Interview

Gökay Akbulut:„Ich habe keine Angst vor Wagenknecht“

Am 6. Dezember löst sich die Bundestagsfraktion der Linkspartei offiziell auf und macht als parlamentarische Gruppe weiter. Was die Mannheimer Abgeordnete Gökay Akbulut von der geplanten Wagenknecht-Partei hält

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Walter Serif
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Gökay Akbulut. © Thommy Mardo

Mannheim. Frau Akbulut, wissen Sie schon, wie Sie nach der Bundestagswahl 2025 Ihr Geld verdienen werden?

Gökay Akbulut: Ja, klar. Ich will mich wie in den vergangenen Jahren weiter mit den Themen Bildung und Migration beschäftigen.

Sie fürchten nicht, dass Sie sich beruflich neuorientieren müssen?

Akbulut: Nein, ich gehe fest davon aus, dass ich auch in der nächsten Legislaturperiode für die Linke im Bundestag sitzen werde.

Das ist angesichts der Krise Ihrer Partei ziemlich optimistisch.

Akbulut: Das weiß ich, aber die Linke wird um ihre Zukunft kämpfen. Wir werden alles daran setzen, dass wir auch nach der Bundestagswahl wieder eine Fraktion bilden können.

Nach dem Weggang der Wagenknecht-Truppe hat die Linke ihren Fraktionsstatus verloren.

Akbulut: Ja, wir müssen schauen, wie das in der Praxis dann als parlamentarische Gruppe funktionieren wird.

Wagenknecht wird ja mit ihren Leuten eine zweite Gruppe bilden. Das wird dann zu einem großen Konkurrenzkampf führen.

Akbulut: Abwarten, wir brauchen uns vor Wagenknecht wirklich nicht zu verstecken.

Weinen Sie ihr keine Träne nach?

Akbulut: Warum denn? Ich glaube, dass es ohne sie für uns leichter wird. Es haben uns zwar eine Reihe von Parteimitgliedern verlassen …

Gökay Akbulut

  • Gökay Akbulut wurde am 16. November 1982 in Pinarbasi (Türkei) geboren.
  • Abitur machte sie in Hamburg, danach studierte Akbulut Politikwissenschaften, Soziologie und Öffentliches Recht in Heidelberg.
  • Von 2014 bis 2018 saß sie für die Linke im Mannheimer Gemeinderat.
  • Seit 2017 ist Gökay Akbulut Mitglied im Bundestag. Ihre Themenschwerpunkte sind Migration und Familie

… Wagenknecht will ja eine eigene Partei gründen …

Akbulut: … aber die Zahl der Neueintritte ist größer. Auf Landesebene gibt es nur im Kreisverband Reutlingen mehrere Austritte, ansonsten haben uns lediglich vereinzelt Mitglieder verlassen. In Mannheim gibt es im Gemeinderat keine Veränderungen. Wir konzentrieren uns auf die Kommunalwahl und wollen unsere Mandate verteidigen. Ich glaube, dass wir gestärkt aus dieser Krise herausgehen können.

Die Rahmenbedingungen sind auch durch die Wahlrechtsreform schwieriger geworden. Sie müssen jetzt anders als früher auf jeden Fall die Fünf-Prozent-Hürde überspringen und können nicht mehr wie 2021 über die Direktmandate in den Bundestag.

Akbulut: In den Umfragen liegen wir zwischen vier und fünf Prozent, da ist also noch alles möglich für uns.

Wirklich? Laut Politbarometer der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen wollen 30 Prozent aus dem Lager der Linken 2025 die Wagenknecht-Partei „wahrscheinlich“ oder „auf jeden Fall“ wählen. Haben Sie keine Angst?

Akbulut: Ich habe keine Angst vor Sahra Wagenknecht. Erst einmal muss sie ihre Parteigründung über die Bühne bringen. Die stehen da noch ganz am Anfang.

Wagenknecht gilt nicht gerade als das große Organisationstalent.

Akbulut: Eben. Wagenknecht will jetzt mit 500 Leuten eine Partei aus dem Boden stampfen und die dafür notwendigen Strukturen bundesweit aufbauen. Da sind wir gespannt, wie das laufen wird. Wir schauen aber auf uns. Wir können jetzt als progressive Partei mit klareren Positionen und weniger Widersprüchen bei unseren Themen Migration und Klima die richtigen Schwerpunkte setzen.

Glauben Sie das wirklich?

Akbulut: Die Linke durchläuft nicht nur einen inhaltlichen Erneuerungsprozess. Durch die große Eintrittswelle sind wir jünger und diverser geworden. Deshalb teile ich Ihren Pessimismus nicht. Wir sind jetzt besser ausgestellt als in der Vergangenheit und werden uns nicht mehr so zerfleischen.

Interviewreihe

  • Drei Frauen und ein Mann vertreten Mannheim im Bundestag: Isabel Cademartori (SPD), Melis Sekmen (Grüne), Konrad Stockmeier (FDP) und Gökay Akbulut (Linke).
  • Wir werden alle vier in loser Abfolge interviewen. Nach Cademartori und Sekmen ist jetzt Akbulut an die Reihe.

