Als im Juni vor einem Jahr eine Frau in Mannheim-Neckarau von ihrem Ex-Partner getötet wurde, lagen ihre beiden Söhne in ihren Betten in der oberen Etage des Hauses. Sie schliefen und blieben unversehrt. Obwohl es bereits vor der Tat gewaltsame Übergriffe des Mannes auf die Frau gegeben hatte, war diese mit ihrem ehemaligen Partner weiter in Kontakt - unter anderem wegen der Kinder. Der Vater hatte für die Kinder das Sorge- und Umgangsrecht und so weiter Zugriff auf die Familie. Und auf die Frau, die er eines Abends mit einem Küchenmesser erstach.
Experten fordern seit langem, das deutsche Familienrecht zu reformieren, so dass Vorfälle von häuslicher Gewalt, die sich während einer Beziehung oder auch nach der Trennung abspielen, bei der Frage nach dem Sorgerecht berücksichtigt werden.
Tatsächlich ist dies auch Teil der Istanbul-Konvention, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, das Deutschland 2018 ratifiziert hat. Laut Artikel 31 muss die Sicherheit der Kinder und des betreuenden Elternteils vorrangig berücksichtigt werden, wenn es in der Partnerschaft zu häuslicher Gewalt gekommen ist und nach einer Trennung das Umgangs- und Sorgerecht geregelt werden muss.
Das grundsätzliche Problem: Trennen sich Vater und Mutter, hat das Kind das Recht, beide Elternteile zu sehen. Umgekehrt kann das Elternteil, bei dem das Kind nicht überwiegend lebt, dieses Recht einfordern. Regelmäßig greift das Jugendamt moderierend ein, wenn Eltern sich nicht einigen können, bei wem das Kind lebt und wie oft und wann der andere Elternteil Kontakt zum Kind haben soll. Führt dies zu keiner Lösung, entscheidet das Familiengericht.
Ex-Partner können Frauen weiter kontrollieren
Nicht immer im Sinne der von Gewalt betroffenen Frauen, wie das Deutsche Institut für Menschenrecht kritisiert. Der Gewaltschutz werde dem Umgangsrecht in der Praxis oft untergeordnet. Was dazu führe, dass die Umgangskontakte den Tätern Möglichkeiten geben, die einzelnen Familienmitglieder weiterhin zu kontrollieren und psychische und womöglich auch physische Gewalt auf sie auszuüben. Immer wieder werde Frauen auch unterstellt, sie manipulierten die Kinder, wenn sie sich aus Angst vor gewalttätigen Übergriffen weigerten, ihre Kinder dem ehemaligen Lebensgefährten im Rahmen der Besuchsregelung zu übergeben.
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Familienrichter wie Martin Kast vom Amtsgericht Mannheim weisen die Kritik zurück. Zwar stehe im deutschen Familienrecht das Wohl des Kindes an oberster Stelle. „Doch das kann auch gefährdet sein, wenn das Wohl der Mutter gefährdet ist.“ Sprich: Eine Berücksichtigung der Schutzinteressen von Gewaltbetroffenen reiche über den Begriff des Kindeswohls aus. Denn dieses hänge ganz maßgeblich von der psychischen und physischen Gesundheit und Stabilität der Mutter ab. Stellten weitere Kontakte der Mutter mit dem Vater eine erhebliche Bedrohung oder Belastung der Mutter dar, könne der Umgang eingeschränkt oder unterbunden werden. Eine Möglichkeit der Einschränkung sei, dass der Vater das Kind nur noch im Rahmen eines begleiteten Umgangs durch das Jugendamt oder den Kinderschutzbund sieht. „Wenn der Vater nicht erziehungsfähig ist oder der Mutter nicht zugemutet werden kann, mit ihrem gewalttätigen Ex-Partner zusammenzuwirken, kann ihr auch das alleinige Sorgerecht zugesprochen werden.“
Kast betont allerdings, dass eine Umgangseinschränkung oder ein Umgangsausschluss einen gravierenden Eingriff darstelle. Es müssten gewichtige Gründe vorliegen, damit ein Richter einem Elternteil den Umgang mit dem Kind untersagt. Die Situation im Einzelfall richtig einzuschätzen, sei nicht immer einfach. „Um zum Kern des Konflikts vorzudringen, brauche ich mehr als nur juristische Kompetenzen.“ Hier seien Einfühlungsvermögen und im besten Fall Berufserfahrung gefragt.
Bundesjustizministerium legt Eckpunktepapier vor
Mit dem 2021 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder müssen Richterinnen und Richter in Familiensachen immerhin Qualifikationsanforderungen erfüllen und unter anderem Kenntnisse auf den Gebieten des Familienrechts und Grundkenntnisse der Psychologie vorlegen. Ein Eckpunktepapier aus dem Bundesjustizministerium sieht vor, dass Gerichte künftig systematisch ermitteln sollen, wenn es Anhaltspunkte für häusliche Gewalt gegenüber dem Kind und/oder gegenüber dem anderen Elternteil gibt. Auch die Verankerung von Artikel 31 der Istanbul-Konvention in nationalem Recht ist laut Papier vorgesehen.
Gänzlich verhindern lassen sich Fälle wie der in Neckarau allerdings nicht, glaubt Kast: „Ein Täter, der zu allem entschlossen ist, wird sich nicht abschrecken lassen.“
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