Mannheim. Als Helmut Schneider von seinen Erfahrungen bei „Mannheim spricht“ erzählt, verwendet er oft das Wort „wertvoll“. So sei seine Erfahrung beim Projekt gewesen und genau das habe ihn begeistert. Schon als er im Juni den Aufruf im „MM“ sah, war er angefixt: „Ein Blind-Date mit meinem Gegenteil, das klang mehr als spannend.“ Aufgeregt, ja fast hibbelig, war er, bevor er sein Gegenüber traf. Grund dazu gab’s genug: Die Dame, auf die er treffen würde, hatte in allen Positionen die gegenteilige Meinung angekreuzt.
Idee zum Projekt
Das Projekt „Mannheim spricht“ ist angelehnt an „Deutschland spricht“ von „Zeit Online“. Gestartet ist es 2017 als Gesprächsformat, das Menschen mit kontroversen Meinungen zusammenführt. Über Ja-Nein-Fragen und einen Algorithmus finden Paare zusammen, die konträre Antworten gegeben haben. Ziel ist es, mit diesen „Blind Dates“ Vorurteile abzubauen und miteinander ins Gespräch zu kommen – und das mit Menschen, die man sonst vermutlich nie getroffen hätte. In Mannheim haben rund 100 Menschen an diesen Gesprächen teilgenommen.
Initiatoren von „Mannheim spricht“ sind Abendakademie, die Stadt (Fachbereich Demokratie und Strategie und das Bündnis für ein Zusammenleben in Vielfalt), Forscher der Uni Mannheim sowie Gerd Armbruster (IT-Admin) und Katharina Missling (Ideengeberin).
Der „Mannheimer Morgen“ ist Medienpartner der Aktion „Mannheim spricht“ . Das Projekt wird unter anderem gefördert über das Bundesprogramm „Demokratie leben“ und von der Stadt Mannheim.
Mut, Zeit und Akzeptanz
Der Hintergrund: Während des Projekts „Mannheim spricht“ der Abendakademie hatten sich rund 100 Mannheimerinnen und Mannheimer zu Gesprächen verabredet (wir berichteten). Sie wurden durch einen Algorithmus zusammengeführt, nachdem sie Fragen beantworteten. Die lauteten etwa: „Hat Mannheim 2016 zu viele Geflüchtete aufgenommen?“ oder „Sollte es ein bedingungsloses Grundeinkommen geben?“.
Schneider hatte sein Gespräch und sagt nun: „Ich habe gelernt, Demokratie braucht Mut. Und sie braucht Zeit.“ Und: Man müsse auch Dinge mal stehenlassen können. „Dinge akzeptieren und jemanden eben mal nicht überzeugen.“ So unterschiedliche Meinungen er und sein Blind-Date hatten: Ähnlich war man sich doch. „Zum Beispiel in der Lebenswelt. Wir haben beide Familie, Kinder. Und da haben wir oft gemerkt: Soweit sind wir gar nicht voneinander entfernt.“
„Hätte sie sonst nie getroffen“
„Ein Treffen auf kommunikativer Augenhöhe trotz des Altersunterschiedes“, hat Simone Kesternich aus der Gartenstadt erlebt. „In dem Punkt, dass man die andere Meinung stehen lassen kann, waren wir uns einig. Wir haben dann das Thema Coronapolitik in den Mittelpunkt gestellt und waren uns hier nicht immer einig.“ Der Konsens war aber auch, „dass die andere Meinung gehört wurde, ohne sie abzuwerten oder es gar persönlich zu nehmen“, resümiert sie.
Uschi Märker beschreibt: „Meine Art mit Menschen zu reden, hat sich durch ,Mannheim spricht’ nicht verändert, da ich durch meine Arbeit 40 Jahre gewohnt war, viel mit Menschen zu sprechen.“ Aber sie fand es „faszinierend“, dass zwei fremde Menschen sehr unterschiedlichen Alters beim ersten Treffen über zwei Stunden miteinander sprechen können.
Anna Muth sagt, nachdem sie auf „eine sehr gut vorbereitete Gesprächspartnerin“ mit viel Hintergrundwissen traf: „Unsere Gespräche waren respektvoll und offen. Wir haben uns über Privates unterhalten und es war interessant Einblicke in das Leben einer bis dato völlig unbekannten Person zu bekommen.“ Bei den Themen „Autofreie Quadrate“ und „Enteignungen“ hätte man seine jeweilige Position dargelegt und dann Verständnis entwickelt. Das Projekt sei toll gewesen, um mit einer Person in Kontakt zu kommen, „die man so wahrscheinlich nie kennen gelernt hätte“.
