Mannheim. Es sind Zahlen, die erschrecken: Im Jahr 2023 gab es in Mannheim insgesamt 564 Fälle von Partnerschaftsgewalt. Das ist weniger als im Jahr zuvor, und nach Aussage des Polizeipräsidiums Mannheim sind auch 2024 die Fallzahlen in der Stadt leicht rückläufig. Trotzdem stehen hinter den Zahlen verzweifelte Schicksale von (zumeist) Frauen, die von ihren Männern, Partnern, Ex-Partnern geschlagen, misshandelt, bedroht, psychisch unter Druck gesetzt werden. In 25 Fällen war sogar davon auszugehen, dass das Leben der Betroffenen in Gefahr sein könnte.
Die Polizei in Baden-Württemberg arbeitet seit geraumer Zeit mit einem Risikobewertungsinstrument und ordnet damit sämtliche Fälle von häuslicher Gewalt in Risikogruppen ein. Ab der höchsten Risikogruppe, der Gruppe 3, muss eine Fallkonferenz abgehalten werden, an der neben der Polizei andere Behörden – Ausländerbehörde, Waffenbehörde, Ordnungsbehörde, Jugendamt, Führerscheinstelle – teilnehmen. Auf diese Weise soll das Geschehen aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und eine individuelle Lösung im Sinne des Opferschutzes gefunden werden.
Prognosetool gibt Polizei Hinweise auf Risiken
Nach Aussage des Mannheimer Polizeipräsidiums liefert das Prognosetool gute Anhaltspunkte – aber nicht immer lassen sich Gewalttaten vorhersehen. Als vor anderthalb Jahren eine Frau in Neckarau von ihrem ehemaligen Lebensgefährten erstochen wurde, hatte die Polizei den Mann zwar auf dem Schirm, als Hochrisikofall war die Beziehung, die weiter bestand, weil es gemeinsame Kinder gab, aber nicht eingeordnet worden. Auch kann es passieren, dass eine betroffene Person in einer akuten Notsituation die Polizei ruft, bis zum Eintreffen der Beamten hat der Täter das Opfer aber dermaßen unter Druck gesetzt, dass dieses von einer Anzeige absieht. Oder es steht Aussage gegen Aussage, Ermittlungen verlaufen im Sande. Oft spielen hier auch Scham und eine finanzielle Abhängigkeit vom Täter eine Rolle.
Hilfe für Opfer
- Laut Bundeskriminalamt wurden in Deutschland 2023 mehr als 250.000 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt , davon waren 70 Prozent Frauen und Mädchen.
- An fast jedem zweiten Tag findet in Deutschland ein Femizid statt , eine Frau wird aufgrund ihres Geschlechts von ihrem Ehemann oder Ex-Partner getötet.
- Fraueninformationszentrum des Mannheimer Frauenhaus e. V. (FIZ): Telefon 0621-379790
- Frauenhaus des Mannheimer Frauenhaus e. V.: Telefon 0621-49307310
- Frauen- und Kinderschutzhaus Heckertstift des Caritasverbandes Mannheim: Telefon 0621-411068
Jedenfalls Gründe für viele Betroffene, an ihren toxischen Partnerschaften festzuhalten. „Die Frauen fürchten den Verlust von Wohnung, Arbeit und sozialem Umfeld“, weiß Tina Wagner vom Fraueninformationszentrum (FIZ). Das FIZ ist die Beratungsstelle des Mannheimer Frauenhaus e.V. und unterstützt Frauen in schwierigen Trennungs- und Scheidungssituationen. Dazu komme die berechtigte Sorge vor Gerichtsverfahren zum Sorge- und Umgangsrecht bei Kindern. Manche Frauen trauten sich auch schlicht nicht zu, auf eigenen Beinen zu stehen. „Es fehlt an Zutrauen zu eigenen Fähigkeiten und Stärken“, erlebt Wagner immer wieder. Gleichzeitig machten Glaubenssätze wie „Man trennt sich nicht“ oder „Man gibt nicht so schnell auf“ eine Trennung aus Sicht der Frauen unmöglich.
