Rundgang

Hey Boomer! Was ich als junge Frau beim Seniorentag in Mannheim erlebte

„Omas for Future“, abgespacte Fitnessgeräte, Haftcreme und Inkontinenz fernab der Tabuzone: Reporterin Lea Seethaler hat sich auf dem Deutschen Seniorentag in Mannheim umgesehen. Ihr Fazit.

Von 
Lea Seethaler
Lesedauer: 
Die Omas for Future (v.l.): Heike Schroeter, Ellen Leytz und Gabi Eisner-Just. © Lea Seethaler

Mannheim. Es sieht aus wie eine Maschine für ein Raumfahrttraining. Eine grauhaarige Dame hängt horizontal mit Händen an Griffen und Kopf nach unten in einem Gerät. Es wackelt. Sie trägt eine klobige Brille. An einem Bildschirm hinter ihr wird die Animation eines Gleitschirmfluges gezeigt. Das Gestell ist ein Trainingstool. Auch für Senioren, die nicht unbedingt so motiviert sind, Sport machen zu wollen, oder das Gefühl der Anstrengung nicht mögen, erklärt Julian Reich, Geschäftsführer des Herstellers Icaros Health.

Im animierten Spiel mit körpergesteuerter Bewegung vergehe die Zeit ganz schnell, präzisiert er. „Oft sind die Leute fertig, fühlen sich gut und sagen: ,Was, das war jetzt Sport?‘“, so Reich. Eigentlich will ich die Dame, die das Gerät gerade begeistert benutzt hat, befragen, wie sie es fand. Doch sie taumelt mit Glühbäckchen und richtig gelöst erstmal in Richtung Messegang. „Mein Mund ist total trocken, ich kann grad noch gar nichts sagen“, ruft sie und lacht. „Gibt‘s hier irgendwo Wasser“, sagt sie und flitzt Richtung Cafébar. Anstrengend ist es also auf jeden Fall, denke ich mir schmunzelnd.

Hier wird das Icaros Health-Gerät getestet. Der kleine Bildschirm im Hintergrund zeigt die gleitende Flugroute digital. © Lea Seethaler

Auf dem Deutschen Seniorentag in Mannheim wird mir als junger Mensch bewusst, dass unser modernes Zeitalter auch viele Chancen für Ältere bietet. Hochtechnisierte Tests stehen zur Verfügung. Viele Geräte. Auch, um den eigenen Körper zu analysieren. Hier wird auf Herz und Nieren geprüft. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sensoren und blinkende Displays überall. Stampfende oder tief ein- und ausatmende Senioren, wohin das Auge reicht. Auch einen Hörcheck kann man in einer Box machen, die aussieht, wie ein abgefahrenes Tonstudio.

Die Omas for Future fallen mir an ihrem Stand schon von der Ferne auf und locken mich mit ihrem breiten Grinsen an. Gabi Eisner-Just und Ellen Leytz sagen, viele Mannheimer Senioren seien bei ihnen am Stand gewesen und hätten gesagt: „Hach, was soll man jetzt noch als alter Mensch für das Klima machen? Und außerdem ist es eh schon viel zu spät.“ Doch die beiden wissen: „Jede noch so kleine Aktion für das Klima zählt.“ Dafür verbreiteten sie ihre Botschaft und ihr Wissen etwa an Schulen, erzählen sie.

„In unserer Regionalgruppe haben wir aktuell auch den Plan, ein Hochbeet vor einer Flüchtlingsunterkunft mit den Geflüchteten aufzubauen. Damit sie frischen Salat, Obst und Gemüse anbauen und ernten können. Zudem soll es ein geselliges Projekt sein“, so Eisner-Just. Ellen Leytz erwidert auf die Frage, ob es die Omas for Future auch schon in Mannheim gibt: „Nein noch nicht, aber es waren so viele Interessierte da, die meinten, sie würden gerne etwas starten!“

Ab in die Rikscha: Ute Striebinger (r.) weist ihre Gäste ein. © Lea Seethaler

Ich besuche noch ein geselliges Projekt, „Radeln ohne Alter“. Mit Rikschas können Senioren und mobilitätseingeschränkte Menschen wieder den Fahrtwind um die Ohren spüren, den sie früher als aktiv Radfahrende hatten. Ute Striebinger treibt die Aktion etwa begeistert in Südhessen mit voran: „Die glücklichen Augen, wenn die Leute aus der Rikscha aussteigen nach der Fahrt“, bewegten sie, bei diesem Projekt immer weiter zu machen. Ich finde: Eine wirklich gute Idee, um wieder Bewegung in den Alltag der Senioren zu bringen.