Enteignung ja oder nein?
Im Gespräch ging es um harte Themen. Zum Beispiel um die Frage, ob der Staat Immobilienunternehmen für bezahlbaren Wohnraum enteignen sollen dürfe. „Wir haben uns da aus völlig unterschiedlichen Positionen angenähert. Vermeintlich. Denn am Ende waren wir uns einig, dass Wohnungen kein Spekulationsobjekt sein können und es einer Kontrollfunktion in irgendeiner Form bedarf.“
Oft sei bei Themen auch klargeworden: „Da bräuchten wir mehr Expertenwissen, um weiter zu diskutieren. Und das ist auch im Alltag so“, so Schneider. „Viele diskutieren, ohne das Fachwissen zu haben“, sagt er und schließt den Bogen zu seiner ersten Aussage, dass Demokratie Zeit brauche.
Während er mit der Dame im Café sitzt, fällt Schneider auch auf: „Wie wir denken, wie wir Fragen beantwortet haben, das hatte immer mit Ereignissen zu tun, die uns geprägt haben.“ Oder mit dem eigenen Alltag. Es ging zum Beispiel um die Frage, ob die Mannheimer Innenstadt autofrei werden soll. Obwohl er „leidenschaftlich gerne“ Fahrrad fahre und „ungern“ Auto, sagt Schneider: Wenn er in die Innenstadt gehe, brauche er einfach sein Auto, um seine größeren Einkäufe direkt einzuladen.
Sein Gegenüber pochte derweil auf den ÖPNV. Er gehört zu ihrem Alltag, sie nutze ihn viel, berichtet Schneider. „Für sie war die autofreie Stadt daher ganz logisch.“ Im Gespräch aber hätten beide gemerkt: Beides hat eine Berechtigung. „Die Frage war dann: Wie können wir einen Konsens finden – etwa Konzepte, die beiden Lebensmodellen Raum schaffen?“
Andere Kultur, anderes Leben?
Beim Thema Integration war Schneiders Antwort geprägt von Erfahrungen im privaten Umfeld. Eine solche hatte etwa in einer Bankfiliale stattgefunden. Über eine migrantische Frau sei von ihrem Mann „hinwegbestimmt“ worden, als sie mit ihm am Schalter war, so Schneider. Im Alltag, bei ihren Tätigkeiten, seien viele Bürger beim Thema Integration vom Staat „alleingelassen“ worden, findet er. Es bräuchte auch hier Zeit und mehr Einsatz, um Werte zu vermitteln. Seine Gesprächspartnerin, selbst Migrantin, hatte bei dem Thema, das sie somit unmittelbar betraf, eine andere Antwort angekreuzt – und führte Schneider gegenüber sitzend sofort ihre Differenzierungen aus.
Das persönliche Treffen sei auch bei der Frage „Gehen Arbeitsplätze vor Klimaschutz?“ wichtig gewesen, erzählt Schneider. Denn als jemand, der hauptberuflich Kohlekraftwerke repariere und warte, habe er seine Gesprächspartnerin erstmal stutzig gemacht. „Wie so oft, wenn ich mich vorstelle“, sagt er. Aber hinter den aktuellen Debatten stünden eben Gesichter, Familien, Menschen. „Ich bin kein Klimawandelleugner, im Gegenteil. Ich will die Transformation unserer Energiewirtschaft!“, so Schneider. „Wir müssen daran arbeiten.“ Aber es sei wichtig, das „Wie“ auszudiskutieren, so Schneider.
Startpunkt statt Ende
„Ich hoffe, es ist nicht der Endpunkt. Sondern der Startpunkt für etwas Neues“, sagt Schneider schließlich zum Projekt. Es wäre toll, „ weiter zu arbeiten, im Gespräch zu sein, einen Ort und eine Plattform zu haben für Austausch“. Denn bei „Mannheim spricht“ hat er, so sagt er, für Gespräche „keine Landkarte, sondern einen Kompass“ mit auf den Weg bekommen. Und somit ein wertvolles Werkzeug für unsere Gesellschaft.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-kohlekraftwerk-reparateur-trifft-auf-umweltbewussten-oepnv-fan-_arid,1834263.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html