Rhein-Neckar. Wenn ich an den Sommer vor fünf Jahren denke, denke ich an eine Zäsur, die mein Leben in ein Davor und ein Danach teilte. Damals schaffte ich es, mich von einem Mann zu trennen, der mich viele Monate lang gedemütigt, bedroht, manipuliert und geschlagen hatte. Seitdem war es ein langer Weg zurück in ein gutes Leben, in dem ich wieder Freude empfinden kann. Lange schwieg ich darüber, was mir passiert war. Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit waren Gründe dafür. Der gewichtigste Grund war aber die Scham. Ich schämte mich sehr, nach zwei Trennungen wieder in den Ketten eines gewalttätigen Mannes zu sein. Ich konnte nicht mehr frei entscheiden, was ich trage, wen ich treffe, wohin ich gehe. Das waren meine Ketten, angelegt von einem manipulativen Mann, der verstand, mich von sich abhängig zu machen. Und der nach außen hin ein charmanter Strahlemann war, dem niemand sein wahres Gesicht zutraute.
Rat für Betroffene
- Polizei: 110, hier kümmert sich eine extra dafür eingerichtete Koordinierungsstelle für häusliche Gewalt um Betroffene.
- Beratung und Hilfe bietet auch das Fraueninformationszentrum (FIZ), Tel.: 0621/37 97 90, sowie die Beratungsstelle Frauen und Mädchennotruf, Tel. 0621 / 1 00 33.
- Zuflucht bietet das Mannheimer Frauenhaus, Tel. 0621 / 74 42 42 und das Frauen- und Kinderschutzhaus Heckertstift, Tel. 0621 / 41 10 68.
- Die Gewaltambulanz des Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin Heidelberg dient dem Schutz der Opfer vor weiteren Übergriffen und der Rechtssicherheit in Strafverfahren, in denen objektiv gesicherte Beweise wichtig sind. Terminabsprache ist für die Untersuchung erforderlich unter Tel. 0152/54 64 83 93. Die Ärzte unterliegen der Schweigepflicht.
- Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, erreichbar unter 08000 / 116 016, ist ein bundesweites, kostenloses Beratungsangebot. lia
Und so schwieg ich und blieb damit in den Ketten gefangen. Ich gebe mir keine Schuld dafür, keine Frau hat Schuld. Ich will nur sagen, das Schweigen hat mein Leiden noch vergrößert und gleichzeitig meinen Ex-Partner geschützt. Denn ich blieb alleine mit allen Sorgen und Gefahren, die lange Realität für mich waren. Warum schämen sich eigentlich immer die Frauen? Sind es nicht die Täter, die sich schämen müssten, frage ich mich.
Mein Beruf spielt mit Sprache, mit ihr verdiene ich mein Geld. Sprache schafft Identität, Verbindung zu anderen. Je länger ich in der Beziehung gefangen blieb, desto mehr wurde mir der Zugang zur Sprache versperrt. Ich wurde leiser, versuchte ihm keine Angriffsfläche zu bieten. Doch alles half nichts - ich konnte alles nur falsch machen. Was in meinen eigenen vier Wänden passierte, erfuhr niemand, nicht einmal meine beste Freundin. Ich tat alles dafür, dass keiner Verdacht schöpfte. Aber das laute Geschrei konnte unmöglich unbemerkt geblieben sein. Warum haben trotzdem alle weggehört in dem Acht-Parteien-Haus, in dem ich damals lebte?
Gefühl des Ekels
Fragte meine Familie mich, was ich nach Feierabend machen würde, wich ich aus oder log. Sie wussten nicht, dass ich mich wieder auf den Mann eingelassen hatte. Zu der Scham gesellte sich bald das Gefühl des Ekels, des Ekels vor mir selbst - weil ich all meine Werte verriet. Dass mein Selbstvertrauen litt, brauche ich nicht weiter zu vertiefen. All diese Faktoren machten es noch unwahrscheinlicher, dass ich mich anderen Menschen anvertraute. Obwohl mein Körper längst deutliche Signale sendete. Ich aß kaum noch, fiel ins Untergewicht. An Schlaf war auch nicht zu denken und dann war da noch der ständige Würgereiz. Ich ignorierte die Warnzeichen und verharrte in einer Art Kampfmodus, um die Tage irgendwie zu überstehen.
