre im PDF-Format kostenlos unter www.einander-manifest.de.

„Gewalt ein ,No-Go’“

Aber ist das nur ein Einzelfall? Eine Verkettung von zu wenig und überarbeitetem Personal? Und wie geht man in den Kliniken mit dem Thema Gewalt während der Geburt um? Nachgefragt bei den zwei großen Mannheimer Krankenhäusern heißt es von der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) zu dieser Problematik: „Das Thema ist für die Arbeit der Frauenklinik an der UMM sehr wichtig“, und es werde sehr viel dafür getan, „um allen Gebärenden und ihren Begleitpersonen ein positives Erleben der Geburt zu ermöglichen“, so Sprecher Dirk Schuhmann. Die Universitätsfrauenklinik forsche sogar in diesem Bereich. Nicole Mansouri-Hein, Sprecherin des Diakonissenkrankenhauses, sagt: „Das Diako ist ein überschaubares Haus, in der jeder und jede Einzelne gesehen wird. Gewalt - physischer oder psychischer Natur - ist für uns ein ,No-Go’.“ Stets gebe es eine intensive Betreuung durch eine Hebamme, das schaffe viel Vertrauen.

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Nachdem sie Gewalt bei der Geburt in einer Mannheimer Klinik erfahren hat, lässt indes Eigenbrod das Erlebte nicht mehr los - und am Ende kann sie es nur mit einer Traumatherapie bewältigen. „Ich konnte nicht mal richtig den Geburtstag meiner Tochter feiern. Ich war traumatisiert, in Schockstarre und wollte nie wieder ein Kind bekommen“, erinnert sich die 30-Jährige.

Zu diesem Zeitpunkt, vor knapp fünf Jahren, fehlt der frisch gebackenen Mutter jegliche Anlaufstelle, über das Thema wird in der Öffentlichkeit kaum gesprochen. Sie gibt sich selbst die Schuld, redet sich ein: „Ich habe mir die Geburt zu leicht vorgestellt.“ Erst vier Monate später findet sie die Kraft, die Klinik zu konfrontieren. Neben der groben Untersuchung will sie auch wissen, warum ihr das Neugeborene direkt danach nicht auf die Brust gelegt wurde - trotz ausdrücklichen Wunsches.

Statt auf Verständnis stößt sie auf Skepsis. Ihre versprochenen Gespräche mit dem Personal seien trotz Nachfrage nicht zustande gekommen, sagt Eigenbrod. Vielmehr erklärt das Krankenhaus, die junge Mutter sei die Erste, die sich beschwere. Und auch die Hebamme ist sich beim Telefonat keiner Schuld bewusst. Um damit abzuschließen, schreibt sie einen Brief, adressiert an die Geburtshelfenden, den sie im Vorraum des Kreißsaals ablegt. Nur wenige Tage später erteilt ihr die Klinik deswegen Hausverbot.

Treffen mit Gleichgesinnten

Erst im Verein Mother Hood (Mutterschaft) fühlt sich die 30-Jährige zum ersten Mal verstanden, als sie auf Gleichgesinnte trifft. Hier lernt die Mannheimerin, dass es ihr Recht ist, auch schlecht über die Geburt zu sprechen und grobe Behandlungen zu hinterfragen. Der Elterninitiative ist sich aber auch bewusst: Der Großteil der Geburtshelfenden arbeitet sicher und sensibel. Trotzdem kommt es manchmal zu Machtgefällen zwischen Ärzten und Eltern. Betroffene trauen sich später oft nicht, Kliniken zu konfrontieren oder schlimmstenfalls gegen sie zu klagen. Ob es Anlaufstellen oder Mechanismen gibt, Gewalt zu stoppen oder zu kontrollieren? „Es gibt die Möglichkeit, das Gespräch mit unserer Hausoberin zu suchen“, sagt Diako-Sprecherin Mansouri-Hein auf Anfrage. „Rückmeldungen werden zeitnah besprochen und Kritikpunkte gemeinsam in den Teambesprechungen bearbeitet“, führt sie weiter aus. Darüber hinaus könne man sich vertraulich an die dortige Seelsorge wenden. Schuhmann von der UMM beschreibt: „Als Anlaufstelle steht neben dem Personal und dem Direktor der Frauenklinik auch das Büro für Patientenzufriedenheit zur Verfügung.“

Inzwischen ist die Mannheimerin in der Regionalgruppe von Mother Hood mit zwölf weiteren Eltern aktiv und erhält oft privat oder über Hebammen Anfragen von Müttern, die ähnliches erlebt haben. „Wir wollen Frauen über dieses Tabu aufklären, bevor sie in den Kreißsaal kommen“, sagt die 30-Jährige. Ob sie jemals wieder in einem Krankenhaus gebären würde? „Ich habe mein zweites und drittes Kind zuhause zur Welt gebracht. Und mich dabei jede Sekunde gut aufgehoben gefühlt - bei einer Hebamme, die ich gut kenne.“

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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