Mihai S. hatte viel Alkohol getrunken in jener Nacht im Juni vergangenen Jahres. Aber nicht so viel, dass er schuldunfähig wäre, dass er die Grausamkeit seiner Handlung nicht hätte sehen können. Zu dieser Einschätzung kommt der forensische Psychiater vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Harald Dreßing, der als Gutachter in dem Prozess vor dem Landgericht Mannheim fungiert. „Ich gehe davon aus, dass er etwas konsumiert hat, aber nicht in dem Maße, dass die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen wäre“, sagt Dreßing über den 35-jährigen Angeklagten. Davon geht auch die Mannheimer Oberstaatsanwältin Jeanette Zipperer aus, die am Dienstag eine elfjährige Freiheitsstrafe wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung beantragt.
Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt lehnt sie ab. Für den Angeklagten hätte dies den Vorteil, dass er einen Teil seiner Strafe nicht im Gefängnis absitzen muss, sondern in einer Klinik verbringt, wo er wegen seiner Alkohol- oder Drogensucht behandelt wird. Im günstigsten Fall kann auch eine frühere Entlassung erreicht werden. Doch einen „Hang“, also ein Suchtverhalten, das vorliegen müsste, damit ein Gericht eine solche Unterbringung anordnen könnte, sieht Gutachter Dreßing bei Mihai S. nicht. Entsprechend verneint dies auch die Staatsanwaltschaft.
Ganz anders die Argumentationslinie der Verteidigung: Thomas Dominkovic plädiert auf sechs Jahre Gefängnis wegen gefährlicher Körperverletzung. Vom Tötungsdelikt habe sein Mandant Abstand genommen, der Tatbestand des versuchten Mordes sei mithin nicht gegeben. Von „roher Gewalt“ spricht aber auch er.
Was Mihai S. zu dem Gewaltexzess trieb, den Überwachungskameras filmten, die die Spielautomatenfirma in der Bar installiert hatte? Die Frage, warum der 35-Jährige 28 lange Minuten auf sein Opfer, das wehrlos auf dem Boden des Café Royal in der Neckarstadt-West liegt, eintritt und einschlägt, auch dann noch, als der Mann schwer verletzt ist, kann auch am vorletzten Verhandlungstag letztlich nicht geklärt werden.
Die Befragungen der Zeuginnen und Zeugen hatten sich während des Prozesses stellenweise zäh gestaltet, viele Antworten blieben trotz mehrfachen Nachfragens des Gerichts nebulös. Die Ex-Freundin des Bruders von Mihai S. hatte ausgesagt, sie könne sich den Gewaltausbruch nicht erklären. Auch das Opfer, das als Nebenkläger vor Gericht auftritt, und nach eigenen Angaben mit dem mutmaßlichen Täter seit vielen Jahren befreundet war, hatte in seiner Befragung betont, Mihai S. nie aggressiv erlebt zu haben. Nur dank eines intensivmedizinischen Eingriffs kann das Opfer gerettet werden, der 43-Jährige, der wie Mihai S. aus Rumänien stammt, leidet bis heute an den Folgen der Tat.
Dass aber überhaupt Notärzte zum Café Royal gerufen wurden, schreibt die Verteidigung Mihai S. zu. „Er hat seinen Bruder verständigt und ihm gesagt, er solle einen Rettungswagen rufen“, begründet Dominkovic, warum er ein geringeres Strafmaß und eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für angemessen hält. In dem Video der Überwachungskamera ist zu sehen, wie der per Handy schließlich herbeigerufene Bruder das Lokal betritt und es kurz darauf wieder verlässt, um Hilfe zu holen. Mihai S. ist daraufhin wieder allein mit seinem Opfer, doch der Furor scheint vorüber, der 35-Jährige spritzt dem Mann Wasser ins Gesicht und wartet, bis sein Bruder, diesmal in Begleitung von dessen Ex-Freundin, wieder zurück ist.
In der Schweiz gefasst
„Er hätte die Tat vollenden können, er hätte auch fliehen können“, betont Dominkovic. Doch er tut es nicht - und somit sei der Tatbestand des versuchten Mordes auch nicht gegeben. Geflohen ist Mihai S. dann aber doch, er wird zehn Tage nach der Tat in der Schweiz von der Polizei gefasst. Seitdem sitzt er in Mannheim in Untersuchungshaft.
2015 stand Mihai S. schon einmal vor Gericht, das ihn wegen Betäubungsmittelbesitzes und -verkaufs zu einer Bewährungsstrafe verurteilte. Dass er diesmal ins Gefängnis muss, weiß er. Wie lange, das wird er am Donnerstag erfahren. Um elf Uhr wird das Schwurgericht der ersten Strafkammer des Landgerichts sein Urteil verkünden.
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