Ich sitze in meinem Fernsehsessel. Ehrlich gesagt: Es ist eher ein Liegen. Plötzlich tut sich was am Fußende. Mit einem kühnen Sprung ist er da: Kater Nathan, rot getigert, sechs Monate jung. Langsam arbeitet er sich vom Oberschenkel zum Bauch, wie auf einen großen Berg hinauf. Dort kommt er zum Stehen, stemmt mir seine Beinchen mit dem 3,5-Kilogramm-Körper in den Wams, die warmen Tatzen auf der Haut sind durch das Sweatshirt spürbar. Seine Nase stupst an die meine, begleitet von lautem Schnurren.
Zu Hause bleiben, dort und auch außerhalb Kontakte zu Mitmenschen auf das Nötigste beschränken – die zentrale Botschaft dieser Zeit. Bei vielen führt das zu Vereinsamung, im besten Fall zu Langeweile. Mit Nathan und seiner Schwester Niki, mit zarten 2200 Gramm äußerlich eher ein Meerschweinchen auf vier Stelzen, kann davon keine Rede sein. Mit ihrem Treiben vermögen die beiden, schon das Entstehen von Corona-Blues zu verhindern.
Das tägliche Miteinander beginnt bereits am frühen Morgen: Nach dem Aufstehen um 5.30 Uhr wird der Gang in die Küche zum Triumphzug. Ich werde derart begeistert begrüßt, dass ich kaum vorankomme. Das hat natürlich nichts mit mir zu tun, eher mit meiner Fähigkeit, die Tür zum Vorratsschrank zu öffnen, in dem sich das Katzenfutter befindet.
Mit ihrer ganzen Kraft reiben sich die kleinen Körper an meinen Beinen, schnurrend in einer Lautstärke, dass es in der frühmorgendlichen Stille widerhallt, piepsend in einer Tonlage noch etwas höher als ohnehin. Einfach herzzerreißend! Sie wissen eben genau, wie sie die menschliche Seele beeindrucken können.
Für den Zweibeiner ist dies ein Moment großer Bedeutung. Wie wichtig darf ich mich in diesem Augenblick fühlen! Nur ich kann die zentrale Entscheidung dieses Morgens treffen – ob ich die Tür zum Schrank mit dem Katzenfutter öffne.
Gespannte Erwartung liegt in den Augen des schnurrenden Publikums; die anfangs weiten Pupillen zeigen sich im Licht mit schmalen Schlitzen. Was mag dahinter wohl vorgehen in diesen Köpfchen? Vielleicht: „Der Typ soll mit seinem nervigen Streicheln aufhören und lieber das ,Sheba’ aus dem Schrank holen“. Welch helle Freude kommt auf, als die Dose mit dem Futter geöffnet ist. Es wird verspeist, geschmatzt – man hört, dass es schmeckt.
Doch danach: Himmlische Ruhe kehrt ein. Die Tierchen begeben sich auf ihre Kissen. Und es beginnt die große Morgentoilette – ein echtes Erlebnis. Mit ihrer Zunge, die kleine Noppen aufweist, lecken sie sich das gesamte Fell. Immer wieder staune ich, wie diese Tiere geruchlos sauber bleiben – nur dank der Zunge. Ohne jedes Bürsten, ohne jedes Baden.
Tiefschlaf auf dem Bauch
Abends der Höhepunkt des Tages: Herrchen im Fernsehsessel, Frauchen auf der Couch. Und beide bieten wir den Platz für ein neuerliches Nickerchen – Nathan bei mir, Niki bei meiner Frau. Auf dem jeweiligen Bauch richtet Tier sich häuslich ein. Zunächst wird sich noch mehrfach gedreht, bis die richtige Position gefunden ist, dann geputzt. Das alles wieder begleitet von lautem Schnurren. Und dann wird geschlafen. Fest.
Und wir? Gerne würden wir uns im Laufe des Abends in der Küche eine Tafel Schokolade holen. Oder etwas zu trinken. Und irgendwann vielleicht auch auf die Toilette gehen. Doch das ist jetzt unmöglich. Wir sind besetzt. Die kleinste Bewegung unsererseits führt zu einer missmutigen Kopfbewegung unseres Bauch-Gastes samt eines Blickes voller Unverständnis. Wir müssen uns eben zusammenreißen. Hunger, Durst, Toilette – alles muss warten.
Doch irgendwann geht es nicht mehr. Ich erhebe mich, nehme das schlaftrunkene Tierchen, setze es in den Sessel, in der ehrlichen Hoffnung auf Vergebung für diese ungebührliche Störung. Und sie wird gnädigerweise gewährt, immerhin ist der von mir geräumte Platz im Sessel bestens vorgewärmt und daher im wahrsten Wortsinne heiß begehrt. Doch das ist auch das Problem: Als ich zurückkehre, ist der Platz besetzt. Nein, nun nicht noch einmal stören. Man denkt halt an sich zuletzt und nimmt seinen Platz für den Rest des Fernsehabends auf dem weit weniger bequemen Stuhl am Esstisch.
An den freien Tagen und den Wochenenden hat man Zeit, die Tierchen noch intensiver zu beobachten. Und sie passen sich an, schlafen nun tagsüber weniger. Dann sitzen sie lange am Fenster und verfolgen das Treiben in unserer Spielstraße. Staunen, wenn Hunde mit ihrem Herrchen vorbeiflanieren. Nur eines mögen sie nicht: die Müllabfuhr. Die ist einfach zu groß und zu laut.
An diesen Tagen können wir beobachten, nein: genießen, wie die beiden miteinander agieren. Sie raufen, knabbern den Schwanz des jeweils anderen an. Sie scheinen Verstecken zu spielen und Fangen, rasen durch das Wohnzimmer, die Treppen hinunter ins Untergeschoss – als wollten sie den Corona-Blues aus dem Hause davonjagen.
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