Migrationsstadt Mannheim

Kolumbianerin und Mannheimerin: Nach dem Lied eines ermordeten Sängers benannt

Amanda Chartier Chamorro wurde in Frankreich geboren und wuchs in Kolumbien auf. Obwohl sie den Mannheimer Dialekt anfangs "abartig" findet, hat sie schnell ein Lieblingswort entdeckt

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Eva Baumgartner
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Amanda Chartier Chamorro, hier am Mannheimer Paradeplatz, wurde zwar in Frankreich geboren, wuchs aber in Kolumbien auf. Heute lebt die 37-Jährige im Mannheimer Stadtteil Jungbusch. © Eva Baumgartner

Mannheim. Die Geschichte von Amanda Chartier Chamorro hat viel mit Politik zu tun. Ihre Mutter, eine Kolumbianerin, kommt in den 1960er Jahren mit einem Solidaritätsprogramm mit Drittländern in die DDR: „Meine Mutter war damals 16 und in Kolumbien politisch aktiv. Es war eine gewalttätige Zeit, und mein Opa wollte seine Tochter schützen und hat sie in die DDR geschickt.“

Schon als Kind nimmt Amanda Chartier Chamorro viel von dem politischen Engagement ihrer Mutter auf, das diese in der DDR nicht ablegt. Es verwundert die heute 37-Jährige deshalb nicht, dass sie nach dem Lied „Te Recuerdo, Amanda“ („Ich erinnere mich an dich, Amanda“) benannt ist, einem Stück des chilenischen Sängers Víctor Jara, der kurz nach dem Militärputsch gegen Salvador Allende 1973 festgenommen und getötet wurde: „Er war in Chile einer der wichtigsten Aktivisten, danach gab es nur noch Diktatur“, erzählt sie über die anschließende Regierung Augusto Pinochets, der nie demokratisch gewählt wurde.

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Wie schon ihre Mutter ist auch Amanda Chartier Chamorro in vielen Ländern dieser Welt zuhause: Sie kommt in Frankreich auf die Welt, wächst in Kolumbien auf, in einem Vorort von Bogota: „Dorthin ist unsere ganze Familie gezogen, als ich vier war.“ Ihre ersten Jahre in Frankreich wird sie zweisprachig erzogen: „Meine Mutter hat mit mir spanisch geredet, der Papa französisch“.

Als ihre Mutter wieder in Kolumbien ist, unterrichtet sie an einer Deutschen Schule, auch Amanda Chartier Chamorro darf diese Schule besuchen: „Und ich konnte dann schon früh drei Sprachen sprechen, Deutsch, Französisch und Spanisch.“ Sie erinnert sich noch genau: „Als Zweitklässlerin wurde ich in der Schule oft ausgelacht, weil ich das R nicht richtig aussprechen konnte.“ Sie habe dann vor dem Spiegel geübt, das R zu rollen.

2005 kommt sie mit ihrer Familie schließlich nach Deutschland – für sie keine einfache Sache. „Ich hatte immer das Gefühl, gezwungen worden zu sein, nach Deutschland zu kommen.“ Allerdings hat sie das Glück, bereits Deutsch sprechen zu können, auch das deutsche Abitur hat sie in der Tasche: „Ich wurde sehr gut aufgenommen.“ Für ihre Brüder ist es schwieriger, sie haben die Schule in Südamerika noch nicht abgeschlossen und sprechen nicht so viel Deutsch: „Sie hatten Stress, wurden geschlagen.“

Die Familie muss ihr Leben ändern: „Ich habe erlebt, wie schwer es für meine Mutter war, sich für Arbeitslosengeld anzumelden oder Arbeit zu suchen.“ Sie sei schließlich Lehrerin gewesen, mit gutem Einkommen. Dann habe sie vom sozialen Status her von Null anfangen müssen: „Doch auch, wenn ich nicht die Sprachbarriere hatte, ich musste mir ebenso von Null alles aufbauen.“

Bachelor in Berlin

Die Musik begleitet Amanda Chartier Chamorro schon ihr ganzes Leben. Besonders Klänge aus Südamerika liegen ihr am Herzen: Sie spielt Klarinette, auch traditionelle kolumbianische Flöten wie die Gaitas, liebt die traditionelle Musik Cumbia. Sie startet 2010 ein Studium in Musikwissenschaft, doch es zieht sie nach Südamerika, wo sie von 2014 bis 2016 lebt. Nach ihrer Rückkehr schließt sie den Bachelor-Abschluss in Berlin ab.

