Drogentotengedenktag

In die Drogensucht abgerutscht: Ein Mannheimer erzählt seine Geschichte

Thommy war viele Jahrzehnte schwer abhängig von Heroin. Heute ist der Mannheimer froh, überlebt zu haben. Sein Leben ist ein anderes, das Stigma aber bleibt.

Von 
Stefanie Ball
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An seinen ersten Schuss Heroin – hier ein Symbolbild – erinnert sich ein Mannheimer noch ganz genau. Das war 1993. Dann ging es für ihn bergab. © AOK

Mannheim. An das erste Mal erinnert sich Thommy noch ganz genau. Das war 1993. Einer seiner Freunde habe gesagt: „Spritzen ist viel schöner als schnupfen.“ Doch Thommy, der im wahren Leben einen anderen Namen trägt, hat Respekt. „Ich hatte die Bilder von Christiane F. vom damaligen Bestsellerbuch ,Wir Kinder vom Bahnhof Zoo' im Kopf, mit der Nadel im Arm.“ Irgendwann aber kann er nicht mehr widerstehen. Der Mannheimer ist mit Freunden in Darmstadt unterwegs, sie besorgen sich ein Päckchen Heroin, fünf Gramm für 100 Mark, und Thommy setzt sich seinen ersten Schuss. Er zeigt auf seinen rechten Unterarm. „Wenn er nicht tätowiert wäre, könnte man die Einstiche stehen.“

Dem ersten Mal in Darmstadt sind viele weitere Male gefolgt. Zwei seiner Freunde hätten sich übergeben müssen, Thommy nicht. Er erlebt einen Trip, wie er ihn noch nie erlebt hat und danach auch nie wieder erlebt. Den er seitdem aber sucht. „Man fühlt sich wohlig und warm, es ist nichts im Kopf, keine negativen Gedanken.“

Drogen mit Diebstahl und dem Geld der Mutter finanziert

Das Gefühl kommt nicht wieder. Egal, was er nimmt, egal wie viel er nimmt. Trotzdem seien die ersten fünf Jahre nach diesem ersten Schuss in Darmstadt gut gewesen. Thommy war ständig auf irgendeinem Trip, die Drogen finanziert er sich mit kleinen Diebstahldelikten und dem Geld seiner Mutter.

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Der damals Mitte 20-Jährige lebt noch bei ihr, und sie hält es aus. Das rechnet er ihr hoch an. Er weiß, dass sie sich ein anderes Leben für ihn gewünscht hätte, dass sie jahrelang zur Co-Abhängigen wurde, die selbst unter Schuldgefühlen litt. Erst viele Jahre später in der Therapie lernt Thommy, dass er selbst auch Opfer war, eines Vaters, der auch Drogen nahm und die Mutter schlug, eines Stadtteils, in dem viele zerbrochene Familien lebten, einer Schule, die ihn nach der achten Klasse mit Sechsen und vielen Fehltagen auf dem Zeugnis einfach gehen ließ.

An der Mannheimer Drogenszene kommt Thommy nicht vorbei

Bald seien die Diebstähle größer geworden, Thommy wird von der Polizei geschnappt und landet im Gefängnis. „Zum Glück, sonst würde ich heute nicht hier sitzen.“ Im Gefängnis gibt es keine Drogen, nur kalten Entzug. Das sei zwar schlimm gewesen, da sich seinerzeit niemand um die Qualen der Abhängigen geschert habe. Aber so sei er wenigstens mal runtergekommen von dem Zeug. Um dann, sobald er wieder zurück in Freiheit war, wieder draufzukommen. „In Mannheim gab es damals eine große Drogenszene, da konntest du gar nicht vorbeilaufen.“ Und Thommy will auch gar nicht vorbeilaufen. Für ihn ist das sein Leben, ein anderes, so habe er damals gedacht, sei gar nicht vorgesehen.

Die Entwicklung der Zahl der Drogentoten in Mannheim. © MM-Grafik

So dreht sich der Teufelskreis weiter. Thommy hat nichts gelernt, keinen Beruf, das Geld für seine Drogensucht muss er sich auf kriminelle Weise besorgen. Manchmal ist er dem Tod näher als dem Leben, wenn er sich aus Heroin, Kokain und Rohypnol gefährliche Mischungen zusammenbraut. Nach dem Rausch seien die Scham- und Schuldgefühle gekommen, schnell überlagert von dem Gedanken: Wo kommt der neue Stoff her?

Ein Raubüberfall bringt Thommy lange ins Gefängnis – und die Wende

Anfang der 2000er Jahre begeht Thommy mit zwei Komplizen einen bewaffneten Raubüberfall. Das Ganze geht schief, das Urteil lautet: sieben Jahre Gefängnis.

Für Thommy bringt das die Wende. Er ist sich sicher: Wenn er die Zeit abgesessen hat, will er nie mehr ins Gefängnis. Er beginnt eine Therapie, und bricht sie wie die Therapien vorher nicht ab. Seit 14 Jahren ist er durchgehend in Substitutionsbehandlung. Er erhält Methadon, eine Ersatzdroge, die dafür sorgt, dass er keinen Suchtdruck verspürt. Es macht ihn aber auch nicht high. Manchmal verfalle er in alte Gewohnheiten, dann schlucke er zum Beispiel Tabletten. Doch auch damit will er aufhören. Er habe Freunde sterben sehen, und andere, die bis heute nicht die Kurve gekriegt hätten. „Das tut mir dann leid.“

Der Drogenmissbrauch hinterlässt Spuren – auch körperlich

Thommy ist jetzt 52 Jahre alt. Der jahrelange Drogenmissbrauch hat seine Spuren hinterlassen. Ihm fehlen fast alle Zähne. Ansonsten gehe es ihm gut, sagt er. Aus einer inzwischen geschiedenen Ehe sei eine Tochter entstanden, die sei inzwischen 32 Jahre alt. Früher habe er kaum Kontakt zu ihr gehabt, doch heute sei das Verhältnis gut. „Wir telefonieren mehrmals in der Woche.“ Auch einen Sohn hat er. Dass die beiden auf die schiefe Bahn geraten könnten, befürchtet er nicht. „Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, die sind viel besser aufgeklärt.“

Dreimal in der Woche unterstützt Thommy den Mannheimer Drogenverein beim Einsammeln von gebrauchten Spritzen; die lägen überall herum, unter der Kurpfalzbrücke, am Neckarufer entlang. Manchmal sprächen ihn Menschen an, wenn er mit einer Zange die Nadeln aufhebt und in ein Eimerchen steckt. „Viele sind nett und wollen wissen, was ich da mache, bei anderen merke ich, dass sie auf mich herabblicken.“ Das störe ihn am meisten, dieses Abwerten. „Die denken, wir sind dreckige Junkies.“ Er würde sich wünschen, dass die Menschen mehr Verständnis hätten. Oder dass sie ihn einfach fragen würden: „Warst du mal auf Droge?“ Dann würde er ihnen seine Geschichte erzählen. So wie sie hier steht.

Freie Autorin

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