Folgen des Kriegs

Forscher der Uni Mannheim: Eigentliche Krise nur aufgeschoben

Bei einer Podiumsdiskussion über den Krieg in der Ukraine sprechen Wissenschaftler der Universität Mannheim darüber, wie sich die Lage bisher entwickelt hat. Das Ergebnis: Die Probleme kommen noch auf uns zu

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Julius Paul Prior
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Thomas Fetzer (v. l.), Philipp Gassert, Marc Helbling, Sabine Carey und Eckhard Janeba diskutierten zu den Folgen des Ukraine-Krieges. © Julius Paul Prior

Mannheim. Mit einem solchen Andrang haben die Organisatoren nicht gerechnet: Bei der Podiumsdiskussion „Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Auswirkungen und Perspektiven“ muss die erste akademische Viertelstunde dazu genutzt werden, weitere Stühle in der Aula der Universität aufzustellen. Rund 200 Besucherinnen und Besuchern interessieren sich für die wissenschaftliche Perspektive, wie es mit dem Krieg in der Ukraine weitergeht. Bereits vor einem Jahr kamen Wissenschaftler der Universität zusammen, um über die Folgen des Krieges in der Ukraine zu sprechen.

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„Es wird kein schnelles Ende geben“, hätten die Forscher schon kurz nach Beginn des Krieges bei der ersten Diskussion prognostiziert, eröffnet Thomas Fetzer, Prorektor der Universität und Moderator des Abends, die Runde. Und auch heute sei noch keine Perspektive in Form von Friedensverhandlungen in Sicht. Allerdings gibt es auch einige Überraschungen.

Starkes Bündnis im Westen

„Ich finde es überraschend, wie stark der Westen immer noch zusammenhält“, sagt der Ökonom Eckhard Janeba. Dies sei beispielsweise nach dem Brexit und der Präsidentschaft von Trump nicht selbstverständlich. In diesem Sinne sind auch die Sanktionen, die wirtschaftlich derzeit wenig Wirkung zeigen, ein Erfolg. „Die Sanktionen sind eine Signalwirkung, mit der der Westen Russland zeigt: Wir stehen hinter der Ukraine“, erklärt die Politikwissenschaftlerin Sabine Carey.

Doch nicht nur in Russland, auch in Deutschland seien die wirtschaftlichen Folgen des Krieges noch nicht vollends zu spüren, sagt der Historiker Philipp Gassert. Das liege daran, dass Deutschland finanziell mithilfe von neuen Krediten die schlimmsten Wirtschaftseinbußen abfange. Damit würden die Probleme allerdings nur nach hinten, in die Zukunft, geschoben. „Wir sollten uns darauf einstellen, noch einen enormen Preis zu zahlen“, warnt Gassert, dass die Probleme nicht einfach mit Geld aus der Welt geschafft werden können.

Die Kämpfe in der Ukraine – wie hier um die stark umkämpfte Stadt Bachmut – werden laut Wissenschaftlern der Universität noch andauern. Auch in Deutschland werden die Auswirkungen in einigen Jahren noch zu spüren sein. © Evgeniy Maloletka/dpa

Neben der Wirtschaft gibt es für den Soziologen Marc Helbling, der mit dem Schwerpunkt auf Migration und Integration forscht, auch gesellschaftliche Überraschungen. Die „positive Stimmung“ gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine halte an. Bei der ersten Diskussion wurde hier noch prognostiziert, dass die Hilfsbereitschaft nach etwa sechs Wochen nachlassen würde – wie es bei der Flüchtlingskrise 2015 der Fall war.

Gründe hierfür sieht Helbling unter anderem darin, dass es mit Wladimir Putin ein gemeinsames Feindbild gibt, und im Fakt, dass die meisten Ukrainer, je nach Ausgang des Krieges, wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Hierbei spiele eine Rolle, dass viele der Geflüchteten noch Familienangehörige in der Ukraine haben – beispielsweise Väter oder Brüder, die an der Front kämpfen.

Verhandlungen noch keine Option

Doch während der Westen die Krise noch gut stabilisieren kann, ist der Frieden noch in weiter Ferne. Politisch hat sich die Bundesregierung zunächst schwer damit getan, Waffen und zuletzt Panzer an die Ukraine zu liefern. „Waffenlieferungen werden auch weiter notwendig sein“, erklärt die Politikwissenschaftlerin Carey. Die Ukraine müsse weiter in der Lage bleiben, sich gegen Russland wehren zu können. Derzeit seien Friedensverhandlungen noch keine Option für die Kriegsparteien. Dies begründet Carey damit, dass der Preis für einen möglichen Sieg durch Gewalt zumindest kurzfristig nicht so hoch ist wie der eines Friedens.

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Der Historiker Gassert knüpft hier an und erklärt: „Die wirklich schwierigen Fragen haben sich unsere Politiker noch gar nicht gestellt.“ Beispielsweise: „Was können wir der Ukraine anbieten, um die Kämpfe niederzulegen?“ Über die Antwort hierauf kann auch Gassert nur spekulieren. Es gehe darum, einen Kompromiss zu finden, der sich – zumindest für die nächsten Jahre – für beide Seiten lohnt.

Gassert traut sich hier im Gegensatz zu den anderen Forschern an einen eher unpopulären Vorschlag heran: Die Ukraine könnte – wie damals Deutschland – gespalten werden. So würde vorerst ein Teil des Landes an Russland abgetreten. Im Gegenzug sollte die Ukraine in die Nato aufgenommen werden. „Damit würde genau das eintreten, was Putin verhindern will“, sagt der Historiker. Nach dem Wiederaufbau könne dann verhandelt werden, die Ukraine wieder zu einen.

Doch mehr, als hierüber zu spekulieren, können auch die Wissenschaftler nicht. Am Ende bleibt nur sicher: „Ein schnelles Ende wird es auch jetzt nicht geben“, zieht Moderator Fetzer ein Fazit.

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