Bundestagswahl

Erstwähler in Mannheim: Zwischen Stolz, Vorfreude und Frustration

Etwa 9.500 Jugendliche dürfen in Mannheim am Sonntag zum ersten Mal an einer Bundestagswahl teilnehmen. Was sie bewegt und welche Themen sie interessieren.

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Sebastian Koch
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Bei "Bock auf Wahl" diskutieren die Mannheimer Kandidaten für die Bundestagswahl mit Schülern im Zirkus Paletti. © Sebastian Koch

Mannheim. Ein wenig aufgeregt werden sie wahrscheinlich schon sein. Zum ersten Mal können Shanya Hamah, Ben Podbicanin und Alina Frank am Sonntag bei einer Bundestagswahl ihre Stimme abgeben. Die Generation der 18-Jährigen darf also ausgerechnet an der Bundestagswahl erstmals teilnehmen, die für Parteien und Bürger gleichermaßen als so richtungsweisend gilt wie lange nicht mehr.

Wir treffen die drei am Mittwochvormittag am Rande der Podiumsdiskussionen der Initiative „Bock auf Wahl“. Gerade haben die Mannheimer Kandidatinnen und Kandidaten im Zirkuszelt Paletti mit 500 Jugendlichen über Wahlthemen diskutiert. Gleich beginnt die zweite Runde – wieder vor fast 500 Schülerinnen und Schülern. Die drei haben die Debatten mitorganisiert: Hamah hat mit der zwölften Klasse der Carl-Benz-Berufsschule die Plakate designt, Frank und Podbicanin haben im Leistungskurs Politik am Bach-Gymnasium die Diskussion inhaltlich gestaltet.

Bundesweit sind etwa 2,3 Millionen Jugendliche wahlberechtigt

Die erste Bundestagswahl sei eine „große Herausforderung“, sagt Podbicanin. Da hat es geholfen, dass sich der Leistungskurs drei Monate lang mit den Angeboten der Parteien beschäftigt hat. „Wir haben uns tief in die Programme eingearbeitet“, erzählt Frank und spricht vom Stolz, den sie am Sonntag spüren wird. „Ich kann ein bisschen mitentscheiden, wie meine Zukunft ausschaut.“ Fast dieselben Worte wählt Hamah.

Ben Podbicanir und Alina Frank dürfen zum ersten Mal bei einer Bundestagswahl ihre Stimme abgeben. © Sebastian Koch

Bei den Kommunalwahlen 2024 und der Oberbürgermeisterwahl im Jahr zuvor durften auch 16-Jährige wählen, bei der Bundestagswahl darf man das erst ab 18. Bundesweit gibt es unter den rund 59,2 Millionen Wahlberechtigten etwa 2,3 Millionen Jugendliche, die zum ersten Mal einen Bundestag wählen dürfen – etwa 9.500 davon in Mannheim, wie eine Sprecherin der Verwaltung erklärt. Insgesamt sind in der Stadt 195.000 Menschen wahlberechtigt.

Ukraine-Krieg, Klimaschutz, Migration, Soziales, die Debatte um den Schwangerschafts-Paragrafen 218, Cannabis, der Nahost-Krieg oder Bürgergeld – es gibt viele Themen, die bei „Bock auf Wahl“ diskutiert werden. Für sie selbst seien Sicherheit und Bildung „wichtig“, sagt Frank. „Frieden“, ergänzt Podbicanin. Auch Hamah hat sich, wie sie sagt, „alle Parteien angeschaut“ und ihre Entscheidung vor allem wegen Positionen zum Mindestlohn – der solle erhöht werden –, dem Klimaschutz oder der Mietpreispolitik getroffen: Sie wird die Linke wählen, verrät sie freiwillig.

Mannheimer Erstwählerin über den Wahlkampf: „TikTok ist da sehr präsent“

Die Partei hat zuletzt eine vor Monaten nicht für möglich gehaltene Aufholjagd hingelegt. Umfragen sehen die Linke vor der Wahl bundesweit bei sieben bis acht Prozent. Die Trendstudie „Jugend in Deutschland“ weist sie in dieser Woche in einer Sonntagsfrage unter Erstwählern sogar bei 19 Prozent aus. Stärker ist in dieser Gruppe – mit 20 Prozent – nur die AfD. Grüne (14 Prozent), Union (zwölf) und SPD (elf) folgen mit Abstand.

Linke wie AfD setzen im Wahlkampf vergleichsweise stark auf soziale Medien. War das bei der AfD bereits in vergangenen Wahlkämpfen zu beobachten, nutzt auch die Linke Instagram, TikTok & Co. in diesem Jahr intensiver. Angefangen mit der „Mission Silberlocke“ um die drei Altgedienten Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch, gibt es inzwischen einen Hype um Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek – der ihrer Partei damit offenbar vor allem in der jungen Zielgruppe zu Höhenflügen verhilft.