Klingt sehr einfach: Wagenknecht weg, und alles wird gut.

Akbulut: Ich will jetzt nicht die ganze Schuld bei Wagenknecht abladen. In allen Parteien gibt es Auseinandersetzungen. Aber unser Streit hat sich am inhaltlich-strategischen Kurs des Wagenknecht-Flügels entzündet. Die Themen kennen Sie ja: Migration, Ukraine, aber auch Klimapolitik. Die Differenzen wurden deshalb immer größer.

Wie unterscheiden Sie sich von der Putin-Versteherin Wagenknecht?

Akbulut: Ich bin durch meine Biografie selbst vom Krieg betroffen …

… Sie sind in der Türkei geboren und haben kurdische Wurzeln …

Akbulut: … genau. Deshalb stelle ich mich gegen jegliche Form von Militarismus und Krieg und verurteile natürlich Russland, das als Aggressor den Angriffskrieg auf die Ukraine zu verantworten hat. Ich fordere aber natürlich auch einen Waffenstillstand und den Beginn eines Dialogs und eines Friedensprozesses, auch wenn das gegenwärtig sehr schwierig ist.

Ich höre da keinen so großen Unterschied zu Wagenknecht heraus.

Akbulut: Wagenknecht unterschlägt aber, dass Russland den Krieg begonnen hat. Außerdem zeigen wir uns solidarisch mit der Bevölkerung in der Ukraine. Davon hören Sie bei Wagenknecht kein Wort. Wagenknecht stellt dagegen Russland ein Stück weit als armes Opfer dar.

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Beim Thema Migration können die Unterschiede zwischen Ihnen und Wagenknecht kaum größer sein, oder?

Akbulut: In der Tat. Wagenknecht unterscheidet sich kaum von AfD-Chefin Alice Weidel. Beide behaupten, dass die Migranten für die Probleme auf dem Wohnungsmarkt und in den Schulen verantwortlich sind. Da sollen die Ausländer zu Sündenböcken für Missstände gemacht werden, für die sie gar nichts können. Wir wollen, dass die Fluchtursachen bekämpft werden und nicht die Geflüchteten. Da sind die Differenzen mit Wagenknecht am größten. Deshalb glaube ich, dass ihre Partei weniger uns, sondern der AfD Konkurrenz machen wird.

Wagenknecht hat Israel für die Angriffe im Gazastreifen stark kritisiert. Wie würden Sie sich denn da positionieren?

Akbulut: Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung. Für mich ist die Hamas eine islamistische Terrororganisation und keine Widerstandsbewegung der Palästinenser gegen die israelische Besatzungspolitik.

In Mannheim hat es einige Pro-Palästina-Demonstrationen gegeben. Waren Sie bei einer dabei?

Akbulut: Nein.

Warum denn nicht?

Akbulut: Mir fehlt bei den Veranstaltern in Mannheim die Abgrenzung von der Hamas. Und das ist für mich ein großes Problem bei den meisten Kundgebungen. Ich unterstütze keine Islamisten.

Finden Sie es in Ordnung, dass deutsche Politiker von Muslimen ein besonderes Bekenntnis zum Staat Israel verlangen?

Akbulut: Antisemitismus ist leider in allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus verbreitet. Von daher finde ich es in der Tat schwierig, wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck vor allem von den Muslimen ein Bekenntnis gegen Antisemitismus und den Hamas-Terror verlangt. Warum soll ein Muslim, der aus Bosnien kommt, jetzt in diesem Land lebt und sich vielleicht gar nicht für Israel interessiert, sich positionieren müssen? Alle Menschen in Deutschland sollten sich gemeinsam gegen jede Form von Antisemitismus stellen. Im Übrigen gibt es auch einen starken antimuslimischen Rassismus. Auch den sollten wir gemeinsam bekämpfen.

Sie haben dieses Jahr auch in der überregionalen Presse Schlagzeilen gemacht, der Anlass war aber eher unerfreulich.

Akbulut: Ja, ich wurde im August bei der Einreise am Flughafen in Antalya mehre Stunden festgehalten. Das war schlimm. Angeblich ist das Verfahren in der Türkei gegen mich …

… wegen angeblicher Propaganda für eine Terrororganisation …

Akbulut: … eingestellt worden. Ich will nächstes Jahr mit einer Bundestagsdelegation wieder in die Türkei reisen. Mal schauen, ob ich erneut am Flughafen verhaftet werde.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde kürzlich in Deutschland mit allem Brimborium empfangen. Wie finden Sie denn das?

Akbulut: Gar nicht gut. Erdogan lässt nicht nur Krieg gegen die Kurden führen und hat Aserbaidschan im Krieg gegen Armenien unterstützt. Die Türkei unterstützt die Hamas schon seit Jahren und bezeichnet sie als Widerstandskämpfer. Das ist für mich alles unerträglich.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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