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Kinder aus Mannheim-Neckarstadt suchen nach Spuren von Sprache

Wo finden sich Spuren von Sprache? Auf der Straße! Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache begibt sich mit Kindern auf die Suche, und zwar in der Neckarstadt-West. Denn dort werden die meisten Sprachen gesprochen

Von 
Stefanie Ball
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Wo spielt das Buch – und vor allem: Wer spielt mit? Das dürfen die Kinder entscheiden! Workshop im Kaisergarten in der Neckarstadt-West. © Stefanie Ball

Mannheim. Die neunjährige Alessandra hätte gerne einen Vogel und einen Hund als Hauptfiguren, für Asen (10) ist klar, dass die Fußballer Messi und Ronaldo das Geschehen bestimmen sollen, und der achtjährige Immanuel wünscht sich ein sprechendes Chamäleon. Vorschläge für mögliche Orte, an denen die Geschichte spielt, gibt es viele: ein Schwimmbad, ein Auto, die Bücherei, eine Eishalle, ein Fernseher, die Humboldtschule oder „Zuhause“. Wichtig ist, dass die Erzählung witzig ist, und Liebe muss drin vorkommen. Ein nachdenkliches oder trauriges Buch wollen nur wenige.

Das ist das Ergebnis eines Auftakt-Workshops, den das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) gemeinsam mit seinen lokalen Kooperationspartnern – dem Campus Neckarstadt-West, der Alten Feuerwache und dem Verein Neckarstadt Kids – mit Kindern aus dem Viertel veranstaltet hat. In diesem Jahr sollen weitere Workshops folgen, und am Ende soll unter anderem ein fertiges Buch stehen.

Sprach-Checker haben Preisgeld gewonnen

Möglich wird das Ganze dank der 50 000 Euro, die das Leibniz-Institut für sein Projekt „Die Sprach-Checker – so sprechen wir in der Neckarstadt-West“ im vergangenen Jahr als Preisgeld gewonnen hat. Der Wettbewerb „Auf die Plätze! Citizen Science in deiner Stadt“, der 2022 zum ersten Mal ausgeschrieben wurde, wird von „Wissenschaft im Dialog“, der Kommunikationsinitiative der deutschen Wissenschaft, sowie vom Museum für Naturkunde Berlin organisiert und vom Bundesforschungsministerium finanziert.

Forum Deutsche Sprache

  • Die Eröffnung für das Forum Deutsche Sprache auf dem Alten Meßplatz ist für Ende 2027 geplant.
  • Die Bauplanung mit dem Berliner Architekturbüro Henn, das 2021 als Sieger des Architekturwettbewerbs hervorgegangen war, hat bereits begonnen.
  • Bauherrin ist die Klaus Tschira Stiftung, die dem Leibniz-Institut für Deutsche Sprache das Gebäude und die erste Dauerausstellung schenken wird.

Gefördert werden im Rahmen des Wettbewerbs Projekte, bei denen Wissenschaftler gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern ein Forschungsvorhaben verfolgen, deshalb auch der Name „Citizen Science“, Bürgerwissenschaften.

„Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache verfügt über die größte Sammlung zum geschriebenen Deutsch und die größte Sammlung zum gesprochenen Deutsch. Was uns fehlt, ist die alltagssprachliche Kommunikation, da kommt man schwer dran“, sagt Christine Möhrs, Leiterin des Projekts „Sprachforschung und Citizen Science“ am IDS. Die Sprach-Checker sollen den Bestand an Alltagssprache nun auffüllen, und zwar speziell mit Blick auf die Mehrsprachigkeit.

Leibniz-Institut sucht in der ganzen Neckarstadt-West

Gemeinsam mit den Forschenden werden sie, die Kinder und Jugendlichen, in den kommenden Monaten nach Spuren der Sprache oder vielmehr Sprachen in dem Stadtviertel suchen, das dafür einmalige Voraussetzungen bietet. „Nirgendwo sonst in Mannheim werden so viele verschiedene Sprachen gesprochen wie in der Neckarstadt-West, wo Menschen aus 100 Nationen wohnen“, betont Elena Schoppa-Briele, Leiterin des Stabsbereichs Forum Deutsche Sprache am IDS. Eine wahre Fundgrube also für das Institut, dessen Hauptaufgabe es ist, Sprache zu erforschen und zu dokumentieren.

Insgesamt werden im Rahmen des Sprach-Checker-Projekts – und finanziert über das Preisgeld – fünf bürgerwissenschaftliche Aktionen durchgeführt werden, darunter das Buch, das die Kinder zusammen mit der Kinderbuchautorin und Illustratorin Anke Faust in einem mehrteiligen Workshop erarbeiten werden. „Ob es nur auf Deutsch oder in mehreren Sprachen geschrieben sein wird, das überlassen wir den Kindern“, sagt Möhrs. Daneben werden Jugendliche „Linguistic Landscaping“ betreiben, sie werden im öffentlichen Raum nach Sprachspuren in Form von Aufklebern, Plakaten, Graffiti suchen und die Fundstücke dokumentieren.

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In einer Videowerkstatt werden außerdem sprachbiografische Interviews geführt und zu einem Film zusammengeschnitten. „Jugendliche fragen Angehörige und Freunde aus der Neckarstadt, wie diese ihre eigene Biografie zusammen mit ihrer Sprache erlebt haben: Welche Sprache oder welchen Dialekt haben sie als Kind gesprochen? Welche Sprache sprechen die eigenen Kinder? Welche Erfahrungen hat man mit Fremdsprachen oder Fachsprachen gemacht“, so Möhrs. Die Ergebnisse aller Aktionen, das Buch, die Videoporträts sowie die Spurensuche, werden dann auf einem Sprachsommerfest am 17. Juli im Bürgerhaus Neckarstadt der Öffentlichkeit präsentiert.

Auf Altem Meßplatz: Forum Deutsche Sprache entsteht

„Die Sprach-Checker sollen ein Bewusstsein und eine Wertschätzung für die Sprachkompetenzen der Kinder und Jugendlichen schaffen“, erklärt Schoppa-Briele. Und das in einem Stadtteil, der oft als „Problemviertel“ wahrgenommen wird. „Die Menschen, die hier leben, bringen ein riesiges Potenzial mit, das wollen wir heben und sichtbar machen.“

Überhaupt hat sich das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache den Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern auf die Fahnen geschrieben. Auf dem Alten Meßplatz am Neckar entsteht demnächst das Forum Deutsche Sprache, das Forschungsstätte, Museum und ein offener Begegnungsraum sein soll, wo Menschen sich über ihre „Sprachspenden“ aktiv an der Sprachforschung beteiligen können.

Freie Autorin

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