Hat ihre Wahlentscheidung bereits getroffen: Shanya Hamah. © Sebastian Koch

Auch die Erstwähler aus Mannheim berichten vom Wahlkampf, den sie vor allem über soziale Medien verfolgt haben. Zwar hat sie die Programme vieler Parteien gelesen, „damit ich mir ein Bild machen kann“, sagt Frank. Vieles bekomme sie aber nicht über klassische, sondern über soziale Medien mit. „TikTok ist da sehr präsent. Bei vielen anderen Jugendlichen ist es auch so, dass sie sich über soziale Medien informieren.“

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Die Kritik an TikTok ist groß. Beiträge verzerrten die Realität, verkürzten Inhalte und Algorithmen verstärkten einseitige Sichtweisen, sind nur einige Vorbehalte gegen das Portal, dem noch dazu eine große Nähe zu China nachgesagt wird. Dieser Kritik seien sie sich bewusst, sagen Podbicanin und Frank. „Man muss mit den Inhalten differenziert umgehen“, erklärt der 18-Jährige. Seine Mitschülerin fürchtet dennoch, dass viele – nicht nur Jugendliche, wie Frank betont – zu schnell das glauben würden, was auf sozialen Medien möglicherweise verkürzt und falsch dargestellt wird.

19-jährige Mannheimerin wählt nicht: „Habe das Gefühl, dass sich Parteien vor allem für Ältere interessieren.“

In einem Café treffen wir Nina. Die 19-Jährige hat sich bereits entschieden, wen sie wählen wird: niemanden. Nina gehört zur Gruppe der Nicht-Wähler und möchte deshalb lieber nur ihren Vornamen nennen. „Muss ja nicht jeder wissen, dass ich nicht wähle“, sagt sie. „Ich habe aber das Gefühl, dass sich Parteien vor allem für Ältere interessieren.“ Die Jugend, sagt sie, komme dagegen kaum zum Zug. Podbicanin und Frank hatten gesagt, sie seien mit dem politischen Angebot für junge Menschen „okay zufrieden“. Nina kritisiert geringe Löhne, „kaum“ Klimaschutz und wenig Ideen, wie man dem Fachkräftemangel begegnet und „unsere“ Renten sichern will. „Ich weiß nicht, wie ich mir eine Zukunft aufbauen kann.“

Als eine „heimatlose“ an Politik Interessierte, charakterisiert sich die Studentin. Entzieht sie sich aber nicht der Verantwortung, wenn sie nicht wählt? Darauf gibt Nina keine Antwort, erzählt aber, dass sie diese Frage immer wieder mit Freundinnen und Freunden diskutiert. Unter denen gebe es mehr, die „so denken wie ich“, sagt sie. „Allerdings gibt‘s auch viele, die wählen.“

Zuletzt ist die Wahlbeteiligung in der Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen wieder gestiegen. Wie eine Sprecherin von Statista dieser Redaktion mitteilt, hatten 2013 nur 62 Prozent der 18- bis 20-Jährigen gewählt. 2021 waren es bundesweit wieder 70,5 Prozent, in Baden-Württemberg 71,5 Prozent. Damit liegt die Beteiligung aber unter der der Gesamtbevölkerung, von der 2021 76,4 Prozent gewählt haben.

Ich gehe ins Wahllokal. Da erlebt man das Gefühl noch stärker.
Alina Frank Erstwählerin aus Mannheim

Zurück zu „Bock auf Wahl“. Hamah, Podbicanin und Frank erzählen von Gesprächen in ihrem Freundeskreis. Man tausche sich aus, wen man wählt und warum, sagt Hamah. „Alle Jugendlichen sollten die Wahl ernstnehmen“, wünscht sie sich. Frank indes berichtet auch von Freundinnen, die um ihre erste Bundestagswahl gebracht worden sind. „Wäre die Wahl im Herbst gewesen, hätten sie wählen dürfen.“

So ergeht es in Mannheim etwa 1.400 Jugendlichen, erklärt die Rathaussprecherin. Und dann gibt es noch eine kleine, aber ganz besondere Gruppe, die einen im doppelten Sinne besonderen Tag erleben wird: Vier Mannheimerinnen und Mannheimer werden am Sonntag 18 und dürfen damit an ihrem Geburtstag gleich wählen.

Frank jedenfalls freut sich auf ihre erste Bundestagswahl. „Ich gehe ins Wahllokal. Da erlebt man das Gefühl noch stärker.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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