Zu der Scham gesellte sich bald das Gefühl des Ekels, des Ekels vor mir selbst – weil ich all meine Werte verriet
Bis an den Tag, an dem mein damaliger Chef mich fast beiläufig fragte, ob alles in Ordnung mit mir sei. Ich konnte nicht mehr schweigen und vertraute mich ihm unter Tränen an. Es folgte die Kontaktaufnahme mit der Polizei, eine sogenannte Gefährderansprache der Beamten an meinen Ex-Partner, ein gerichtliches Annäherungsverbot, ein Strafbefehl. Obwohl ich fast alle Hilfen in Anspruch nahm, die deutsche Behörden Betroffenen wie mir zur Verfügung stellen, fühlte es sich an, als könnten sie mich nicht schützen. Außerdem schmerzte mich die Erfahrung, wie wenig Sensibilität sie mir entgegenbrachten.
Als ich alles für meine Freiheit getan hatte, folgte auch mein Zusammenbruch. Ich konnte nicht mehr, war unendlich erschöpft, voller Trauer. Ich kündigte meinen Job und meine Wohnung und ließ mich in eine psychosomatische Klinik einweisen. Dort blieb ich viele Wochen, konnte zum ersten Mal seit Monaten wieder schlafen, fühlte mich endlich für kurze Zeit sicher. Die Diagnose Schwere Depressive Episode war das Ergebnis eines monatelangen Lebens über meinen körperlichen und psychischen Grenzen. Von einem Leben, das ständig bedroht war. Der Mann, den ich meinen Partner nannte, drohte mir, mich umzubringen - nicht nur einmal. Wenn ich nicht handelte, wie er es wollte oder mich seiner Kontrolle entzog, bekam ich die Folgen zu spüren.
Trennung nicht akzeptiert
Die Bedrohung hörte auch mit der Trennung nicht auf, er akzeptierte sie nicht. Noch zwei Jahre lang stellte er mir nach. Ich erfuhr, dass er mich schon während der Beziehung mit einer App geortet hatte. Es macht was mit einem, wenn man sich kaum einmal wirklich sicher fühlt. Es kostet unendlich viel Kraft, immer in Alarmbereitschaft zu sein. Nach der Zeit in der Klinik zog ich zurück in mein Kinderzimmer. Ich brauchte einen Schutzraum, um wieder auf die Beine zu kommen. Es dauerte. Ich blieb ein halbes Jahr arbeitsunfähig. Warum müssen eigentlich immer die Frauen alles aufgeben, während ihre Peiniger ihr Leben einfach weiterleben können?
Dass ich heute wieder ein normales Leben führen kann - in dem meine Gewalterfahrungen immer einen Stellenwert haben werden - habe ich vielen Menschen in meinem Umfeld zu verdanken, vor allem der Unterstützung meiner Familie und Freunden. Nicht zuletzt meinem Chef, der im richtigen Moment hinsah und zuhörte. Ich wünsche mir, dass es mehr solche Menschen gibt. Menschen, die aufmerksam sind und den Mund aufmachen.
Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, es geht uns alle an. Wenn wir nicht wollen, dass es länger ein Tabu ist, müssen wir alle etwas dagegen tun. Indem wir unsere Menschenpflicht ernstnehmen und Betroffenen in Not helfen. Indem wir als Nachbarn, Freunde, Arbeitskollegen und Familienangehörige aktiv werden, wenn Frauen sich verändert verhalten, vielleicht sogar Spuren der Gewalt am Körper tragen oder wir Bedrohungslagen mitbekommen.
Gewalt fängt nicht erst mit Schlägen an, sie ist strukturell und allgegenwärtig. Sie beginnt bei frauenverachtenden Witzen, bei Catcalling auf der Straße. Für viele endet sie mit dem Tod. Sie ist Ausdruck eines Machtgefälles von Männern gegenüber Frauen. Solange es gesellschaftlich akzeptiert wird, bleibt Gewalt gegen Frauen ein Problem. Deshalb lasst uns hinschauen, laut werden, Tabus brechen, Frauen retten.
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