Mannheim. Als der Polizei-Anwärter ausrücken muss zu einer nächtlichen Verkehrskontrolle in der Neckarstadt, macht sich ein mulmiges Gefühl breit. Zwar hat Jonas Witzgall schon einige Streifendienste hinter sich gebracht. Diesmal aber muss der 24-Jährige unmerklich an eine gleichaltrige Polizeischülerin und ihren Kollegen denken, die wenige Wochen zuvor bei einer nächtlichen Verkehrskontrolle in rheinland-pfälzischen Kusel erschossen wurden.
Mit diesem Gedanken kommt die Erkenntnis: Als Polizist kann auch er zur Zielscheibe für Hass und Gewalt werden. „Die Einstellungsberater erzählen uns Polizei-Bewerbern gerne von Helikoptern und Hundestaffeln. Aber man muss sich den Gefahren bewusst sein, die der Beruf mit sich bringt“, sagt Witzgall. Obwohl oder gerade weil der 24-Jährige selbst noch in der Ausbildung steckt, setzt er sich ehrenamtlich bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Mannheim als Vorsitzender der „Jungen Gruppe“ für die Sorgen und Nöte der Nachwuchskräfte ein.
GdP mit Stand auf dem Maimarkt
- Zum ersten Mal präsentiert sich die Mannheimer Bezirksgruppe der Gewerkschaft der Polizei (GdP) mit einem eigenen Stand auf dem Maimarkt in der Halle 05, Standnummer 0580.
- Erfahrene und junge Polizisten und Polizistinnen in zivil stellen sich am Stand den Fragen der Besucher und geben Einblicke in ihren Berufsalltag.
Mittlerweile zählt die Gruppe 25 Mitglieder, unterstützt wird sie vom Mannheimer GdP-Vorsitzenden Thomas Mohr. Seit 36 Jahren ist Mohr Polizist, die Uniform ist längst ein Teil von ihm. Bei so manchem Einsatz beim Einsatzzug des Polizeipräsidium (PP) Mannheim wurde auch der 59-Jährige schon mit Steinen beworfen, flogen Fäkalien oder Farbbeutel. Zwar verzeichnet das Polizeipräsidium für 2021 einen Rückgang von Gewalt gegen Beamte in Mannheim. Trotzdem bleibt die Zahl dererer, die Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte leisten, im Vergleich zum Vorjahr unverändert.
Vorbehalte abbauen
Um solchen Aggressionen entgegenzuwirken, stellen sich die Mannheimer Polizeigewerkschaftler zum ersten Mal überhaupt mit einem Stand auf dem Maimarkt vor. Ihr Ziel: In Kontakt mit den Besuchern kommen, mit Vorurteilen aufräumen und so offen nach Außen tragen, wer da in der Uniform steckt. Ihre Hoffnung: Durch Offenheit mehr Verständnis für die Polizei-Arbeit schaffen und damit Vorbehalte und Aggressionen gegen Ordnungshüter abzubauen.
Denn noch immer zählen Angriffe oder Beleidigungen zum Berufsalltag - auch in Mannheim. Bei den Corona-Protesten im vergangenen Dezember etwa eskalierte in der Innenstadt die Situation, mehrere Einsatzkräfte wurden verletzt.„Wenn wir in voller Montur im Einsatz sind, vergessen manche, dass sie echten Menschen gegenüberstehen und nicht gefühllosen Robocops“, sagt Mohr.

Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.
Wer also sind die jungen Bewerber, die heute Polizistin oder Polizist werden wollen, was treibt sie an und was unterscheidet sie von erfahrenen Dienstälteren? Für Jonas Witzgall war schon als Kind klar, dass er einmal Polizist werden will. Gesetzeshüter sein, sich für andere einsetzen - für den sportlichen 24-Jährigen ist das kein lockeres Bekenntnis, sondern eine echte Berufung. Unter seinen Mitschülern sei er mit dieser Überzeugung nicht allein. „Den meisten wurde das in die Wiege gelegt“, sagt Witzgall, der nebenbei noch als ehrenamtlicher Feuerwehrmann im Einsatz ist.
Ob es heute schwieriger als früher ist, Polizist zu sein? „Die Herausforderungen sind größer geworden. Die Polizei muss öfters herhalten für gesellschaftliche Probleme“, findet Mohr. Als Beispiel nennt der Polizeihauptkommissar die Pandemie. Berichtet, wie ihm auf Corona-Streife am Anfang größte Dankbarkeit entgegen strömte. Und das Ansehen später kippte, die Gesetzeshüter im angesichts des Regelchaos plötzlich als Spielverderber galten. „Der Frust gegen den Staat wurde auf die Polizei abgewälzt“, zieht Mohr Bilanz. Besonders der Umgang mit Querdenkern sei ihm schwergefallen.
Bei Kritik an Polizeigewalt und Techniken wie das Fixieren eines Straftäters mit dem Knie am Boden, hält der GdP-Chef dagegen: „Wenn wir Gewalt anwenden, dann nie willkürlich, sondern im gesetzlichen Rahmen als ausübende Kraft des Staats, der das Gewaltmonopol hat.“ Außerdem, wirft der Polizei-Schüler ein, übe man in der Ausbildung solche Technik untereinander. Damit jeder und jede weiß, wie es sich anfühlt, so festgehalten zu werden.
Angst vor Verletzungen
Wer die Ausbildung damals und heute vergleicht, stellt fest: Während Mohr nur theoretisch geschult wurde, müssen Polizei-Anwärter wie Witzgall heute ein Jahr lang in Revieren mitarbeiten. Was den 24-Jährigen dabei besorgt: Bis zur Abschluss der Ausbildung gilt er als „Beamter auf Widerruf“. Wer sich währenddessen etwas zu Schulden kommen lässt, verletzt oder chronisch krank wird, kann bei der Abschlussuntersuchung für dienstuntauglich erklärt werden. „Viele haben Angst, sich zu verletzen und rausgeworfen zu werden“, sagt Witzgall. Er wünscht sich deshalb, dass der Gesundheitsstand beim Start der Ausbildung eingefroren wird.
Genau 35 Jahre Altersunterschied trennen den jungen Polizeischüler und den erfahrenen Hauptkommissar Mohr. Was sie eint ist die Leidenschaft für den Beruf und die Tatsache, dass sie auch privat für Recht und Ordnung einstehen. „Man hört nie auf, Polizist zu sein, selbst im Freundeskreis. Da werde ich auch auf Gartenpartys als Polizist gefragt“, sagt Witzgall.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-gdp-auf-mannheimer-maimarkt-wie-es-heutzutage-ist-bei-der-polizei-zu-sein-_arid,1942419.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html