Ich habe zudem das Gefühl, dass die Aussteller sehr gut im Erklären in zwei Tempos sind. Oft nehme ich wahr, wie eine jüngere und eine ältere Person gemeinsam mit Taschen behängt am Stand stehen. Viel zugewandtes Erklären höre ich in Wortfetzen heraus - sei es über Ernährungstrends oder den Tod.

Denn der Tod ist auch Thema auf dem Seniorentag. Initiativen, bei denen Angehörige und Ältere die letzten Fragen klären können, stellen sich etwa vor. Aber auch Palliativversorgung ist Thema. An einem Stand kleben Post-Its. „Bevor ich sterbe, möchte ich“, steht über ihnen. Die Antworten: „Wildlebende Orcas im Meer bewundern“, „Die Seidenstraße sehen“, „Mich mit ein paar schwierigen Freunden versöhnen“ steht dort. Oder: „Ganz viel tanzen“, „Unseren behinderten Sohn gut versorgt wissen“ und „Mein Schildkrötenprojekt machen“. Ich mag diese Zettelform. Denn sie gibt einen guten persönlichen Einblick, was die Besucher bewegt.

Mehr zum Thema

Gesellschaft

Das waren die Themen bei der Seniorentag-Eröffnung in Mannheim

Veröffentlicht
Von
Katja Geiler
Mehr erfahren
Rosengarten

So lief der Kanzler-Besuch beim Seniorentag in Mannheim

Veröffentlicht
Von
Steffen Mack
Mehr erfahren
Mannheimer Seniorentage

Heidi Reichinnek begeistert auf Seniorentag in Mannheim

Veröffentlicht
Von
Valerie Gerards
Mehr erfahren

Massig Post-Its gibt es auch beim Stand der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen. Unter „Gut alt werden - das erwarte ich von der Politik!“ sind dutzende Zettel geklebt. Mir fällt auf, dass einige Forderungen häufiger vorkommen. Besonders: „Medikamente günstiger machen“ und „Gerechteres Rentensystem“ . Aber auch „Aktive Sterbehilfe“, „Kostenloser ÖPNV“ und „Altenheimkosten senken“ ist oft erwähnt. Auch der Wunsch nach einer „Alters-WG“ und bezahlbarem Wohnraum taucht mehrfach auf.

Auch am Stand der Stadt Mannheim kann man mit Klebepunkten markieren. Menschen sollen eintragen, zu wievielt sie in einer XY-Zimmer-Wohnung leben. Es fällt sofort auf: Die meisten Punkte kleben dort, wo zwei Personen fünf oder mehr Zimmer zur Verfügung haben. Auf dem Seniorentag wird auch passend dazu das Konzept Wohnungstausch vorgestellt. Einzig eine Person hat ganz am Anfang der Skala angeben, dass sie als eine Person nur ein Zimmer hat. Gesellschaftliche Debatten nehmen hier ganz plastisch Form an.

Vorbei an süßen Blinden- und Assistenzhunden, Ständen die offensiv Tabuthemen wie Inkontinenz, Zahnausfall oder Krebs thematisieren, arbeite ich mich zu vollen Vortragsräumen, in denen Menschen gebannt Experten lauschen. Ich sehe dann davor Bilder, von denen ich im Netz schon einmal gelesen habe. Die Fotoportraits der Künstlerinnen Jule Kühn und Susanne Lencinas. Das Projekt heißt „Aufgeblüht“ und zeigt Menschen mit und ohne Demenz eingebettet in Blumen.

Die Komposition und die Positivität der Bilder sind faszinierend. Wenn man bedenkt, wie schnell die Zeit vergeht, ist es alles an diesem Tag ein bisschen bittersüß. Aber der Seniorentag hilft einem, auch bei schweren Themen rund ums Alter, den Blick nach vorn und den Kopf erhoben zu halten. So gut es geht - und so geht es auch vielen, die etwa vor den Bildern verweilen, das bringen sie im gemeinsamen Gespräch über die Bilder zum Ausdruck.

Die Aura der Bilder der "Aufgeblüht"-Serie ist fesselnd. © Lea Seethaler

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke