Reportage

Hilfe für Geflüchtete: Unterwegs mit Mannheims Bahnhofshelfern

Von 
Alexander Schreiber
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Natice Orhan-Daibel, die Gründerin der Bahnhofshelfer, mit Nikita Koval, der seinen Halt verpasst hat und in Mannheim ausgestiegen ist. © Alexander Schreiber

Das Ticket in die Sicherheit ist dunkelblau: Eine Frau steht mit ihren beiden Töchtern in der Mannheimer Bahnhofshalle. In ihrer Hand hält sie drei ukrainische Reisepässe, blaue Dokumente mit goldenen Lettern. Mit ihnen können sie und ihre Kinder in Deutschland kostenlos Zug fahren. Vor wenigen Minuten sind sie am Mannheimer Bahnhof angekommen. Es ist die Nacht zum Sonntag, gegen Mitternacht. Sie wolle nach München weiterfahren, sagt die Frau. Ob jemand dort auf sie wartet, ist unklar. Aus der Plastiktüte, die die ältere Tochter fest im Griff hat, dringt ein Maunzen: Auch Katze „Lucky“ hat es nach Deutschland geschafft.

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Video: Bahnhofshelfer nehmen in Mannheim Geflüchtete aus der Ukraine in Empfang

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Die Frau spricht kein Deutsch. Das Reisezentrum ist schon seit Stunden geschlossen. Menschen wie sie möchten die Mannheimer Bahnhofshelfer, eine ehrenamtliche Initiative, unterstützen. Ins Leben gerufen hat sie Natice Orhan-Daibel, als 2015 und 2016 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge mit der Bahn nach Mannheim kamen. Am Samstagabend steht sie in gelber Warnweste im Bahnhofsgebäude. „Help for Refugees“ ist darauf gedruckt, darunter nochmal auf Arabisch. Es ist dieselbe Weste wie damals.

Seit drei Wochen ist Orhan-Daibel wieder im Einsatz. Sie organisiert Spenden, koordiniert Helfer, kommuniziert mit Bahn und Mannheimer Stadtverwaltung und steht selbst immer wieder am Gleis, um ankommenden Flüchtlingen zu helfen. Von morgens bis abends, auch am Wochenende. „Mein altes Leben ist weg“, sagt sie. „Ich schlafe so vier bis fünf Stunden. Letzte Nacht habe ich sogar vom Krieg geträumt.“ Ende Februar, als Russland die Ukraine angriff, fing sie an, Vorbereitungen zu treffen. Für den Tag, an dem Ukrainer in Mannheim ankommen würden. Seit einer Woche stehen die Bahnhofshelfer abends wieder an den Gleisen. Auch Dolmetscher sind ehrenamtlich im Einsatz, um von Russisch auf Deutsch zu übersetzen.

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Am Samstagabend sind rund 15 Helfer da. Eine Gruppe von 30 Geflüchteten, die nach Paris möchte, soll heute Abend ankommen. Mit welchem Zug weiß niemand so genau. Auf einer Sitzbank auf Gleis 5 haben die Helfer eine kleine Anlaufstelle geschaffen. Der Wind pfeift über den Bahnsteig, es ist kalt. Oben, im Feldbettenlager im ersten Stock des Bahnhofsgebäudes ist es warm. Rund 25 Betten hat die Deutsche Bahn hier aufgebaut. Geflüchtete, die die Nacht am Bahnhof verbringen müssen, finden hier einen Schlafplatz. Es gibt Verpflegung und Hygieneartikel, Malstifte und Spiele für die Kinder. Auch die Frau und ihre Töchter, die nach München wollten, werden die hier schlafen. Vielleicht bleiben sie auch in Mannheim. Gut möglich, dass hier ihr neues Leben beginnt.

Viele der Menschen, die in Mannheim ankommen, sind erschöpft. Sie haben stundenlange Zugfahrten hinter sich. Ihr Zuhause haben sie meist schon vor Wochen verlassen. Über Polen, manchmal auch Moldau und Rumänien kommen sie nach Deutschland. Von den Bahnhofshelfern erhalten sie Lebensmittel, aber auch Klamotten oder Plüschtiere. Manche Geflüchtete wollen von Mannheim aus weiterfahren und brauchen Unterstützung, ihre Anschlusszüge zu finden. Manche landen aus Versehen in Mannheim, etwa weil sie in den falschen Zug gestiegen sind oder einen Halt verpasst haben. Wieder andere wissen nicht einmal, wo sie hinwollen. Wer in Mannheim bleiben möchte, kann Zuflucht in der Jugendherberge auf dem Lindenhof finden. Hier bietet die Stadtverwaltung Betten an.

Namen auf Kyrillisch

Ein Mann wendet sich an die Helfer. Er sucht zwei Frauen, entfernte Verwandte von ihm, die vor kurzem mit dem Zug eingefahren sind. Er kenne sie vom Postkartenschreiben an Weihnachten, sagt er. Auf ein Blatt Papier hat er ihre Namen auf Kyrillisch gedruckt, damit sie ihn erkennen. Nach einer Weile findet er sie schließlich.

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Chaos ist in diesen Tagen der Normalzustand am Hauptbahnhof. Es gibt keine zentrale Anlaufstelle, die verantwortlich ist. Stattdessen hat sich ein Netzwerk gebildet, aus Bahnangestellten, Bahnhofshelfern und Rotem Kreuz, das sich gegenseitig unterstützt. Die Informationslage ist dünn, es gibt keine Angaben dazu, wie viele Ukrainer nach Mannheim reisen. Manchmal funken Schaffner aus Zügen an den Bahnhof, dass Geflüchtete an Bord sind. Es braucht auch Glück, dass sich Bahnhofshelfer und Geflüchtete finden. Trotzdem, sagt Natice Orhan-Daibel, sei vieles besser als 2015 und 2016. Damals sei der Bahnhof noch nachts um eins zugeschlossen worden. „Jetzt haben wir die Feldbetten und der Bahnhof bleibt offen.“

Die große Gruppe auf dem Weg nach Paris, die angekündigt war, kommt nicht. Wo sie geblieben ist, weiß niemand.

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