Medizin

Kardiologen-Kongress in Mannheim: Das Herz als System verstehen lernen

Kardiologen aus dem ganzen Land sprechen bis Samstag auf einem Kongress im Mannheimer Rosengarten über Schnittstellen in der kardiovaskulären Medizin und neueste Forschungsergebnisse

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Herz-Kreislauf-Erkrankungen machen ein Drittel aller Todesfälle aus. Daher plädieren die Mediziner dafür, das Herz nicht isoliert zu betrachten. © Robert Günther/dpa

Gefragt nach der „Killer-Krankheit“ Nummer eins nennen die meisten Deutschen Krebs. Es sind aber Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die am häufigsten (vorzeitig) das Leben beenden und ein Drittel aller Todesfälle ausmachen. Der bis Samstag im Rosengarten laufende Kardiologie-Kongress beschreitet mit seinem Motto „Schnittstellen in der kardiovaskulären Medizin“ neue Wege: Und die führen weg vom Herz als isoliertem Organ. Vielmehr rückt ein System in den Blick, das im Körper auf vielfältige Weise kommuniziert.

„Erst in letzter Zeit haben wir gelernt, dass auch die gezielte Behandlung von Entzündungen und vor allem von Stoffwechselprozessen durchgreifende Erfolge erzielen kann“, umreißt in der Eröffnungspressekonferenz Tagungspräsident Christoph Maack (Würzburg) von der Grundlagenforschung initiierte Therapieansätze. Dass extremes Übergewicht (Adipositas) und Diabetes auf verschlungenen Pfaden Herzerkrankungen Vorschub leisten, ist zwar keine neue Erkenntnis, „aber es gibt aktuell einige interessante medikamentöse Entwicklungen“ , so Maack.

Sport und Ernährung weiter wichtige Präventionsmaßnahmen

Das Antidiabetikum Semaglutid, das ebenfalls zur Gewichtsabnahme eingesetzt wird und in Sozialen Medien einen regelrechten Hype als „Abnehmspritze“ ausgelöst hat, beschäftigt auch die Herzmedizin - weil Übergewicht ein wichtiger Faktor bei der Zunahme einer besonderen Form der Herzschwäche ist: Das lebenswichtige Organ pumpt zwar normal, ist aber zu steif, die Kammern richtig zu befüllen. Selbst wenn sich pharmakologisch einiges tut, so betont der Kongress-Tagungspräsident: „Sport und eine gesunde Ernährung bleiben die wichtigsten Präventionsmaßnahmen.“

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Das etwa faustgroße und um die 300 Gramm schwere Hohlorgan kann auf mannigfache Art Schaden nehmen. In Deutschland macht rund fünf Millionen Menschen zu schaffen, dass jene Gefäße „verkalken“, die den Herzmuskel mit Sauerstoff versorgen. An den Folgen einer solchen koronaren Herzkrankheit sterben jährlich um die 120 000 Menschen. „Das sind mehr Todesfälle als die fünf tödlichsten Krebsarten - nämlich Lunge, Bauchspeicheldrüse, Brust, Prostata und Dickdarm - zusammen hervorbringen“, umschreibt Holger Thiele, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie sowie Herz- und Kreislaufforschung, die Dimension und folgert daraus: „Es ist von höchster Wichtigkeit, dass eine sich anbahnende koronare Herzkrankheit schnell und richtig erkannt wird, damit eine leitliniengerechte Therapie erfolgen kann.“ Genau da liegt das Problem. Thiele sagt: „Moderne Diagnoseverfahren stehen noch nicht allen zur Verfügung.“ Als besonders aussagekräftig hat sich in den letzten Jahren „Kardio-CT“ (Computertomographie der Herzkranzgefäße) erwiesen. Dies gilt auch für „Stress-MRT“ , eine Magnetresonanztomographie zur Untersuchung des Herzens unter Belastung, um Durchblutungsstörungen zu identifizieren, die auf Einengungen der Kranzgefäße hinweisen. Der Mediziner kritisiert, dass aus Kostengründen und wegen Kassenvorschriften oftmals „veraltete und wenig effiziente Methoden wie das Belastungs-EGK eingesetzt werden“. Er berichtet von Fällen, bei denen mehr als ein halbes Jahr zwischen Abklärung von Herzproblemen beim Hausarzt über einen Befund beim Radiologen bis zum Einbeziehen des Kardiologen verging. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) plädiert für fachübergreifende und partnerschaftliche Diagnostik-Teams.

„Ein großes Defizit“ bei Vorsorgemaßnahmen und Aufklärung beklagt Stephan Baldus, letztjähriger Präsident der Fachgesellschaft. Deshalb will die „Nationale Herz-Allianz“ Pilotprojekte anstoßen. Beispielsweise bei der Früherkennung einer tückischen Fettstoffwechselkrankheit, die in die Wiege gelegt wird: Gemeint ist die familiäre Hypercholesterinämie, die zu dauerhaft erhöhtem LDL-Cholesterin (im Volksmund „böses Cholesterin“ genannt) führt - was ab Mitte Dreißig einen Herzinfarkt aufgrund von Gefäßverkalkungen auslösen kann.

„Gen-Editing“ bringt neue Möglichkeiten für Lipid-Forschung

Das Problem ist nicht die Behandlung der angeborenen Lipid-Stoffwechsel-Störung, sondern das Finden betroffener Kinder. Studien, beispielsweise in Bayern und Niedersachsen, ermöglichen Eltern, Kinder zwischen fünf und 14 Jahren in besonderen Kliniken testen zu lassen: Wofür zwei, drei Tropfen Blut aus dem Finger reichen. Bei der Lipid-Forschung hat die Zukunft bereits begonnen. Neben Medikamenten gibt es molekulare Therapieansätze, wie Ulf Landmesser von der Berliner Charité erläutert. Und mittels „Gen-Editing“ soll es künftig gelingen, jenen DNA-Abschnitt, der für zu viel Fett im Blut verantwortlich ist, punktgenau zu verändern.

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„Wir sind bei der Notfall-Reanimation durch Laien schlecht aufgestellt und bewegen uns im europäischen Vergleich gerade mal im unteren Drittel“, sagt Stephan Baldus. Lediglich bei 40 Prozent jener Herzstillstände, die im privaten Umfeld oder in der Öffentlichkeit auftreten, trauen sich Menschen eine Herzdruckmassage zu. Durch „Kurse und Trainings in Schulen, flankiert von digitalen Hilfsmaßnahmen“, führt der Kardiologe aus, wurden in skandinavischen Ländern „fantastische Steigerungsraten“ erzielt und die Zahl an Todesfällen wurde so vermindert.

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