Während ihres Studiums arbeitet sie zudem viel mit Sprachen, dolmetscht auf Messen. „Das hat mich interessiert, und ich wollte das vertiefen, habe deshalb in Mexiko eine Ausbildung zur Übersetzerin gemacht.“ Das setzt sie auch in Deutschland fort – im Januar 2024 möchte die Mannheimerin ihre Masterarbeit abgeben, sie studiert inzwischen Dolmetschen und Übersetzung.

Bis März 2023 absolviert sie ein halbjähriges Vollzeit-Praktikum bei der GIZ, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Dann zieht sie von Germersheim nach Mannheim, in den Jungbusch. „Es ist ein gemischtes Viertel, hier gibt es viele Musiker und Studenten, aber es liegt auch viel Müll herum, ich frage mich wirklich, warum das so ist.“

Ihre Freundschaften in Deutschland, sagt sie, bestehen lange größtenteils mit Menschen aus Lateinamerika. „Aber das hat sich geändert, und inzwischen kommen viele Menschen zu mir und bitten mich, sie hier zu begleiten. Ich habe gemerkt, dass ich ein Vermittler zu der deutschen Kultur sein kann.“ Ein Wert, den sie sicher von ihrer Mutter habe, ist sie sicher: „Sie hat viel getan, um mir diese Werte näherzubringen, ihre Migrationsgeschichte fand ja noch viel früher statt.“ Die Mutter habe die deutsche Kultur erfahren und ihre Kinder vorbereitet: „Sie war eine Kolumbianerin, die immer deutsches Brot gebacken hat.“

Noch politisch aktiv

Die Mutter lebt noch immer in Berlin, hat lange als Deutschlehrerin für Migranten unterrichtet, ist noch immer politisch aktiv. Drei ihrer Geschwister leben ebenfalls in der Bundeshauptstadt, ein weiterer in Frankfurt, der Vater in Frankreich.

Es sei für alle Kinder hart gewesen, zu sehen, wie ihre Mutter anfangs als Putzfrau arbeiten musste: „Putzen ist nichts Schlimmes, aber sie war Lehrerin, und wir brauchten schnell ein Einkommen.“ Erst später sei ihr bewusst geworden, welche Opfer Migranten bringen müssen: „Meine Mutter hat so viel geopfert, damit wir eine Chance hatten, weiterkommen zu können“, sagt Amanda Chartier Chamorro heute. Dennoch, bis heute gebe es Vorurteile: „Wenn ich sage, dass ich aus Kolumbien komme. Für viele gibt es da nur Korruption, Koks und Drogendealer. Das tut weh. Ich würde mir wünschen, die Menschen hier würden nach anderen Dingen fragen und nicht, ob ich etwas verkaufen kann. Das ist verletzend.“ In Deutschland überrascht sie, wie wenig die Menschen sich helfen: „Hier ist eher eine individuelle Gesellschaft, ein Konkurrenzkampf, ich wünsche mir, dass sie mehr solidarisch sind.“

Raum für Musik

Bei der Migration spielt für sie die Sprache die größte Rolle: „Man kommt an und erwartet, dass die Dinge so laufen wie zuvor, das ist aber nicht so.“ Mit ihrer Arbeit als Dolmetscherin will sie deshalb helfen, dass andere besser in Deutschland ankommen. Sie möchte aber auch der Musik mehr Raum geben, wenn die Masterarbeit abgegeben ist. Mannheim ist für sie inzwischen ein Zuhause: „Ein Stück ist es natürlich auch Kolumbien, aber da müsste ich auch wieder von vorne anfangen.“

Es sei reiner Zufall gewesen, dass sie in Mannheim gelandet ist: „Eine gute Freundin hat hier gewohnt. Ich habe überlegt, ob ich nach Heidelberg, Mannheim oder Karlsruhe soll, aber Mannheim hat mich an Berlin erinnert, ist vielfältig und interkulturell.“ Die Vorurteile von Mannheim, es sei grau und schmutzig, kann sie nicht bestätigen: „Mannheim hat so viele schöne Ecken.“ Nur der Dialekt, lacht sie: „Der war anfangs abartig. Das war wie die Ankunft in ein anderes Deutschland.“ Aber ein Lieblingswort hat sie trotzdem sofort gefunden: „Ajo, das gefällt mir, es ist sehr aussagekräftig.“

Dass sie ihre Heimat verlassen hat bereut sie jedenfalls nicht: „Mit dem Herauskommen aus der eigenen Komfortzone entstehen auch persönliche schöne Geschichten, die das Schicksal bestimmen.“

Redaktion Eva Baumgartner gehört zur Lokalredaktion Mannheim.

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