So klammerten sich die Betroffenen an die Hoffnung, dass sich der Partner schon ändern werde. Die Frauen werden im FIZ offen beraten, betont Wagner. Denjenigen, die die Beziehung aufrechterhalten wollen, werde aber nahegelegt, Bedingungen zu stellen, zum Beispiel eine Paarberatung oder die Teilnahme des Täters an einem Antiaggressionstraining.
Langes Warten auf einen Platz im Frauenhaus
Eskaliert die Situation vollends, bleibt als letzter Ausweg die Flucht ins Frauenhaus. Das Problem: Die häusliche Gewalt ist größer als das Schutzangebot. Nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Baden-Württemberg kann in den 44 Frauenhäusern im Südwesten mit ihrem Platzangebot für 380 Frauen und deren Kindern nur ein Bruchteil der Schutzsuchenden aufgenommen werden. „Für die anderen heißt das warten und weiter Gewalt erleiden, auch schwere Gewalt“, betont eine Sprecherin des Verbandes. Zwar fördere die Landesregierung aktuell den Bau zweier weiterer Frauenhäuser: „Aber das reicht noch lange nicht aus.“
In Mannheim gibt es zwei Frauenhäuser, Träger ist der Mannheimer Frauenhaus e.V. mit insgesamt 33 Plätzen (14 Plätze für Frauen und 19 Plätze für Kinder) sowie das Heckertstift des Caritasverbandes Mannheim mit 36 Plätzen (18 Plätze für Frauen und 18 Plätze für Kinder). Dazu kommen zwei zusätzliche Schutzwohnungen über das Projekt Segel, eine Kooperation von Mannheimer Frauenhaus und Drogenverein, für substanzabhängige Frauen mit (oder ohne) Kinder, die ansonsten so gut wie keine Chance haben, in einem Frauenhaus unterzukommen.
Das Heckertstift beispielsweise konnte 68 Frauen im Jahr 2023 keinen Platz anbieten; die Frauen werden dann an andere Einrichtungen weitervermittelt. Ein anderes Problem ist die lange Verweildauer: Laut Caritasverband waren die Frauen 2023 durchschnittlich 218 Tage im Frauenhaus, 2022 waren es noch 139 Tage. Der Grund: Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist prekär, eine bezahlbare Wohnung zu finden, schwierig. „Gleichzeitig drängen manche Kostenträger darauf, die Aufenthaltszeiten von Bewohnerinnen im Frauenhaus zu begrenzen“, wie die Leiterin des Heckertstifts, Dagmar Bach, betont. Auch gebe es Personenkreise, die zunehmend auf dem Wohnungsmarkt ausgegrenzt würden, wie Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund oder Beeinträchtigungen.
Bundesweites Gewalthilfegesetz im Januar verabschiedet
Finanziert werden die Frauenhäuser aus Mitteln von Ländern und Kommunen, dazu kommen Eigenmittel der Träger sowie Spenden. Als problematisch sieht es der Verein Frauenhauskoordinierung an, der sich für den Abbau von Gewalt gegen Frauen einsetzt, wenn – wie in Mannheim – der Aufenthalt über Leistungsansprüche der Frauen finanziert wird. Das heißt, hier übernehmen das Jobcenter oder das Sozialamt die Tagespauschale. Für Frauen, die arbeiten und über ein Einkommen verfügen, bedeutet das, sie müssen für die Unterkunftskosten – auch die ihrer Kinder – selbst aufkommen.
Immerhin, Ende Januar hat der Bundestag ein Gewalthilfegesetz verabschiedet; es sieht ab 2032 für Opfer von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe vor. Der lange Vorlauf soll den Ländern die Möglichkeit geben, ihre Hilfesysteme entsprechend auszubauen. Experten hatte eine solche bundesweite Regelung seit langem gefordert, um die unsichere Finanzierung zu beenden und für mehr Schutzräume und Beratungsangebote zu sorgen.
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